Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
"siehet, daß sie zum Besten und Aufnahme der
"gantzen Familie gereichet, die schon so viel Mittel
"hat, als bey einer Familie vom höchsten Stan-
"de erfodert werden, und deshalb nach einem hö-
"hern Range trachten muß. So geringe dir die-
"se Absichten vorkommen, so wichtig werden sie
"von deinem Vater und von allen deinen Freun-
"den geschätzt: und dein Vater wird gewiß die
"Frage selbst entscheiden wollen, was zu seiner
"Kinder Besten gereichet oder nicht. Deine all
"zu philosophische Verachtung des Ranges, die
"andere eine gezwungene Philosophie nennen,
"schmeckt so sehr nach den besondern Grillen
"eines eigenen Kopfes, daß wir nicht Lust haben,
"uns darnach zu richten. Die wahre Demuth
"und Bescheidenheit würde dich vielmehr lehren,
"ein Mißtrauen in deine eigene Einfälle zu setzen,
"und nicht Absichten zu tadeln, die das Exempel
"der gantzen Welt rechtfertigt."

Jch antwortete noch nicht. Sie redete fort:
"dein Vater hat wegen der guten Meynung, die
"er von deiner Klugheit, Gehorsam und Danck-
"barkeit hat, sein Wort an deiner Stelle von sich
"gegeben, als du noch bey der Fräulein Howe
"warest, und allerhand Contracte gemacht, die
"sich auf deine Verheyrathung mit Herrn Sol-
"mes
gründen, und nunmehr nicht umgestossen
"werden können."

Jch dachte hiebey; warum suchte man mich
denn bey meiner Zurückkunfft durch eine so sonder-
bare und ernsthaffte Bewillkommung in Furche

zu

der Clariſſa.
„ſiehet, daß ſie zum Beſten und Aufnahme der
„gantzen Familie gereichet, die ſchon ſo viel Mittel
„hat, als bey einer Familie vom hoͤchſten Stan-
„de erfodert werden, und deshalb nach einem hoͤ-
„hern Range trachten muß. So geringe dir die-
„ſe Abſichten vorkommen, ſo wichtig werden ſie
„von deinem Vater und von allen deinen Freun-
„den geſchaͤtzt: und dein Vater wird gewiß die
„Frage ſelbſt entſcheiden wollen, was zu ſeiner
„Kinder Beſten gereichet oder nicht. Deine all
„zu philoſophiſche Verachtung des Ranges, die
„andere eine gezwungene Philoſophie nen̄en,
„ſchmeckt ſo ſehr nach den beſondern Grillen
„eines eigenen Kopfes, daß wir nicht Luſt haben,
„uns darnach zu richten. Die wahre Demuth
„und Beſcheidenheit wuͤrde dich vielmehr lehren,
„ein Mißtrauen in deine eigene Einfaͤlle zu ſetzen,
„und nicht Abſichten zu tadeln, die das Exempel
„der gantzen Welt rechtfertigt.„

Jch antwortete noch nicht. Sie redete fort:
„dein Vater hat wegen der guten Meynung, die
„er von deiner Klugheit, Gehorſam und Danck-
„barkeit hat, ſein Wort an deiner Stelle von ſich
„gegeben, als du noch bey der Fraͤulein Howe
„wareſt, und allerhand Contracte gemacht, die
„ſich auf deine Verheyrathung mit Herrn Sol-
„mes
gruͤnden, und nunmehr nicht umgeſtoſſen
„werden koͤnnen.„

Jch dachte hiebey; warum ſuchte man mich
denn bey meiner Zuruͤckkunfft durch eine ſo ſonder-
bare und ernſthaffte Bewillkommung in Furche

