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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc.
Vorfahren Opfer zu bringen, damit dieselben in der Unterwelt nicht
ewiglich hungern und dürsten müssen.

Abgesehen von dieser religiösen Seite bestand der Hauptvortheil
der Adoption darin, dass, wenn ältere Leute sich zurückziehen wollten,
ihnen und etwa vorhandenen Töchtern im Adoptivsohne eine natür-
liche Stütze erwuchs, denn die Pflichten des letzteren waren dieselben,
wie die des natürlichen Kindes. Zu den Nachtheilen gehörte die
Begünstigung des offenen Concubinats, da Kinder des Familienhauptes
mit Nebenfrauen gleiche Rechte genossen, wie solche aus der legi-
timen Ehe *). Als ein weiterer Nachtheil der Adoption wird ange-
führt, dass sie manchen Jüngling mit so gesichertem Erbe nachlässig
machte und derselbe nicht mit der Energie und Hingabe an seiner
Ausbildung arbeitete, wie Solche, welche sich bewusst waren, dass
ihr Fortkommen lediglich von ihrer Erziehung abhing. Dass das
Adoptieren vielfach auch mit dem Abdicieren in jungen Jahren zu-
sammen fiel, wurde im geschichtlichen Theile dieses Werkes oft genug
hervorgehoben. Mancher Mann, auch in der bescheideneren Lebens-
stellung des gewöhnlichen Samurai, glaubte seinen Pflichten als Fa-
milienhaupt genügt zu haben, wenn er auf die eine oder die andere
Weise für einen Nachfolger gesorgt und das Erbe gesichert hatte,
und vergeudete dann den besten Theil seines Lebens. Endlich ist
noch hervorzuheben, dass Leute von niedriger Denkungsart oft Mäd-
chen in zartem Alter adoptierten, um sie in den Künsten der Courti-
sanen abzurichten und später zu gebrauchen.

Die Adoption hatte auch ihre lächerlichen Seiten, zu denen unter
anderem die Bestimmung des Iyeyasu gehört, dass der Adoptivvater
wenigstens 15 Jahre alt sein musste, sowie die Vorschrift der Etiquette,
welche verlangte, dass ein Kind als Erbe und Repräsentant der Fa-
milie bei feierlichen Anlässen in dem Anzuge eines Erwachsenen er-
scheinen musste.

Durch die Beseitigung des Feudalwesens und die grosse Reduc-
tion des Familienerbes wurde auch die Bedeutung der Adoption be-
trächtlich verringert. Mehr und mehr hat sich die Ansicht geltend
gemacht, dass die Sitte für die gegenwärtige Zeit und die neuen Ver-
hältnisse sich nicht mehr eignet, dass es aber besser ist, sie allmäh-
lich aussterben zu lassen, statt sie, wie so manches andere, durch
eine rauhe Verordnung plötzlich zu beseitigen.

*) Die Adoption in Verbindung mit dieser Einrichtung erklärt zur Genüge
das hohe Alter mancher Familie, namentlich derjenigen des Mikado, auf welches
die Japaner zum Theil über Gebühr stolz sind.

4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc.
Vorfahren Opfer zu bringen, damit dieselben in der Unterwelt nicht
ewiglich hungern und dürsten müssen.

Abgesehen von dieser religiösen Seite bestand der Hauptvortheil
der Adoption darin, dass, wenn ältere Leute sich zurückziehen wollten,
ihnen und etwa vorhandenen Töchtern im Adoptivsohne eine natür-
liche Stütze erwuchs, denn die Pflichten des letzteren waren dieselben,
wie die des natürlichen Kindes. Zu den Nachtheilen gehörte die
Begünstigung des offenen Concubinats, da Kinder des Familienhauptes
mit Nebenfrauen gleiche Rechte genossen, wie solche aus der legi-
timen Ehe *). Als ein weiterer Nachtheil der Adoption wird ange-
führt, dass sie manchen Jüngling mit so gesichertem Erbe nachlässig
machte und derselbe nicht mit der Energie und Hingabe an seiner
Ausbildung arbeitete, wie Solche, welche sich bewusst waren, dass
ihr Fortkommen lediglich von ihrer Erziehung abhing. Dass das
Adoptieren vielfach auch mit dem Abdicieren in jungen Jahren zu-
sammen fiel, wurde im geschichtlichen Theile dieses Werkes oft genug
hervorgehoben. Mancher Mann, auch in der bescheideneren Lebens-
stellung des gewöhnlichen Samurai, glaubte seinen Pflichten als Fa-
milienhaupt genügt zu haben, wenn er auf die eine oder die andere
Weise für einen Nachfolger gesorgt und das Erbe gesichert hatte,
und vergeudete dann den besten Theil seines Lebens. Endlich ist
noch hervorzuheben, dass Leute von niedriger Denkungsart oft Mäd-
chen in zartem Alter adoptierten, um sie in den Künsten der Courti-
sanen abzurichten und später zu gebrauchen.

