Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbstbewusstseyn, die Besonnenheit und Auf-
merksamkeit charakterisirt. Dann sucht man die
Gesetze, nach welchen sich die Arten folgen und
zusammenhäufen, in der Natur der Seele und
ihres Organs auf, wodurch man zugleich zur
Erkenntniss der Causal-Verknüpfung gelangt,
die sie in den Compositionen unter sich haben.

Oben habe ich schon einige einfache Ano-
malieen der Seelenvermögen berührt. Jetzt will
ich noch ein Paar Fälle zufügen, die sich auf das
Fortschreiten der Seele in ihren Wir-
kungen
beziehn, sofern dasselbe gehemmt oder
über die Norm beschleuniget werden kann.

1) Die Seele starrt zuweilen un-
verwandt auf ein Object, oder auf ei-
nen engen Kreis verwandter Objekte
hin
, wie ein Thier, das von einer Klapper-
schlange ins Gesicht gefasst ist. Sie feiert nicht,
sondern wirkt; es fehlt ihr aber die Mobilität
zum Fortschreiten in ihren Handlungen. Diesen
Zustand derselben werde ich Catalepsie ihres
Vorstellungsvermögens
nennen. Die
Grade derselben sind verschieden. Gesunde Men-
schen wiederholen zuweilen ein Wort ohne
Wechsel, oder starren unverwandt ein nahe ge-
legnes Object an, ohne klares Bewusstseyn ihrer
Existenz, und bemerken erst beim Aufhören des
Anfalls, dass sie abwesend waren. Sie sind da-
bey im Stande, sich zu bewegen und gewöhn-
liche Gegenstände wahrzunehmen, doch scheint

Selbſtbewuſstſeyn, die Beſonnenheit und Auf-
merkſamkeit charakteriſirt. Dann ſucht man die
Geſetze, nach welchen ſich die Arten folgen und
zuſammenhäufen, in der Natur der Seele und
ihres Organs auf, wodurch man zugleich zur
Erkenntniſs der Cauſal-Verknüpfung gelangt,
die ſie in den Compoſitionen unter ſich haben.

Oben habe ich ſchon einige einfache Ano-
malieen der Seelenvermögen berührt. Jetzt will
ich noch ein Paar Fälle zufügen, die ſich auf das
Fortſchreiten der Seele in ihren Wir-
kungen
beziehn, ſofern daſſelbe gehemmt oder
über die Norm beſchleuniget werden kann.

1) Die Seele ſtarrt zuweilen un-
verwandt auf ein Object, oder auf ei-
nen engen Kreis verwandter Objekte
hin
, wie ein Thier, das von einer Klapper-
ſchlange ins Geſicht gefaſst iſt. Sie feiert nicht,
ſondern wirkt; es fehlt ihr aber die Mobilität
zum Fortſchreiten in ihren Handlungen. Dieſen
Zuſtand derſelben werde ich Catalepſie ihres
Vorſtellungsvermögens
nennen. Die
Grade derſelben ſind verſchieden. Geſunde Men-
ſchen wiederholen zuweilen ein Wort ohne
Wechſel, oder ſtarren unverwandt ein nahe ge-
legnes Object an, ohne klares Bewuſstſeyn ihrer
Exiſtenz, und bemerken erſt beim Aufhören des
Anfalls, daſs ſie abweſend waren. Sie ſind da-
bey im Stande, ſich zu bewegen und gewöhn-
liche Gegenſtände wahrzunehmen, doch ſcheint

