Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

schen Inhalts und ein Theil der Semiotik, der
noch einer genaueren Erwägung bedarf. Die
Bestätigung des ärztlichen Urtheils ist Sache der
Obrigkeit, und geschieht am besten nach den
Formalitäten, die in den preussischen Gesetzen
vorgeschrieben sind.

Tollhäuser müssen daher öffentliche Anstal-
ten seyn, und unter der speciellen Aufsicht des
Staats stehn. Privat-Tollhäuser, wie sie sonst
in England waren, sind der bürgerlichen Sicher-
heit gefährlich. Mir sind Fälle bekannt, dass
selbst in öffentlichen Tollhäusern Menschen ein-
gesperrt gewesen sind, die nicht verrückt waren.
Wie viel leichter ist dies in Privat-Anstalten
möglich, in welchen die Aufnahme ohne öffent-
liche Auctorität geschieht, und deren Inhaber
keine Untersuchung fürchten dürfen. Sie sind
Privat-Gefängnisse, für welche Niemand sicher
ist, der zwischen Habsucht und Bossheit ins Ge-
dränge kömmt. Der Eingesperrte kann in le-
benslänglicher Gefangenschaft verschmachten, ist
der grausamsten Behandlung ausgesetzt, selbst
nicht seines Lebens sicher, weil diese Oerter ausser
der Sphäre der Policey liegen. Ja man hat sogar
Fälle, dass bey einer durch öffentliche Auctorität
veranstalteten Untersuchung der Privat-Tollhäuser
die Kerkermeister derselben die Vernünftigen so
lang bey Seite geschafft haben, damit sie über
ihre Lage den Beschauern keine Vorstellung ma-
chen könnten.


G g

ſchen Inhalts und ein Theil der Semiotik, der
noch einer genaueren Erwägung bedarf. Die
Beſtätigung des ärztlichen Urtheils iſt Sache der
Obrigkeit, und geſchieht am beſten nach den
Formalitäten, die in den preuſsiſchen Geſetzen
vorgeſchrieben ſind.

Tollhäuſer müſſen daher öffentliche Anſtal-
ten ſeyn, und unter der ſpeciellen Aufſicht des
Staats ſtehn. Privat-Tollhäuſer, wie ſie ſonſt
in England waren, ſind der bürgerlichen Sicher-
heit gefährlich. Mir ſind Fälle bekannt, daſs
ſelbſt in öffentlichen Tollhäuſern Menſchen ein-
geſperrt geweſen ſind, die nicht verrückt waren.
Wie viel leichter iſt dies in Privat-Anſtalten
möglich, in welchen die Aufnahme ohne öffent-
liche Auctorität geſchieht, und deren Inhaber
keine Unterſuchung fürchten dürfen. Sie ſind
Privat-Gefängniſſe, für welche Niemand ſicher
iſt, der zwiſchen Habſucht und Boſsheit ins Ge-
dränge kömmt. Der Eingeſperrte kann in le-
benslänglicher Gefangenſchaft verſchmachten, iſt
der grauſamſten Behandlung ausgeſetzt, ſelbſt
nicht ſeines Lebens ſicher, weil dieſe Oerter auſser
der Sphäre der Policey liegen. Ja man hat ſogar
Fälle, daſs bey einer durch öffentliche Auctorität
veranſtalteten Unterſuchung der Privat-Tollhäuſer
die Kerkermeiſter derſelben die Vernünftigen ſo
lang bey Seite geſchafft haben, damit ſie über
ihre Lage den Beſchauern keine Vorſtellung ma-
chen könnten.


