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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Trientalis europaea (die beiden letzteren nicht über 2200 Meter
hinauf).

Den trockenen, sonnigen Fels und seine ersten Verwitterungs-
produkte überziehen vornehmlich die kleinen zierlichen Ericineen, wie
Arctostaphylus alpina, Andromeda nana, Azalea procumbens, die
Gattungen Cassiope und Phyllodoce zuweilen in Gesellschaft von Em-
petrum nigrum. Daneben treffen wir Saxifraga androsacea und Dia-
pensia Lapponica, die einzigen unter all diesen Gewächsen, welche
dichte Polster bilden. Anemonen, Primeln, Steinbreche und andere
bekannte alpine Formen treten im allgemeinen mehr zurück. Man
wird ferner aus der Zusammenstellung erkennen, dass glaciale Ra-
nunkeln fehlen, Papilionaceen, Saxifrageen und Gentianeen aber nur
schwach vertreten sind. -- Besonders häufig und schon von 1600 Meter
Höhe an erscheint Schizocodon soldanelloides, das japanische Alpen-
glöckchen. Nicht blos in seiner Blüthenform, sondern auch in der Art
des Auftretens erinnert es lebhaft an Soldanella alpina, indem es oft
mit seinen schönen Blüthenglöckchen die abschmelzenden Schnee-
schrammen umsäumt und hier im Spätsommer sich entwickelt, wäh-
rend es 500, ja 1000 Meter tiefer bereits im Frühling zur Blüthe
kommt. Aber es ist viel grösser und schöner als jener Alpenbewohner
und, wie schon angedeutet, über eine viel grössere Höhenzone aus-
gebreitet. Die runden herzförmigen Blätter sind an den Rändern
zurückgeschlagen und auf der Unterseite häufig geröthet, wie die stets
rothen Blüthenstiele. Diese tragen in einseitswendiger kurzer Traube
3--8 Blüthen. Der glockige Kelch ist fünftheilig, die grosse Krone
glockenförmig, rosafarben, nach violett neigend, mit fünf zerschlitzten
Zipfeln und einer kleinen Nebenkrone. Hinzu kommen 6 Staubge-
fässe mit weissen Antheren und ein Griffel.

Aus dem im Vorstehenden über die Flora des japanischen Hoch-
gebirges Gesagten ergibt sich, dass sie ein eigenthümliches Gemisch
alpiner und hochnordischer Pflanzenformen ist, aus Arten, die zum
Theil in der subarctischen Region der alten und neuen Welt eine
weite Verbreitung haben oder selbst in schattigen Wäldern der nörd-
lich gemässigten Zone ganz gewöhnlich und die weiter südlich in die
Gebirge emporgestiegen sind, neben einer geringen Anzahl bis jetzt
nur in Japan aufgefundener Species. Es ist eine Flora, welche ohne
Zweifel aus Ostsibirien und Kamtschatka stammt, mit den kalten und
heftigen Monsunen und Meeresströmungen des Winters südwärts und
durch Thalwinde bergan gelangte. Diese Wanderung lässt sich sowohl
nach der Breite als auch nach der Höhe verfolgen und zeigt sich am
deutlichsten bei jenen hohen vulkanischen Gipfeln, die ihre eruptive

VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Trientalis europaea (die beiden letzteren nicht über 2200 Meter
hinauf).

Den trockenen, sonnigen Fels und seine ersten Verwitterungs-
produkte überziehen vornehmlich die kleinen zierlichen Ericineen, wie
Arctostaphylus alpina, Andromeda nana, Azalea procumbens, die
Gattungen Cassiope und Phyllodoce zuweilen in Gesellschaft von Em-
petrum nigrum. Daneben treffen wir Saxifraga androsacea und Dia-
pensia Lapponica, die einzigen unter all diesen Gewächsen, welche
dichte Polster bilden. Anemonen, Primeln, Steinbreche und andere
bekannte alpine Formen treten im allgemeinen mehr zurück. Man
wird ferner aus der Zusammenstellung erkennen, dass glaciale Ra-
nunkeln fehlen, Papilionaceen, Saxifrageen und Gentianeen aber nur
schwach vertreten sind. — Besonders häufig und schon von 1600 Meter
Höhe an erscheint Schizocodon soldanelloides, das japanische Alpen-
glöckchen. Nicht blos in seiner Blüthenform, sondern auch in der Art
des Auftretens erinnert es lebhaft an Soldanella alpina, indem es oft
mit seinen schönen Blüthenglöckchen die abschmelzenden Schnee-
schrammen umsäumt und hier im Spätsommer sich entwickelt, wäh-
rend es 500, ja 1000 Meter tiefer bereits im Frühling zur Blüthe
kommt. Aber es ist viel grösser und schöner als jener Alpenbewohner
und, wie schon angedeutet, über eine viel grössere Höhenzone aus-
gebreitet. Die runden herzförmigen Blätter sind an den Rändern
zurückgeschlagen und auf der Unterseite häufig geröthet, wie die stets
rothen Blüthenstiele. Diese tragen in einseitswendiger kurzer Traube
3—8 Blüthen. Der glockige Kelch ist fünftheilig, die grosse Krone
glockenförmig, rosafarben, nach violett neigend, mit fünf zerschlitzten
Zipfeln und einer kleinen Nebenkrone. Hinzu kommen 6 Staubge-
fässe mit weissen Antheren und ein Griffel.