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0243" n="223"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
&#x201E;&#x017F;iehet, daß &#x017F;ie zum Be&#x017F;ten und Aufnahme der<lb/>
&#x201E;gantzen Familie gereichet, die &#x017F;chon &#x017F;o viel Mittel<lb/>
&#x201E;hat, als bey einer Familie vom ho&#x0364;ch&#x017F;ten Stan-<lb/>
&#x201E;de erfodert werden, und deshalb nach einem ho&#x0364;-<lb/>
&#x201E;hern Range trachten muß. So geringe dir die-<lb/>
&#x201E;&#x017F;e Ab&#x017F;ichten vorkommen, &#x017F;o wichtig werden &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;von deinem Vater und von allen deinen Freun-<lb/>
&#x201E;den ge&#x017F;cha&#x0364;tzt: und dein Vater wird gewiß die<lb/>
&#x201E;Frage &#x017F;elb&#x017F;t ent&#x017F;cheiden wollen, was zu &#x017F;einer<lb/>
&#x201E;Kinder Be&#x017F;ten gereichet oder nicht. Deine all<lb/>
&#x201E;zu philo&#x017F;ophi&#x017F;che Verachtung des Ranges, die<lb/>
&#x201E;andere <hi rendition="#fr">eine gezwungene Philo&#x017F;ophie</hi> nen&#x0304;en,<lb/>
&#x201E;&#x017F;chmeckt &#x017F;o &#x017F;ehr nach den be&#x017F;ondern Grillen<lb/>
&#x201E;eines eigenen Kopfes, daß wir nicht Lu&#x017F;t haben,<lb/>
&#x201E;uns darnach zu richten. Die wahre Demuth<lb/>
&#x201E;und Be&#x017F;cheidenheit wu&#x0364;rde dich vielmehr lehren,<lb/>
&#x201E;ein Mißtrauen in deine eigene Einfa&#x0364;lle zu &#x017F;etzen,<lb/>
&#x201E;und nicht Ab&#x017F;ichten zu tadeln, die das Exempel<lb/>
&#x201E;der gantzen Welt rechtfertigt.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Jch antwortete noch nicht. Sie redete fort:<lb/>
&#x201E;dein Vater hat wegen der guten Meynung, die<lb/>
&#x201E;er von deiner Klugheit, Gehor&#x017F;am und Danck-<lb/>
&#x201E;barkeit hat, &#x017F;ein Wort an deiner Stelle von &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;gegeben, als du noch bey der Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Howe</hi><lb/>
&#x201E;ware&#x017F;t, und allerhand Contracte gemacht, die<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich auf deine Verheyrathung mit Herrn <hi rendition="#fr">Sol-<lb/>
&#x201E;mes</hi> gru&#x0364;nden, und nunmehr nicht umge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x201E;werden ko&#x0364;nnen.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Jch dachte hiebey; warum &#x017F;uchte man mich<lb/>
denn bey meiner Zuru&#x0364;ckkunfft durch eine &#x017F;o &#x017F;onder-<lb/>
bare und ern&#x017F;thaffte Bewillkommung in Furche<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0243] der Clariſſa. „ſiehet, daß ſie zum Beſten und Aufnahme der „gantzen Familie gereichet, die ſchon ſo viel Mittel „hat, als bey einer Familie vom hoͤchſten Stan- „de erfodert werden, und deshalb nach einem hoͤ- „hern Range trachten muß. So geringe dir die- „ſe Abſichten vorkommen, ſo wichtig werden ſie „von deinem Vater und von allen deinen Freun- „den geſchaͤtzt: und dein Vater wird gewiß die „Frage ſelbſt entſcheiden wollen, was zu ſeiner „Kinder Beſten gereichet oder nicht. Deine all „zu philoſophiſche Verachtung des Ranges, die „andere eine gezwungene Philoſophie nen̄en, „ſchmeckt ſo ſehr nach den beſondern Grillen „eines eigenen Kopfes, daß wir nicht Luſt haben, „uns darnach zu richten. Die wahre Demuth „und Beſcheidenheit wuͤrde dich vielmehr lehren, „ein Mißtrauen in deine eigene Einfaͤlle zu ſetzen, „und nicht Abſichten zu tadeln, die das Exempel „der gantzen Welt rechtfertigt.„ Jch antwortete noch nicht. Sie redete fort: „dein Vater hat wegen der guten Meynung, die „er von deiner Klugheit, Gehorſam und Danck- „barkeit hat, ſein Wort an deiner Stelle von ſich „gegeben, als du noch bey der Fraͤulein Howe „wareſt, und allerhand Contracte gemacht, die „ſich auf deine Verheyrathung mit Herrn Sol- „mes gruͤnden, und nunmehr nicht umgeſtoſſen „werden koͤnnen.„ Jch dachte hiebey; warum ſuchte man mich denn bey meiner Zuruͤckkunfft durch eine ſo ſonder- bare und ernſthaffte Bewillkommung in Furche zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/243
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/243>, abgerufen am 03.05.2024.