G g
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0470" n="465"/>
&#x017F;chen Inhalts und ein Theil der Semiotik, der<lb/>
noch einer genaueren Erwägung bedarf. Die<lb/>
Be&#x017F;tätigung des ärztlichen Urtheils i&#x017F;t Sache der<lb/>
Obrigkeit, und ge&#x017F;chieht am be&#x017F;ten nach den<lb/>
Formalitäten, die in den preu&#x017F;si&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen<lb/>
vorge&#x017F;chrieben &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Tollhäu&#x017F;er mü&#x017F;&#x017F;en daher öffentliche An&#x017F;tal-<lb/>
ten &#x017F;eyn, und unter der &#x017F;peciellen Auf&#x017F;icht des<lb/>
Staats &#x017F;tehn. Privat-Tollhäu&#x017F;er, wie &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
in England waren, &#x017F;ind der bürgerlichen Sicher-<lb/>
heit gefährlich. Mir &#x017F;ind Fälle bekannt, da&#x017F;s<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in öffentlichen Tollhäu&#x017F;ern Men&#x017F;chen ein-<lb/>
ge&#x017F;perrt gewe&#x017F;en &#x017F;ind, die nicht verrückt waren.<lb/>
Wie viel leichter i&#x017F;t dies in Privat-An&#x017F;talten<lb/>
möglich, in welchen die Aufnahme ohne öffent-<lb/>
liche Auctorität ge&#x017F;chieht, und deren Inhaber<lb/>
keine Unter&#x017F;uchung fürchten dürfen. Sie &#x017F;ind<lb/>
Privat-Gefängni&#x017F;&#x017F;e, für welche Niemand &#x017F;icher<lb/>
i&#x017F;t, der zwi&#x017F;chen Hab&#x017F;ucht und Bo&#x017F;sheit ins Ge-<lb/>
dränge kömmt. Der Einge&#x017F;perrte kann in le-<lb/>
benslänglicher Gefangen&#x017F;chaft ver&#x017F;chmachten, i&#x017F;t<lb/>
der grau&#x017F;am&#x017F;ten Behandlung ausge&#x017F;etzt, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nicht &#x017F;eines Lebens &#x017F;icher, weil die&#x017F;e Oerter au&#x017F;ser<lb/>
der Sphäre der Policey liegen. Ja man hat &#x017F;ogar<lb/>
Fälle, da&#x017F;s bey einer durch öffentliche Auctorität<lb/>
veran&#x017F;talteten Unter&#x017F;uchung der Privat-Tollhäu&#x017F;er<lb/>
die Kerkermei&#x017F;ter der&#x017F;elben die Vernünftigen &#x017F;o<lb/>
lang bey Seite ge&#x017F;chafft haben, damit &#x017F;ie über<lb/>
ihre Lage den Be&#x017F;chauern keine Vor&#x017F;tellung ma-<lb/>
chen könnten.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">G g</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[465/0470] ſchen Inhalts und ein Theil der Semiotik, der noch einer genaueren Erwägung bedarf. Die Beſtätigung des ärztlichen Urtheils iſt Sache der Obrigkeit, und geſchieht am beſten nach den Formalitäten, die in den preuſsiſchen Geſetzen vorgeſchrieben ſind. Tollhäuſer müſſen daher öffentliche Anſtal- ten ſeyn, und unter der ſpeciellen Aufſicht des Staats ſtehn. Privat-Tollhäuſer, wie ſie ſonſt in England waren, ſind der bürgerlichen Sicher- heit gefährlich. Mir ſind Fälle bekannt, daſs ſelbſt in öffentlichen Tollhäuſern Menſchen ein- geſperrt geweſen ſind, die nicht verrückt waren. Wie viel leichter iſt dies in Privat-Anſtalten möglich, in welchen die Aufnahme ohne öffent- liche Auctorität geſchieht, und deren Inhaber keine Unterſuchung fürchten dürfen. Sie ſind Privat-Gefängniſſe, für welche Niemand ſicher iſt, der zwiſchen Habſucht und Boſsheit ins Ge- dränge kömmt. Der Eingeſperrte kann in le- benslänglicher Gefangenſchaft verſchmachten, iſt der grauſamſten Behandlung ausgeſetzt, ſelbſt nicht ſeines Lebens ſicher, weil dieſe Oerter auſser der Sphäre der Policey liegen. Ja man hat ſogar Fälle, daſs bey einer durch öffentliche Auctorität veranſtalteten Unterſuchung der Privat-Tollhäuſer die Kerkermeiſter derſelben die Vernünftigen ſo lang bey Seite geſchafft haben, damit ſie über ihre Lage den Beſchauern keine Vorſtellung ma- chen könnten. G g

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/470
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/470>, abgerufen am 03.05.2024.