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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
viel ich weiss, noch nirgends hervorgehoben wurde. Ist diese schöne
Verzierungsweise bei Griechen und Chinesen spontan oder hat sie das
eine dieser Völker dem andern entlehnt? Oder geht ihr Ursprung auf
ein anderes Volk, auf Assyrer und Chaldäer zurück? Solche und
ähnliche Fragen liegen nahe; ihre Beantwortung ist nicht so leicht,
wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Für die spontane Ent-
stehung und Anwendung spricht nicht blos die oben erwähnte Tren-
nungszone des arabisch-persisch-indischen Gebiets, ohne das Mäander-
ornament, sondern auch der Umstand, dass letzteres sich wiederfindet
auf den Baumwollgeweben aus den alten Gräbern Perus; doch ist es
hier weniger ausgebildet.

Wie bei uns, so wendet auch das Kunstgewerbe Ostasiens den
Mäander gewöhnlich als Borde oder Randverzierung an. Diesem Zwecke
dient auch oft die ornamentale Abbildung der Rebe und anderer de-
corativer Rankengewächse.

Noch lassen die meisten Formen und Decorationsmotive der ja-
panischen Kunsterzeugnisse den chinesischen Ursprung erkennen. Päo-
nie und Chrysanthemum, Iris und Lotusblume, das schlanke graciöse
Bambusrohr und krüppelhafte, bizarre Kiefern, blattlose blühende
Zweige der Mumepflaume und der Magnolie, beblätterte der Kerrien
und wilden Kirschbäume, die schlingende Glycine mit ihren hängenden
bläulichen Blüthentrauben und die rothbeerige, immergrüne Nandine,
sodann von den sogenannten sieben Herbstkräutern insbesondere die
zierlichen Eulalia, Lespedeza und Patrina, sowie Hibiscus mutabilis,
ferner Iris, Binse und Pfeilkraut, Fels- und Wasserpartieen im Garten
mit Fischen und Schildkröten, Kraniche, Reiher, Fasanen, die japa-
nische Nachtigall (Unguisu) und andere Sänger, Insecten im Fluge
und in der Ruhe, dann die Thiere des chinesischen Zodiacus*) und
einige andere, mit denen man durch den Buddhismus und chinesischen
Sagenkreis bekannt wurde, wie Elephant und Pfau. Dies sind die
Naturobjecte, welche der Japaner gleich dem Chinesen mit Vorliebe
abbildet. Ihnen schliessen sich an die Shi-rei oder vier Glücks-
thiere, vier Fabelthiere, nämlich der Howo oder Phönix, Riyo (Tatsu)
oder Drache, Kirin oder das Einhorn und Ki (Kame) oder die Schild-
kröte.**) Der Drache ist bekanntlich das japanische Wappenthier.

*) Der chinesische Thierkreis besteht aus Ratte, Stier, Tiger, Hase, Drache,
Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund, Wildschwein, entsprechend Widder,
Stier, Zwillinge, Krebs etc.
**) In dem Rei-ki oder Bericht über die Ceremonieen, einem der fünf klassischen
Werke der Chinesen, heissen sie kurz und in anderer Ordnung: Rin, Ho, Ki, Riyo.
Sie sind die Könige der Thiere und stehen nach alter chinesischer Naturanschauung

III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
viel ich weiss, noch nirgends hervorgehoben wurde. Ist diese schöne
Verzierungsweise bei Griechen und Chinesen spontan oder hat sie das
eine dieser Völker dem andern entlehnt? Oder geht ihr Ursprung auf
ein anderes Volk, auf Assyrer und Chaldäer zurück? Solche und
ähnliche Fragen liegen nahe; ihre Beantwortung ist nicht so leicht,
wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Für die spontane Ent-
stehung und Anwendung spricht nicht blos die oben erwähnte Tren-
nungszone des arabisch-persisch-indischen Gebiets, ohne das Mäander-
ornament, sondern auch der Umstand, dass letzteres sich wiederfindet
auf den Baumwollgeweben aus den alten Gräbern Perus; doch ist es
hier weniger ausgebildet.

Wie bei uns, so wendet auch das Kunstgewerbe Ostasiens den
Mäander gewöhnlich als Borde oder Randverzierung an. Diesem Zwecke
dient auch oft die ornamentale Abbildung der Rebe und anderer de-
corativer Rankengewächse.