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0130" n="125"/>
Selb&#x017F;tbewu&#x017F;st&#x017F;eyn, die Be&#x017F;onnenheit und Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit charakteri&#x017F;irt. Dann &#x017F;ucht man die<lb/>
Ge&#x017F;etze, nach welchen &#x017F;ich die Arten folgen und<lb/>
zu&#x017F;ammenhäufen, in der Natur der Seele und<lb/>
ihres Organs auf, wodurch man zugleich zur<lb/>
Erkenntni&#x017F;s der Cau&#x017F;al-Verknüpfung gelangt,<lb/>
die &#x017F;ie in den Compo&#x017F;itionen unter &#x017F;ich haben.</p><lb/>
          <p>Oben habe ich &#x017F;chon einige einfache Ano-<lb/>
malieen der Seelenvermögen berührt. Jetzt will<lb/>
ich noch ein Paar Fälle zufügen, die &#x017F;ich auf das<lb/><hi rendition="#g">Fort&#x017F;chreiten der Seele in ihren Wir-<lb/>
kungen</hi> beziehn, &#x017F;ofern da&#x017F;&#x017F;elbe gehemmt oder<lb/>
über die Norm be&#x017F;chleuniget werden kann.</p><lb/>
          <p>1) <hi rendition="#g">Die Seele &#x017F;tarrt zuweilen un-<lb/>
verwandt auf ein Object, oder auf ei-<lb/>
nen engen Kreis verwandter Objekte<lb/>
hin</hi>, wie ein Thier, das von einer Klapper-<lb/>
&#x017F;chlange ins Ge&#x017F;icht gefa&#x017F;st i&#x017F;t. Sie feiert nicht,<lb/>
&#x017F;ondern wirkt; es fehlt ihr aber die Mobilität<lb/>
zum Fort&#x017F;chreiten in ihren Handlungen. Die&#x017F;en<lb/>
Zu&#x017F;tand der&#x017F;elben werde ich <hi rendition="#g">Catalep&#x017F;ie ihres<lb/>
Vor&#x017F;tellungsvermögens</hi> nennen. Die<lb/>
Grade der&#x017F;elben &#x017F;ind ver&#x017F;chieden. Ge&#x017F;unde Men-<lb/>
&#x017F;chen wiederholen zuweilen ein Wort ohne<lb/>
Wech&#x017F;el, oder &#x017F;tarren unverwandt ein nahe ge-<lb/>
legnes Object an, ohne klares Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn ihrer<lb/>
Exi&#x017F;tenz, und bemerken er&#x017F;t beim Aufhören des<lb/>
Anfalls, da&#x017F;s &#x017F;ie abwe&#x017F;end waren. Sie &#x017F;ind da-<lb/>
bey im Stande, &#x017F;ich zu bewegen und gewöhn-<lb/>
liche Gegen&#x017F;tände wahrzunehmen, doch &#x017F;cheint<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0130] Selbſtbewuſstſeyn, die Beſonnenheit und Auf- merkſamkeit charakteriſirt. Dann ſucht man die Geſetze, nach welchen ſich die Arten folgen und zuſammenhäufen, in der Natur der Seele und ihres Organs auf, wodurch man zugleich zur Erkenntniſs der Cauſal-Verknüpfung gelangt, die ſie in den Compoſitionen unter ſich haben. Oben habe ich ſchon einige einfache Ano- malieen der Seelenvermögen berührt. Jetzt will ich noch ein Paar Fälle zufügen, die ſich auf das Fortſchreiten der Seele in ihren Wir- kungen beziehn, ſofern daſſelbe gehemmt oder über die Norm beſchleuniget werden kann. 1) Die Seele ſtarrt zuweilen un- verwandt auf ein Object, oder auf ei- nen engen Kreis verwandter Objekte hin, wie ein Thier, das von einer Klapper- ſchlange ins Geſicht gefaſst iſt. Sie feiert nicht, ſondern wirkt; es fehlt ihr aber die Mobilität zum Fortſchreiten in ihren Handlungen. Dieſen Zuſtand derſelben werde ich Catalepſie ihres Vorſtellungsvermögens nennen. Die Grade derſelben ſind verſchieden. Geſunde Men- ſchen wiederholen zuweilen ein Wort ohne Wechſel, oder ſtarren unverwandt ein nahe ge- legnes Object an, ohne klares Bewuſstſeyn ihrer Exiſtenz, und bemerken erſt beim Aufhören des Anfalls, daſs ſie abweſend waren. Sie ſind da- bey im Stande, ſich zu bewegen und gewöhn- liche Gegenſtände wahrzunehmen, doch ſcheint

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/130
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/130>, abgerufen am 29.04.2024.