Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Nachdem aber dieses ganze System gefallen, sah man
doch auch, daß es etwas Gutes gehabt hatte und nicht ganz
zu entbehren war.

Man trug Bedenken, Ehesachen, die bisher einen so be-
deutenden Zweig der geistlichen Jurisdiction gebildet, geradezu
an die weltlichen Gerichte zu überweisen, weil der Richter,
wie die Theologen oftmals wiederholen, darin dem Gewis-
sen rathen müsse.

Ferner bedurfte der geistliche Stand, der früher jede
Unbill die er erfuhr, als ein Verbrechen gegen die allgemeine
Kirche geahndet, jetzt eines andern Schutzes: über Beleidi-
gungen der Patrone oder der Pfarrer hatte er nicht selten
zu klagen.

War aber nicht für diesen Stand selber Aufsicht nö-
thig? Gar bald fanden sich auch unter den protestantischen
Predigern Leute, die ein unordentliches Leben führten, oder
in der Lehre ihrem Gutdünken nachhiengen: unmöglich konnte
man sie gewähren lassen.

Endlich forderten öffentliche Laster ein Einschreiten auch
von kirchlicher Seite heraus; der gemeine Mann, der sonst
alle Jahr fünf, sechs Mal vor den Official citirt worden
war, und jetzt nichts mehr von demselben hörte, mußte auf
eine andre Weise in Zaum gehalten werden.

Anfangs war nun der Gedanke, einen Theil dieser Be-
fugnisse und Pflichten an die Pfarrer und Superintendenten
übergehn zu lassen, an jene den Bann und die Ehesachen,
an diese Aufsicht und Schutz. Es finden sich Citationen,
welche Luther im Namen des Pfarrers von Wittenberg in
ganz juristischer Form erlassen hat.

Allein bald zeigte sich, daß dieß nicht ausreiche. Die

Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Nachdem aber dieſes ganze Syſtem gefallen, ſah man
doch auch, daß es etwas Gutes gehabt hatte und nicht ganz
zu entbehren war.

Man trug Bedenken, Eheſachen, die bisher einen ſo be-
deutenden Zweig der geiſtlichen Jurisdiction gebildet, geradezu
an die weltlichen Gerichte zu überweiſen, weil der Richter,
wie die Theologen oftmals wiederholen, darin dem Gewiſ-
ſen rathen müſſe.

Ferner bedurfte der geiſtliche Stand, der früher jede
Unbill die er erfuhr, als ein Verbrechen gegen die allgemeine
Kirche geahndet, jetzt eines andern Schutzes: über Beleidi-
gungen der Patrone oder der Pfarrer hatte er nicht ſelten
zu klagen.

War aber nicht für dieſen Stand ſelber Aufſicht nö-
thig? Gar bald fanden ſich auch unter den proteſtantiſchen
Predigern Leute, die ein unordentliches Leben führten, oder
in der Lehre ihrem Gutdünken nachhiengen: unmöglich konnte
man ſie gewähren laſſen.

Endlich forderten öffentliche Laſter ein Einſchreiten auch
von kirchlicher Seite heraus; der gemeine Mann, der ſonſt
alle Jahr fünf, ſechs Mal vor den Official citirt worden
war, und jetzt nichts mehr von demſelben hörte, mußte auf
eine andre Weiſe in Zaum gehalten werden.

Anfangs war nun der Gedanke, einen Theil dieſer Be-
fugniſſe und Pflichten an die Pfarrer und Superintendenten
übergehn zu laſſen, an jene den Bann und die Eheſachen,
an dieſe Aufſicht und Schutz. Es finden ſich Citationen,
welche Luther im Namen des Pfarrers von Wittenberg in
ganz juriſtiſcher Form erlaſſen hat.