Noch lassen die meisten Formen und Decorationsmotive der ja-
panischen Kunsterzeugnisse den chinesischen Ursprung erkennen. Päo-
nie und Chrysanthemum, Iris und Lotusblume, das schlanke graciöse
Bambusrohr und krüppelhafte, bizarre Kiefern, blattlose blühende
Zweige der Mumepflaume und der Magnolie, beblätterte der Kerrien
und wilden Kirschbäume, die schlingende Glycine mit ihren hängenden
bläulichen Blüthentrauben und die rothbeerige, immergrüne Nandine,
sodann von den sogenannten sieben Herbstkräutern insbesondere die
zierlichen Eulalia, Lespedeza und Patrina, sowie Hibiscus mutabilis,
ferner Iris, Binse und Pfeilkraut, Fels- und Wasserpartieen im Garten
mit Fischen und Schildkröten, Kraniche, Reiher, Fasanen, die japa-
nische Nachtigall (Unguisu) und andere Sänger, Insecten im Fluge
und in der Ruhe, dann die Thiere des chinesischen Zodiacus*) und
einige andere, mit denen man durch den Buddhismus und chinesischen
Sagenkreis bekannt wurde, wie Elephant und Pfau. Dies sind die
Naturobjecte, welche der Japaner gleich dem Chinesen mit Vorliebe
abbildet. Ihnen schliessen sich an die Shi-rei oder vier Glücks-
thiere, vier Fabelthiere, nämlich der Hôwô oder Phönix, Riyô (Tatsu)
oder Drache, Kirin oder das Einhorn und Ki (Kame) oder die Schild-
kröte.**) Der Drache ist bekanntlich das japanische Wappenthier.

*) Der chinesische Thierkreis besteht aus Ratte, Stier, Tiger, Hase, Drache,
Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund, Wildschwein, entsprechend Widder,
Stier, Zwillinge, Krebs etc.
**) In dem Rei-ki oder Bericht über die Ceremonieen, einem der fünf klassischen
Werke der Chinesen, heissen sie kurz und in anderer Ordnung: Rin, Hô, Ki, Riyô.
Sie sind die Könige der Thiere und stehen nach alter chinesischer Naturanschauung
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[380/0404] III. Kunstgewerbe und Verwandtes. viel ich weiss, noch nirgends hervorgehoben wurde. Ist diese schöne Verzierungsweise bei Griechen und Chinesen spontan oder hat sie das eine dieser Völker dem andern entlehnt? Oder geht ihr Ursprung auf ein anderes Volk, auf Assyrer und Chaldäer zurück? Solche und ähnliche Fragen liegen nahe; ihre Beantwortung ist nicht so leicht, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Für die spontane Ent- stehung und Anwendung spricht nicht blos die oben erwähnte Tren- nungszone des arabisch-persisch-indischen Gebiets, ohne das Mäander- ornament, sondern auch der Umstand, dass letzteres sich wiederfindet auf den Baumwollgeweben aus den alten Gräbern Perus; doch ist es hier weniger ausgebildet. Wie bei uns, so wendet auch das Kunstgewerbe Ostasiens den Mäander gewöhnlich als Borde oder Randverzierung an. Diesem Zwecke dient auch oft die ornamentale Abbildung der Rebe und anderer de- corativer Rankengewächse. Noch lassen die meisten Formen und Decorationsmotive der ja- panischen Kunsterzeugnisse den chinesischen Ursprung erkennen. Päo- nie und Chrysanthemum, Iris und Lotusblume, das schlanke graciöse Bambusrohr und krüppelhafte, bizarre Kiefern, blattlose blühende Zweige der Mumepflaume und der Magnolie, beblätterte der Kerrien und wilden Kirschbäume, die schlingende Glycine mit ihren hängenden bläulichen Blüthentrauben und die rothbeerige, immergrüne Nandine, sodann von den sogenannten sieben Herbstkräutern insbesondere die zierlichen Eulalia, Lespedeza und Patrina, sowie Hibiscus mutabilis, ferner Iris, Binse und Pfeilkraut, Fels- und Wasserpartieen im Garten mit Fischen und Schildkröten, Kraniche, Reiher, Fasanen, die japa- nische Nachtigall (Unguisu) und andere Sänger, Insecten im Fluge und in der Ruhe, dann die Thiere des chinesischen Zodiacus *) und einige andere, mit denen man durch den Buddhismus und chinesischen Sagenkreis bekannt wurde, wie Elephant und Pfau. Dies sind die Naturobjecte, welche der Japaner gleich dem Chinesen mit Vorliebe abbildet. Ihnen schliessen sich an die Shi-rei oder vier Glücks- thiere, vier Fabelthiere, nämlich der Hôwô oder Phönix, Riyô (Tatsu) oder Drache, Kirin oder das Einhorn und Ki (Kame) oder die Schild- kröte. **) Der Drache ist bekanntlich das japanische Wappenthier. *) Der chinesische Thierkreis besteht aus Ratte, Stier, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund, Wildschwein, entsprechend Widder, Stier, Zwillinge, Krebs etc. **) In dem Rei-ki oder Bericht über die Ceremonieen, einem der fünf klassischen Werke der Chinesen, heissen sie kurz und in anderer Ordnung: Rin, Hô, Ki, Riyô. Sie sind die Könige der Thiere und stehen nach alter chinesischer Naturanschauung

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/404>, abgerufen am 14.06.2024.