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Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.

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in den scheinbar häßlichsten Frauen wunderbare Schönheit erblickte? Er hat so viel Eros, daß ihm jede Lebensäußerung, jede Form, in der das Leben sich darstellt, etwas Vollendetes bedeutet. So wurde zum Beispiel einmal von jemand gesagt, er sei sehr unschön, ja geradezu garstig. Hofmann besann sich einen Augenblick und sagte dann: Ja, gewiß, er ist wundervoll garstig. -- Von Ihnen ist er übrigens ganz entzückt, er sagte mir, es wäre ganz unglaublich, wie blasiert und gelangweilt Sie manchmal aussehen könnten." (Ich empfand das nicht gerade als Kompliment, aber es war entschieden so gemeint.)

"Und die Frauen," fuhr Adrian mit einem suffisanten Lächeln fort, "unsere Frauen wollen wieder Hetären sein -- es ist gar nicht zu sagen, welche Umgestaltungen das gesellige Leben dadurch noch erfahren wird. In erster Linie natürlich auf erotischem Gebiet, aber selbstverständlich bezieht sich das nicht nur auf die Frauen -- die Beschränkung der Erotik auf das eine oder andere Geschlecht ist ja überhaupt eine unerhörte Einseitigkeit. Der vollkommene Mensch muß alle Möglichkeiten in sich tragen und jeder Blüte des Lebens ihr Aroma abzugewinnen wissen. Ich meinesteils empfinde durchaus bisexuell."

Dabei nahm er für einen Augenblick seinen Zwicker ab, rieb ihn mit dem Taschentuch blank und sah mich mit seinen kurzsichtigen Augen triumphierend an.

in den scheinbar häßlichsten Frauen wunderbare Schönheit erblickte? Er hat so viel Eros, daß ihm jede Lebensäußerung, jede Form, in der das Leben sich darstellt, etwas Vollendetes bedeutet. So wurde zum Beispiel einmal von jemand gesagt, er sei sehr unschön, ja geradezu garstig. Hofmann besann sich einen Augenblick und sagte dann: Ja, gewiß, er ist wundervoll garstig. — Von Ihnen ist er übrigens ganz entzückt, er sagte mir, es wäre ganz unglaublich, wie blasiert und gelangweilt Sie manchmal aussehen könnten.“ (Ich empfand das nicht gerade als Kompliment, aber es war entschieden so gemeint.)

„Und die Frauen,“ fuhr Adrian mit einem suffisanten Lächeln fort, „unsere Frauen wollen wieder Hetären sein — es ist gar nicht zu sagen, welche Umgestaltungen das gesellige Leben dadurch noch erfahren wird. In erster Linie natürlich auf erotischem Gebiet, aber selbstverständlich bezieht sich das nicht nur auf die Frauen — die Beschränkung der Erotik auf das eine oder andere Geschlecht ist ja überhaupt eine unerhörte Einseitigkeit. Der vollkommene Mensch muß alle Möglichkeiten in sich tragen und jeder Blüte des Lebens ihr Aroma abzugewinnen wissen. Ich meinesteils empfinde durchaus bisexuell.“

Dabei nahm er für einen Augenblick seinen Zwicker ab, rieb ihn mit dem Taschentuch blank und sah mich mit seinen kurzsichtigen Augen triumphierend an.

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[108/0112] in den scheinbar häßlichsten Frauen wunderbare Schönheit erblickte? Er hat so viel Eros, daß ihm jede Lebensäußerung, jede Form, in der das Leben sich darstellt, etwas Vollendetes bedeutet. So wurde zum Beispiel einmal von jemand gesagt, er sei sehr unschön, ja geradezu garstig. Hofmann besann sich einen Augenblick und sagte dann: Ja, gewiß, er ist wundervoll garstig. — Von Ihnen ist er übrigens ganz entzückt, er sagte mir, es wäre ganz unglaublich, wie blasiert und gelangweilt Sie manchmal aussehen könnten.“ (Ich empfand das nicht gerade als Kompliment, aber es war entschieden so gemeint.) „Und die Frauen,“ fuhr Adrian mit einem suffisanten Lächeln fort, „unsere Frauen wollen wieder Hetären sein — es ist gar nicht zu sagen, welche Umgestaltungen das gesellige Leben dadurch noch erfahren wird. In erster Linie natürlich auf erotischem Gebiet, aber selbstverständlich bezieht sich das nicht nur auf die Frauen — die Beschränkung der Erotik auf das eine oder andere Geschlecht ist ja überhaupt eine unerhörte Einseitigkeit. Der vollkommene Mensch muß alle Möglichkeiten in sich tragen und jeder Blüte des Lebens ihr Aroma abzugewinnen wissen. Ich meinesteils empfinde durchaus bisexuell.“ Dabei nahm er für einen Augenblick seinen Zwicker ab, rieb ihn mit dem Taschentuch blank und sah mich mit seinen kurzsichtigen Augen triumphierend an.

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Zitationshilfe: Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reventlow_dames_1913/112>, abgerufen am 29.04.2024.