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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.

Nach der alten Sage erschuf das Götterpaar Isanagi und Isa-
nami
, wie bereits früher erwähnt wurde, nicht blos die japanische
Inselwelt, sondern auch das Herrschergeschlecht derselben. Von den
fünf auf Awa-jima erzeugten Kindern dieses Schöpferpaares wurden
die beiden ältesten, zwei Töchter, von Isanagi am meisten geliebt
und darum als Herrscherinnen des Tages und der Nacht an den
Himmel erhoben. Die Sonnengöttin Amaterasu-o-mi-kami (chi-
nesisch Tensho-Daijin) *), d. h. die vom Himmel schauende Gott-
heit, war nach einer Legende aus dem linken **) Auge des Gottes
beim Waschen im Meere erzeugt worden, während Tsuki-no-kami,
die Mondgöttin, aus dem rechten Auge entstand. Ein Enkel der
Sonnengöttin war Ninigi-no-Mikoto ***), den sie zur Regierung
Japans vom Himmel sandte. Mit seinem Himmelsschwerte (Ama-no-
sakahoko) sondierte er den Boden unter sich und liess sich dann auf
dem Takachiho von Kirishima-yama an der Grenze von Hiuga und
Osumi nieder, um von hier aus seine Herrschaft anzutreten +). Sein
Nachkomme ist Jimmu-Tenno (660--585 v. Chr.), mit dem die
japanische Geschichte beginnt ++).

Im Jahre 663 v. Chr. verliess derselbe mit seinen Getreuen im
Boote den kleinen Hafen Mimidzu an der Ostküste von Hiuga und
gelangte nach dreijähriger stürmischer Fahrt durch Bungo-nada und
Seto-uchi nach Naniwa, der Bucht von Osaka. Von hier aus unter-
warf er das angrenzende Gebiet, gründete im Gokinai sein O-Yamato
(Land des Friedens) und schlug zu Kashiwara in der Nähe der
Stadt Nara seine Residenz auf (660 v. Chr.).

Jimmu-Tenno ist der Begründer der heute noch über Japan herr-
schenden Dynastie und der gegenwärtige Mikado der 121. in seiner

*) Shin oder kami heisst Gott.
**) Die linke Seite ist bei Japanern und Chinesen die ehrenvollere.
***) Bei Sendai in Satsuma zeigt man das Grab dieses Halbgottes.
+) Auf einem abgestumpften Kegel aus zusammengetragenen Steinen, wel-
cher die Spitze des 1672 Meter hohen vulkanischen Gipfels krönt, sah der Ver-
fasser im Frühjahre 1875 das berühmte Schwert, welches die Sage mit diesem
Ereigniss in Verbindung bringt. Die ausserordentlich plumpe Form lässt schon
auf ein hohes Alter schliessen. Die Waffe ist aus kupferreicher Bronze ge-
schmiedet, hat keine flache Klinge, sondern einen cylindrischen, mit verschie-
denen Wulsten versehenen Stab, der gegen die Spitze einseitig zugeschärft ist.
Die Gesammtlänge ist 1,3 Meter und von der Spitze bis zum Knauf 1,02 Meter.
Der mittlere Umfang beträgt 0,23 Meter, der stärkste 0,25 Meter und die Dicke
des Griffes dieser merkwürdigen Waffe 0,54 Meter.
++) Jimmu-Tenno ist der posthume Name, unter dem er in der Geschichte
fortlebt, wie dies auch bei seinen Nachfolgern bis zum Mittelalter der Fall ist.
I. Geschichte des japanischen Volkes.

Nach der alten Sage erschuf das Götterpaar Isanagi und Isa-
nami
, wie bereits früher erwähnt wurde, nicht blos die japanische
Inselwelt, sondern auch das Herrschergeschlecht derselben. Von den
fünf auf Awa-jima erzeugten Kindern dieses Schöpferpaares wurden
die beiden ältesten, zwei Töchter, von Isanagi am meisten geliebt
und darum als Herrscherinnen des Tages und der Nacht an den
Himmel erhoben. Die Sonnengöttin Amaterasu-o-mi-kami (chi-
nesisch Tenshô-Daijin) *), d. h. die vom Himmel schauende Gott-
heit, war nach einer Legende aus dem linken **) Auge des Gottes
beim Waschen im Meere erzeugt worden, während Tsuki-no-kami,
die Mondgöttin, aus dem rechten Auge entstand. Ein Enkel der
Sonnengöttin war Ninigi-no-Mikoto ***), den sie zur Regierung
Japans vom Himmel sandte. Mit seinem Himmelsschwerte (Ama-no-
sakahoko) sondierte er den Boden unter sich und liess sich dann auf
dem Takachiho von Kirishima-yama an der Grenze von Hiuga und
Ôsumi nieder, um von hier aus seine Herrschaft anzutreten †). Sein
Nachkomme ist Jimmu-Tennô (660—585 v. Chr.), mit dem die
japanische Geschichte beginnt ††).

Im Jahre 663 v. Chr. verliess derselbe mit seinen Getreuen im
Boote den kleinen Hafen Mimidzu an der Ostküste von Hiuga und
gelangte nach dreijähriger stürmischer Fahrt durch Bungo-nada und
Seto-uchi nach Naniwa, der Bucht von Ôsaka. Von hier aus unter-
warf er das angrenzende Gebiet, gründete im Gokinai sein O-Yamato
(Land des Friedens) und schlug zu Kashiwara in der Nähe der
Stadt Nara seine Residenz auf (660 v. Chr.).

