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Reichardt, Christian: Land- u. Garten-Schatzes. Bd. 2. Erfurt, 1753.

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6. Cap. Vom Oculiren.
Eintrit des Saftes in einem-Jahre zu zweyen-
malen geschiehet, so folgt auch, daß die gemeine
Meinung, welcher auch der Herr Abt von Val-
lemont, und noch andere beypflichten, daß jähr-
lich an den Bäumen nur ein neuer Cirkel des
Holzes zwischen der Rinde und Stamme wachse,
ungegründet sey. Jch bin vielmehr der festen
Meinung, daß wegen des zweymaligen Eintrits
des Saftes und des daher entstehenden andern
Triebes in den Bäumen alle Jahr zwey Cirkel
werden müssen. Es wird auch durch den zwey-
ten Trieb der Cirkel kleiner, denn wenn man ei-
nen Baum durchschneidet, so wird man ordentlich
einen starken und gleich darneben einen schwachen
Cirkel wechselsweise antreffen. Es ist auch der
Cirkel des andern Triebes an der Farbe kentlich
und leichtlich zu unterscheiden, sonderlich aber, wenn
es keinen guten und langen Herbst gibt.

Damit ich aber hinter diese Wahrheit recht
kommen und in meiner Meinung bestärket werden
möchte, so muste mir mein Gärtner 1750 im
December einen starken Trieb von einem Wei-
den-Baume, welcher vom Frühjahre an bis in
den Herbst gewachsen war, und die Dicke eines
Fingers erreichet hatte, und ferner eine Stange
oder Wuchs von zwey und noch eine von drey
Jahreu bringen. An dem ersten jährigen Trie-
be, als ich solchen genau betrachtete, ohne etwas
weiteres damit vorzunehmen, sahe ich alsobald
einen Absatz, welcher den Ort des zweyten Trie-
bes so deutlich und eigentlich vorstellete, daß es

nicht
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6. Cap. Vom Oculiren.
Eintrit des Saftes in einem-Jahre zu zweyen-
malen geſchiehet, ſo folgt auch, daß die gemeine
Meinung, welcher auch der Herr Abt von Val-
lemont, und noch andere beypflichten, daß jaͤhr-
lich an den Baͤumen nur ein neuer Cirkel des
Holzes zwiſchen der Rinde und Stamme wachſe,
ungegruͤndet ſey. Jch bin vielmehr der feſten
Meinung, daß wegen des zweymaligen Eintrits
des Saftes und des daher entſtehenden andern
Triebes in den Baͤumen alle Jahr zwey Cirkel
werden muͤſſen. Es wird auch durch den zwey-
ten Trieb der Cirkel kleiner, denn wenn man ei-
nen Baum durchſchneidet, ſo wird man ordentlich
einen ſtarken und gleich darneben einen ſchwachen
Cirkel wechſelsweiſe antreffen. Es iſt auch der
Cirkel des andern Triebes an der Farbe kentlich
und leichtlich zu unterſcheiden, ſonderlich aber, wenn
es keinen guten und langen Herbſt gibt.

Damit ich aber hinter dieſe Wahrheit recht
kommen und in meiner Meinung beſtaͤrket werden
moͤchte, ſo muſte mir mein Gaͤrtner 1750 im
December einen ſtarken Trieb von einem Wei-
den-Baume, welcher vom Fruͤhjahre an bis in
den Herbſt gewachſen war, und die Dicke eines
Fingers erreichet hatte, und ferner eine Stange
oder Wuchs von zwey und noch eine von drey
Jahreu bringen. An dem erſten jaͤhrigen Trie-
be, als ich ſolchen genau betrachtete, ohne etwas
weiteres damit vorzunehmen, ſahe ich alſobald
einen Abſatz, welcher den Ort des zweyten Trie-
bes ſo deutlich und eigentlich vorſtellete, daß es

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[87/0119] 6. Cap. Vom Oculiren. Eintrit des Saftes in einem-Jahre zu zweyen- malen geſchiehet, ſo folgt auch, daß die gemeine Meinung, welcher auch der Herr Abt von Val- lemont, und noch andere beypflichten, daß jaͤhr- lich an den Baͤumen nur ein neuer Cirkel des Holzes zwiſchen der Rinde und Stamme wachſe, ungegruͤndet ſey. Jch bin vielmehr der feſten Meinung, daß wegen des zweymaligen Eintrits des Saftes und des daher entſtehenden andern Triebes in den Baͤumen alle Jahr zwey Cirkel werden muͤſſen. Es wird auch durch den zwey- ten Trieb der Cirkel kleiner, denn wenn man ei- nen Baum durchſchneidet, ſo wird man ordentlich einen ſtarken und gleich darneben einen ſchwachen Cirkel wechſelsweiſe antreffen. Es iſt auch der Cirkel des andern Triebes an der Farbe kentlich und leichtlich zu unterſcheiden, ſonderlich aber, wenn es keinen guten und langen Herbſt gibt. Damit ich aber hinter dieſe Wahrheit recht kommen und in meiner Meinung beſtaͤrket werden moͤchte, ſo muſte mir mein Gaͤrtner 1750 im December einen ſtarken Trieb von einem Wei- den-Baume, welcher vom Fruͤhjahre an bis in den Herbſt gewachſen war, und die Dicke eines Fingers erreichet hatte, und ferner eine Stange oder Wuchs von zwey und noch eine von drey Jahreu bringen. An dem erſten jaͤhrigen Trie- be, als ich ſolchen genau betrachtete, ohne etwas weiteres damit vorzunehmen, ſahe ich alſobald einen Abſatz, welcher den Ort des zweyten Trie- bes ſo deutlich und eigentlich vorſtellete, daß es nicht F 4

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Zitationshilfe: Reichardt, Christian: Land- u. Garten-Schatzes. Bd. 2. Erfurt, 1753, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reichart_landschatz02_1753/119>, abgerufen am 11.05.2024.