Die Adoption hatte auch ihre lächerlichen Seiten, zu denen unter
anderem die Bestimmung des Iyeyasu gehört, dass der Adoptivvater
wenigstens 15 Jahre alt sein musste, sowie die Vorschrift der Etiquette,
welche verlangte, dass ein Kind als Erbe und Repräsentant der Fa-
milie bei feierlichen Anlässen in dem Anzuge eines Erwachsenen er-
scheinen musste.

Durch die Beseitigung des Feudalwesens und die grosse Reduc-
tion des Familienerbes wurde auch die Bedeutung der Adoption be-
trächtlich verringert. Mehr und mehr hat sich die Ansicht geltend
gemacht, dass die Sitte für die gegenwärtige Zeit und die neuen Ver-
hältnisse sich nicht mehr eignet, dass es aber besser ist, sie allmäh-
lich aussterben zu lassen, statt sie, wie so manches andere, durch
eine rauhe Verordnung plötzlich zu beseitigen.

*) Die Adoption in Verbindung mit dieser Einrichtung erklärt zur Genüge
das hohe Alter mancher Familie, namentlich derjenigen des Mikado, auf welches
die Japaner zum Theil über Gebühr stolz sind.
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[491/0525] 4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc. Vorfahren Opfer zu bringen, damit dieselben in der Unterwelt nicht ewiglich hungern und dürsten müssen. Abgesehen von dieser religiösen Seite bestand der Hauptvortheil der Adoption darin, dass, wenn ältere Leute sich zurückziehen wollten, ihnen und etwa vorhandenen Töchtern im Adoptivsohne eine natür- liche Stütze erwuchs, denn die Pflichten des letzteren waren dieselben, wie die des natürlichen Kindes. Zu den Nachtheilen gehörte die Begünstigung des offenen Concubinats, da Kinder des Familienhauptes mit Nebenfrauen gleiche Rechte genossen, wie solche aus der legi- timen Ehe *). Als ein weiterer Nachtheil der Adoption wird ange- führt, dass sie manchen Jüngling mit so gesichertem Erbe nachlässig machte und derselbe nicht mit der Energie und Hingabe an seiner Ausbildung arbeitete, wie Solche, welche sich bewusst waren, dass ihr Fortkommen lediglich von ihrer Erziehung abhing. Dass das Adoptieren vielfach auch mit dem Abdicieren in jungen Jahren zu- sammen fiel, wurde im geschichtlichen Theile dieses Werkes oft genug hervorgehoben. Mancher Mann, auch in der bescheideneren Lebens- stellung des gewöhnlichen Samurai, glaubte seinen Pflichten als Fa- milienhaupt genügt zu haben, wenn er auf die eine oder die andere Weise für einen Nachfolger gesorgt und das Erbe gesichert hatte, und vergeudete dann den besten Theil seines Lebens. Endlich ist noch hervorzuheben, dass Leute von niedriger Denkungsart oft Mäd- chen in zartem Alter adoptierten, um sie in den Künsten der Courti- sanen abzurichten und später zu gebrauchen. Die Adoption hatte auch ihre lächerlichen Seiten, zu denen unter anderem die Bestimmung des Iyeyasu gehört, dass der Adoptivvater wenigstens 15 Jahre alt sein musste, sowie die Vorschrift der Etiquette, welche verlangte, dass ein Kind als Erbe und Repräsentant der Fa- milie bei feierlichen Anlässen in dem Anzuge eines Erwachsenen er- scheinen musste. Durch die Beseitigung des Feudalwesens und die grosse Reduc- tion des Familienerbes wurde auch die Bedeutung der Adoption be- trächtlich verringert. Mehr und mehr hat sich die Ansicht geltend gemacht, dass die Sitte für die gegenwärtige Zeit und die neuen Ver- hältnisse sich nicht mehr eignet, dass es aber besser ist, sie allmäh- lich aussterben zu lassen, statt sie, wie so manches andere, durch eine rauhe Verordnung plötzlich zu beseitigen. *) Die Adoption in Verbindung mit dieser Einrichtung erklärt zur Genüge das hohe Alter mancher Familie, namentlich derjenigen des Mikado, auf welches die Japaner zum Theil über Gebühr stolz sind.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/525>, abgerufen am 30.04.2024.