Jimmu-Tennô ist der Begründer der heute noch über Japan herr-
schenden Dynastie und der gegenwärtige Mikado der 121. in seiner

*) Shin oder kami heisst Gott.
**) Die linke Seite ist bei Japanern und Chinesen die ehrenvollere.
***) Bei Sendai in Satsuma zeigt man das Grab dieses Halbgottes.
†) Auf einem abgestumpften Kegel aus zusammengetragenen Steinen, wel-
cher die Spitze des 1672 Meter hohen vulkanischen Gipfels krönt, sah der Ver-
fasser im Frühjahre 1875 das berühmte Schwert, welches die Sage mit diesem
Ereigniss in Verbindung bringt. Die ausserordentlich plumpe Form lässt schon
auf ein hohes Alter schliessen. Die Waffe ist aus kupferreicher Bronze ge-
schmiedet, hat keine flache Klinge, sondern einen cylindrischen, mit verschie-
denen Wulsten versehenen Stab, der gegen die Spitze einseitig zugeschärft ist.
Die Gesammtlänge ist 1,3 Meter und von der Spitze bis zum Knauf 1,02 Meter.
Der mittlere Umfang beträgt 0,23 Meter, der stärkste 0,25 Meter und die Dicke
des Griffes dieser merkwürdigen Waffe 0,54 Meter.
††) Jimmu-Tennô ist der posthume Name, unter dem er in der Geschichte
fortlebt, wie dies auch bei seinen Nachfolgern bis zum Mittelalter der Fall ist.
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[244/0268] I. Geschichte des japanischen Volkes. Nach der alten Sage erschuf das Götterpaar Isanagi und Isa- nami, wie bereits früher erwähnt wurde, nicht blos die japanische Inselwelt, sondern auch das Herrschergeschlecht derselben. Von den fünf auf Awa-jima erzeugten Kindern dieses Schöpferpaares wurden die beiden ältesten, zwei Töchter, von Isanagi am meisten geliebt und darum als Herrscherinnen des Tages und der Nacht an den Himmel erhoben. Die Sonnengöttin Amaterasu-o-mi-kami (chi- nesisch Tenshô-Daijin) *), d. h. die vom Himmel schauende Gott- heit, war nach einer Legende aus dem linken **) Auge des Gottes beim Waschen im Meere erzeugt worden, während Tsuki-no-kami, die Mondgöttin, aus dem rechten Auge entstand. Ein Enkel der Sonnengöttin war Ninigi-no-Mikoto ***), den sie zur Regierung Japans vom Himmel sandte. Mit seinem Himmelsschwerte (Ama-no- sakahoko) sondierte er den Boden unter sich und liess sich dann auf dem Takachiho von Kirishima-yama an der Grenze von Hiuga und Ôsumi nieder, um von hier aus seine Herrschaft anzutreten †). Sein Nachkomme ist Jimmu-Tennô (660—585 v. Chr.), mit dem die japanische Geschichte beginnt ††). Im Jahre 663 v. Chr. verliess derselbe mit seinen Getreuen im Boote den kleinen Hafen Mimidzu an der Ostküste von Hiuga und gelangte nach dreijähriger stürmischer Fahrt durch Bungo-nada und Seto-uchi nach Naniwa, der Bucht von Ôsaka. Von hier aus unter- warf er das angrenzende Gebiet, gründete im Gokinai sein O-Yamato (Land des Friedens) und schlug zu Kashiwara in der Nähe der Stadt Nara seine Residenz auf (660 v. Chr.). Jimmu-Tennô ist der Begründer der heute noch über Japan herr- schenden Dynastie und der gegenwärtige Mikado der 121. in seiner *) Shin oder kami heisst Gott. **) Die linke Seite ist bei Japanern und Chinesen die ehrenvollere. ***) Bei Sendai in Satsuma zeigt man das Grab dieses Halbgottes. †) Auf einem abgestumpften Kegel aus zusammengetragenen Steinen, wel- cher die Spitze des 1672 Meter hohen vulkanischen Gipfels krönt, sah der Ver- fasser im Frühjahre 1875 das berühmte Schwert, welches die Sage mit diesem Ereigniss in Verbindung bringt. Die ausserordentlich plumpe Form lässt schon auf ein hohes Alter schliessen. Die Waffe ist aus kupferreicher Bronze ge- schmiedet, hat keine flache Klinge, sondern einen cylindrischen, mit verschie- denen Wulsten versehenen Stab, der gegen die Spitze einseitig zugeschärft ist. Die Gesammtlänge ist 1,3 Meter und von der Spitze bis zum Knauf 1,02 Meter. Der mittlere Umfang beträgt 0,23 Meter, der stärkste 0,25 Meter und die Dicke des Griffes dieser merkwürdigen Waffe 0,54 Meter. ††) Jimmu-Tennô ist der posthume Name, unter dem er in der Geschichte fortlebt, wie dies auch bei seinen Nachfolgern bis zum Mittelalter der Fall ist.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/268>, abgerufen am 29.04.2024.