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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Siebentes Buch. Siebentes Capitel.
nicht allein für die Vertheidigung des Kaisers, sondern sey
es nun daß sie sich seinen Gegnern oder ihm selber anschlos-
sen, für den Fortgang ihrer eignen Angelegenheiten von durch-
greifendem Einfluß werden.

Nun sehen wir aber hier nicht eine centralisirte Macht
vor uns, deren Bewegungen von der Einheit Eines Willens
ausgegangen wären; sondern mehrere gleichberechtigte und
gleichstarke Fürsten, unter denen Keiner ein anerkanntes Über-
gewicht besaß, haben hier zu entscheiden. Wir müssen, um
die Motive ihres Verfahrens, ihre Lage überhaupt zu erken-
nen, den vornehmsten unter ihnen und deren Begegnissen ei-
nen Schritt näher treten.

Dann aber beginnen wir mit der Betrachtung, die
sich uns wohl schon früher aufgedrängt, welche Schwierig-
keit für die Durchführung der reformatorischen Gedanken, de-
ren letztes Fundament ein religiös-moralisches war, darin
lag, daß die Verfechter desselben, an die man den Anspruch
machte diese Prinzipien in ihrem Leben darzustellen, das doch
keineswegs immer leisteten. Sie waren Kinder einer rohen
mit Gewaltsamkeit und Fehde erfüllten Zeit: kräftige Natu-
ren, aber ihrer Leidenschaften wenig Meister.

In den Zeiten, in denen wir stehen, war ein Ereigniß
vorgekommen, welches diesen Widerstreit recht augenscheinlich
zu Tage brachte.

Wir kennen den freudigen Landgrafen, seine unermüd-
liche, von innerem Leben getragene Thätigkeit wie in seinem
Lande so in den allgemeinen Angelegenheiten, die Kühnheit
seiner Entschlüsse, die rasche Entschiedenheit, mit der er sie
ausführte; wir wissen wie er sich von der Wahrheit der

Siebentes Buch. Siebentes Capitel.
nicht allein für die Vertheidigung des Kaiſers, ſondern ſey
es nun daß ſie ſich ſeinen Gegnern oder ihm ſelber anſchloſ-
ſen, für den Fortgang ihrer eignen Angelegenheiten von durch-
greifendem Einfluß werden.

Nun ſehen wir aber hier nicht eine centraliſirte Macht
vor uns, deren Bewegungen von der Einheit Eines Willens
ausgegangen wären; ſondern mehrere gleichberechtigte und
gleichſtarke Fürſten, unter denen Keiner ein anerkanntes Über-
gewicht beſaß, haben hier zu entſcheiden. Wir müſſen, um
die Motive ihres Verfahrens, ihre Lage überhaupt zu erken-
nen, den vornehmſten unter ihnen und deren Begegniſſen ei-
nen Schritt näher treten.

Dann aber beginnen wir mit der Betrachtung, die
ſich uns wohl ſchon früher aufgedrängt, welche Schwierig-
keit für die Durchführung der reformatoriſchen Gedanken, de-
ren letztes Fundament ein religiös-moraliſches war, darin
lag, daß die Verfechter deſſelben, an die man den Anſpruch
machte dieſe Prinzipien in ihrem Leben darzuſtellen, das doch
keineswegs immer leiſteten. Sie waren Kinder einer rohen
mit Gewaltſamkeit und Fehde erfüllten Zeit: kräftige Natu-
ren, aber ihrer Leidenſchaften wenig Meiſter.

In den Zeiten, in denen wir ſtehen, war ein Ereigniß
vorgekommen, welches dieſen Widerſtreit recht augenſcheinlich
zu Tage brachte.

Wir kennen den freudigen Landgrafen, ſeine unermüd-
liche, von innerem Leben getragene Thätigkeit wie in ſeinem
Lande ſo in den allgemeinen Angelegenheiten, die Kühnheit
ſeiner Entſchlüſſe, die raſche Entſchiedenheit, mit der er ſie
ausführte; wir wiſſen wie er ſich von der Wahrheit der

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[256/0268] Siebentes Buch. Siebentes Capitel. nicht allein für die Vertheidigung des Kaiſers, ſondern ſey es nun daß ſie ſich ſeinen Gegnern oder ihm ſelber anſchloſ- ſen, für den Fortgang ihrer eignen Angelegenheiten von durch- greifendem Einfluß werden. Nun ſehen wir aber hier nicht eine centraliſirte Macht vor uns, deren Bewegungen von der Einheit Eines Willens ausgegangen wären; ſondern mehrere gleichberechtigte und gleichſtarke Fürſten, unter denen Keiner ein anerkanntes Über- gewicht beſaß, haben hier zu entſcheiden. Wir müſſen, um die Motive ihres Verfahrens, ihre Lage überhaupt zu erken- nen, den vornehmſten unter ihnen und deren Begegniſſen ei- nen Schritt näher treten. Dann aber beginnen wir mit der Betrachtung, die ſich uns wohl ſchon früher aufgedrängt, welche Schwierig- keit für die Durchführung der reformatoriſchen Gedanken, de- ren letztes Fundament ein religiös-moraliſches war, darin lag, daß die Verfechter deſſelben, an die man den Anſpruch machte dieſe Prinzipien in ihrem Leben darzuſtellen, das doch keineswegs immer leiſteten. Sie waren Kinder einer rohen mit Gewaltſamkeit und Fehde erfüllten Zeit: kräftige Natu- ren, aber ihrer Leidenſchaften wenig Meiſter. In den Zeiten, in denen wir ſtehen, war ein Ereigniß vorgekommen, welches dieſen Widerſtreit recht augenſcheinlich zu Tage brachte. Wir kennen den freudigen Landgrafen, ſeine unermüd- liche, von innerem Leben getragene Thätigkeit wie in ſeinem Lande ſo in den allgemeinen Angelegenheiten, die Kühnheit ſeiner Entſchlüſſe, die raſche Entſchiedenheit, mit der er ſie ausführte; wir wiſſen wie er ſich von der Wahrheit der

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/268>, abgerufen am 27.04.2024.