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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Einleitung.
lichen Beamten einander so oft zuwider handeln, statt sich
zu unterstützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin
nicht, daß es hauptsächlich die Geistlichen sind, die ihre
Befugnisse überschreiten; er legt ihnen schon jene mit Ta-
del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die später so
oft wiederholt worden sind, z. B. in wie fern es ihnen
zukomme, sich in rein-weltliche Angelegenheiten zu mischen:
sie sollen erklären, was es bedeute: die Welt verlassen;
ob man dabei doch noch sich mit zahlreichem Gefolge um-
geben, die Unwissenden zur Abtretung ihrer Güter, zur
Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht besser
sey, gute Sitten zu pflegen, als schöne Kirchen zu bauen,
und was dem mehr ist.

Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie-
les weiter reichende Tendenzen.

Wir brauchen hier nicht zu untersuchen, ob die pseudo-
isidorischen Decretalen noch unter Carl dem Großen 1 oder
etwas später, in der fränkischen Kirche oder in Italien er-
funden worden sind: auf jeden Fall gehören sie dieser
Epoche, einem sehr weit verbreiteten Bestreben an, und
bilden einen großen Moment in ihrer Geschichte. Man
beabsichtigte damit, die bisherige Kirchenverfassung, die
noch wesentlich auf der Metropolitangewalt beruhte, zu spren-
gen, die gesammte Kirche dem römischen Papst unmittel-
bar zu unterwerfen, eine Einheit der geistlichen Gewalt zu
gründen, durch die sie sich nothwendig von der weltlichen

1 Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil-
vester findet sich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn über
die spanische Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab-
handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philos. histor. Klasse p. 132.

Einleitung.
lichen Beamten einander ſo oft zuwider handeln, ſtatt ſich
zu unterſtützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin
nicht, daß es hauptſächlich die Geiſtlichen ſind, die ihre
Befugniſſe überſchreiten; er legt ihnen ſchon jene mit Ta-
del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die ſpäter ſo
oft wiederholt worden ſind, z. B. in wie fern es ihnen
zukomme, ſich in rein-weltliche Angelegenheiten zu miſchen:
ſie ſollen erklären, was es bedeute: die Welt verlaſſen;
ob man dabei doch noch ſich mit zahlreichem Gefolge um-
geben, die Unwiſſenden zur Abtretung ihrer Güter, zur
Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht beſſer
ſey, gute Sitten zu pflegen, als ſchöne Kirchen zu bauen,
und was dem mehr iſt.

Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie-
les weiter reichende Tendenzen.

Wir brauchen hier nicht zu unterſuchen, ob die pſeudo-
iſidoriſchen Decretalen noch unter Carl dem Großen 1 oder
etwas ſpäter, in der fränkiſchen Kirche oder in Italien er-
funden worden ſind: auf jeden Fall gehören ſie dieſer
Epoche, einem ſehr weit verbreiteten Beſtreben an, und
bilden einen großen Moment in ihrer Geſchichte. Man
beabſichtigte damit, die bisherige Kirchenverfaſſung, die
noch weſentlich auf der Metropolitangewalt beruhte, zu ſpren-
gen, die geſammte Kirche dem römiſchen Papſt unmittel-
bar zu unterwerfen, eine Einheit der geiſtlichen Gewalt zu
gründen, durch die ſie ſich nothwendig von der weltlichen

1 Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil-
veſter findet ſich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn uͤber
die ſpaniſche Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab-
handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philoſ. hiſtor. Klaſſe p. 132.
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[10/0028] Einleitung. lichen Beamten einander ſo oft zuwider handeln, ſtatt ſich zu unterſtützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin nicht, daß es hauptſächlich die Geiſtlichen ſind, die ihre Befugniſſe überſchreiten; er legt ihnen ſchon jene mit Ta- del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die ſpäter ſo oft wiederholt worden ſind, z. B. in wie fern es ihnen zukomme, ſich in rein-weltliche Angelegenheiten zu miſchen: ſie ſollen erklären, was es bedeute: die Welt verlaſſen; ob man dabei doch noch ſich mit zahlreichem Gefolge um- geben, die Unwiſſenden zur Abtretung ihrer Güter, zur Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht beſſer ſey, gute Sitten zu pflegen, als ſchöne Kirchen zu bauen, und was dem mehr iſt. Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie- les weiter reichende Tendenzen. Wir brauchen hier nicht zu unterſuchen, ob die pſeudo- iſidoriſchen Decretalen noch unter Carl dem Großen 1 oder etwas ſpäter, in der fränkiſchen Kirche oder in Italien er- funden worden ſind: auf jeden Fall gehören ſie dieſer Epoche, einem ſehr weit verbreiteten Beſtreben an, und bilden einen großen Moment in ihrer Geſchichte. Man beabſichtigte damit, die bisherige Kirchenverfaſſung, die noch weſentlich auf der Metropolitangewalt beruhte, zu ſpren- gen, die geſammte Kirche dem römiſchen Papſt unmittel- bar zu unterwerfen, eine Einheit der geiſtlichen Gewalt zu gründen, durch die ſie ſich nothwendig von der weltlichen 1 Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil- veſter findet ſich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn uͤber die ſpaniſche Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab- handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philoſ. hiſtor. Klaſſe p. 132.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/28>, abgerufen am 28.04.2024.