Aus dem im Vorstehenden über die Flora des japanischen Hoch-
gebirges Gesagten ergibt sich, dass sie ein eigenthümliches Gemisch
alpiner und hochnordischer Pflanzenformen ist, aus Arten, die zum
Theil in der subarctischen Region der alten und neuen Welt eine
weite Verbreitung haben oder selbst in schattigen Wäldern der nörd-
lich gemässigten Zone ganz gewöhnlich und die weiter südlich in die
Gebirge emporgestiegen sind, neben einer geringen Anzahl bis jetzt
nur in Japan aufgefundener Species. Es ist eine Flora, welche ohne
Zweifel aus Ostsibirien und Kamtschatka stammt, mit den kalten und
heftigen Monsunen und Meeresströmungen des Winters südwärts und
durch Thalwinde bergan gelangte. Diese Wanderung lässt sich sowohl
nach der Breite als auch nach der Höhe verfolgen und zeigt sich am
deutlichsten bei jenen hohen vulkanischen Gipfeln, die ihre eruptive

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[178/0202] VII. Die Flora der japanischen Inseln. Trientalis europaea (die beiden letzteren nicht über 2200 Meter hinauf). Den trockenen, sonnigen Fels und seine ersten Verwitterungs- produkte überziehen vornehmlich die kleinen zierlichen Ericineen, wie Arctostaphylus alpina, Andromeda nana, Azalea procumbens, die Gattungen Cassiope und Phyllodoce zuweilen in Gesellschaft von Em- petrum nigrum. Daneben treffen wir Saxifraga androsacea und Dia- pensia Lapponica, die einzigen unter all diesen Gewächsen, welche dichte Polster bilden. Anemonen, Primeln, Steinbreche und andere bekannte alpine Formen treten im allgemeinen mehr zurück. Man wird ferner aus der Zusammenstellung erkennen, dass glaciale Ra- nunkeln fehlen, Papilionaceen, Saxifrageen und Gentianeen aber nur schwach vertreten sind. — Besonders häufig und schon von 1600 Meter Höhe an erscheint Schizocodon soldanelloides, das japanische Alpen- glöckchen. Nicht blos in seiner Blüthenform, sondern auch in der Art des Auftretens erinnert es lebhaft an Soldanella alpina, indem es oft mit seinen schönen Blüthenglöckchen die abschmelzenden Schnee- schrammen umsäumt und hier im Spätsommer sich entwickelt, wäh- rend es 500, ja 1000 Meter tiefer bereits im Frühling zur Blüthe kommt. Aber es ist viel grösser und schöner als jener Alpenbewohner und, wie schon angedeutet, über eine viel grössere Höhenzone aus- gebreitet. Die runden herzförmigen Blätter sind an den Rändern zurückgeschlagen und auf der Unterseite häufig geröthet, wie die stets rothen Blüthenstiele. Diese tragen in einseitswendiger kurzer Traube 3—8 Blüthen. Der glockige Kelch ist fünftheilig, die grosse Krone glockenförmig, rosafarben, nach violett neigend, mit fünf zerschlitzten Zipfeln und einer kleinen Nebenkrone. Hinzu kommen 6 Staubge- fässe mit weissen Antheren und ein Griffel. Aus dem im Vorstehenden über die Flora des japanischen Hoch- gebirges Gesagten ergibt sich, dass sie ein eigenthümliches Gemisch alpiner und hochnordischer Pflanzenformen ist, aus Arten, die zum Theil in der subarctischen Region der alten und neuen Welt eine weite Verbreitung haben oder selbst in schattigen Wäldern der nörd- lich gemässigten Zone ganz gewöhnlich und die weiter südlich in die Gebirge emporgestiegen sind, neben einer geringen Anzahl bis jetzt nur in Japan aufgefundener Species. Es ist eine Flora, welche ohne Zweifel aus Ostsibirien und Kamtschatka stammt, mit den kalten und heftigen Monsunen und Meeresströmungen des Winters südwärts und durch Thalwinde bergan gelangte. Diese Wanderung lässt sich sowohl nach der Breite als auch nach der Höhe verfolgen und zeigt sich am deutlichsten bei jenen hohen vulkanischen Gipfeln, die ihre eruptive

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/202>, abgerufen am 29.04.2024.