Allein bald zeigte ſich, daß dieß nicht ausreiche. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0448" n="436"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Siebentes Capitel</hi>.</fw><lb/>
            <p>Nachdem aber die&#x017F;es ganze Sy&#x017F;tem gefallen, &#x017F;ah man<lb/>
doch auch, daß es etwas Gutes gehabt hatte und nicht ganz<lb/>
zu entbehren war.</p><lb/>
            <p>Man trug Bedenken, Ehe&#x017F;achen, die bisher einen &#x017F;o be-<lb/>
deutenden Zweig der gei&#x017F;tlichen Jurisdiction gebildet, geradezu<lb/>
an die weltlichen Gerichte zu überwei&#x017F;en, weil der Richter,<lb/>
wie die Theologen oftmals wiederholen, darin dem Gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en rathen mü&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
            <p>Ferner bedurfte der gei&#x017F;tliche Stand, der früher jede<lb/>
Unbill die er erfuhr, als ein Verbrechen gegen die allgemeine<lb/>
Kirche geahndet, jetzt eines andern Schutzes: über Beleidi-<lb/>
gungen der Patrone oder der Pfarrer hatte er nicht &#x017F;elten<lb/>
zu klagen.</p><lb/>
            <p>War aber nicht für die&#x017F;en Stand &#x017F;elber Auf&#x017F;icht nö-<lb/>
thig? Gar bald fanden &#x017F;ich auch unter den prote&#x017F;tanti&#x017F;chen<lb/>
Predigern Leute, die ein unordentliches Leben führten, oder<lb/>
in der Lehre ihrem Gutdünken nachhiengen: unmöglich konnte<lb/>
man &#x017F;ie gewähren la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Endlich forderten öffentliche La&#x017F;ter ein Ein&#x017F;chreiten auch<lb/>
von kirchlicher Seite heraus; der gemeine Mann, der &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
alle Jahr fünf, &#x017F;echs Mal vor den Official citirt worden<lb/>
war, und jetzt nichts mehr von dem&#x017F;elben hörte, mußte auf<lb/>
eine andre Wei&#x017F;e in Zaum gehalten werden.</p><lb/>
            <p>Anfangs war nun der Gedanke, einen Theil die&#x017F;er Be-<lb/>
fugni&#x017F;&#x017F;e und Pflichten an die Pfarrer und Superintendenten<lb/>
übergehn zu la&#x017F;&#x017F;en, an jene den Bann und die Ehe&#x017F;achen,<lb/>
an die&#x017F;e Auf&#x017F;icht und Schutz. Es finden &#x017F;ich Citationen,<lb/>
welche Luther im Namen des Pfarrers von Wittenberg in<lb/>
ganz juri&#x017F;ti&#x017F;cher Form erla&#x017F;&#x017F;en hat.</p><lb/>
            <p>Allein bald zeigte &#x017F;ich, daß dieß nicht ausreiche. Die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0448] Zehntes Buch. Siebentes Capitel. Nachdem aber dieſes ganze Syſtem gefallen, ſah man doch auch, daß es etwas Gutes gehabt hatte und nicht ganz zu entbehren war. Man trug Bedenken, Eheſachen, die bisher einen ſo be- deutenden Zweig der geiſtlichen Jurisdiction gebildet, geradezu an die weltlichen Gerichte zu überweiſen, weil der Richter, wie die Theologen oftmals wiederholen, darin dem Gewiſ- ſen rathen müſſe. Ferner bedurfte der geiſtliche Stand, der früher jede Unbill die er erfuhr, als ein Verbrechen gegen die allgemeine Kirche geahndet, jetzt eines andern Schutzes: über Beleidi- gungen der Patrone oder der Pfarrer hatte er nicht ſelten zu klagen. War aber nicht für dieſen Stand ſelber Aufſicht nö- thig? Gar bald fanden ſich auch unter den proteſtantiſchen Predigern Leute, die ein unordentliches Leben führten, oder in der Lehre ihrem Gutdünken nachhiengen: unmöglich konnte man ſie gewähren laſſen. Endlich forderten öffentliche Laſter ein Einſchreiten auch von kirchlicher Seite heraus; der gemeine Mann, der ſonſt alle Jahr fünf, ſechs Mal vor den Official citirt worden war, und jetzt nichts mehr von demſelben hörte, mußte auf eine andre Weiſe in Zaum gehalten werden. Anfangs war nun der Gedanke, einen Theil dieſer Be- fugniſſe und Pflichten an die Pfarrer und Superintendenten übergehn zu laſſen, an jene den Bann und die Eheſachen, an dieſe Aufſicht und Schutz. Es finden ſich Citationen, welche Luther im Namen des Pfarrers von Wittenberg in ganz juriſtiſcher Form erlaſſen hat. Allein bald zeigte ſich, daß dieß nicht ausreiche. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/448
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/448>, abgerufen am 07.05.2024.