Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
mir aber jetzt auf die Richtigkeit meiner Urtheile
noch einmal so viel ein, als sonst, weil ich nie-
mals einen aus Jhrer gantzen Familie habe auf-
richtig lieben können, Sie allein ausgenommen.
Jch bin nicht zur Freundschaft mit diesen Leu-
ten gebohren: allein gegen meine Freundin auf-
richtig zu seyn erfodert meine Schuldigkeit, und
wenn Fräulein Clarissa Harlowe dieses be-
denckt, so wird sie jene freymüthigen Erklärun-
gen ihrer Anna Howe entschuldigen. Jch hät-
te billig Jhre Frau Mutter mit ausnehmen sol-
len, die alle meine Ehrerbietung und jetzt auch
mein Mitleiden verdienet. Wie viel muß sie
ausgestanden haben ehe sie sich dergestalt hat un-
ter das Joch bringen lassen? der gute seelige
Burggraf hat es sich wol nie lassen in die Ge-
dancken kommen, daß sich sein Kind so würde
bücken müssen, als er diese seine liebe seine eintzige
Tochter an einen dem Anschein nach so artigen
Herrn gab, den sie selbst gewählet hatte. Ein
anderer würde Jhren Vater einen Tyrannen
nennen, wenn Sie sich scheuen den Namen von
ihm zu gebrauchen: und wenn Sie Jhre Frau
Mutter lieben, so haben Sie nicht Ursache mit
der Welt dieses Urtheils wegen zu zürnen. Dem
ohngeachtet habe ich weniger Mitleiden mit
Jhrer Frau Mutter, wenn ich bedencke, daß sie
sich zu niedrig für ihre Geburt und übrigen Vor-
züge aufgeführt hat, es mag nun das Podagra
oder was sonst will die Ursache seyn, daß Jhr Va-
ter so hart und verdrießlich ist; und daß sie sol-

chen

Die Geſchichte
mir aber jetzt auf die Richtigkeit meiner Urtheile
noch einmal ſo viel ein, als ſonſt, weil ich nie-
mals einen aus Jhrer gantzen Familie habe auf-
richtig lieben koͤnnen, Sie allein ausgenommen.
Jch bin nicht zur Freundſchaft mit dieſen Leu-
ten gebohren: allein gegen meine Freundin auf-
richtig zu ſeyn erfodert meine Schuldigkeit, und
wenn Fraͤulein Clariſſa Harlowe dieſes be-
denckt, ſo wird ſie jene freymuͤthigen Erklaͤrun-
gen ihrer Anna Howe entſchuldigen. Jch haͤt-
te billig Jhre Frau Mutter mit ausnehmen ſol-
len, die alle meine Ehrerbietung und jetzt auch
mein Mitleiden verdienet. Wie viel muß ſie
ausgeſtanden haben ehe ſie ſich dergeſtalt hat un-
ter das Joch bringen laſſen? der gute ſeelige
Burggraf hat es ſich wol nie laſſen in die Ge-
dancken kommen, daß ſich ſein Kind ſo wuͤrde
buͤcken muͤſſen, als er dieſe ſeine liebe ſeine eintzige
Tochter an einen dem Anſchein nach ſo artigen
Herrn gab, den ſie ſelbſt gewaͤhlet hatte. Ein
anderer wuͤrde Jhren Vater einen Tyrannen
nennen, wenn Sie ſich ſcheuen den Namen von
ihm zu gebrauchen: und wenn Sie Jhre Frau
Mutter lieben, ſo haben Sie nicht Urſache mit
der Welt dieſes Urtheils wegen zu zuͤrnen. Dem
ohngeachtet habe ich weniger Mitleiden mit
Jhrer Frau Mutter, wenn ich bedencke, daß ſie
ſich zu niedrig fuͤr ihre Geburt und uͤbrigen Vor-
zuͤge aufgefuͤhrt hat, es mag nun das Podagra
oder was ſonſt will die Urſache ſeyn, daß Jhr Va-
ter ſo hart und verdrießlich iſt; und daß ſie ſol-

chen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0314" n="294"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
mir aber jetzt auf die Richtigkeit meiner Urtheile<lb/>
noch einmal &#x017F;o viel ein, als &#x017F;on&#x017F;t, weil ich nie-<lb/>
mals einen aus Jhrer gantzen Familie habe auf-<lb/>
richtig lieben ko&#x0364;nnen, Sie allein ausgenommen.<lb/>
Jch bin nicht zur Freund&#x017F;chaft mit die&#x017F;en Leu-<lb/>
ten gebohren: allein gegen meine Freundin auf-<lb/>
richtig zu &#x017F;eyn erfodert meine Schuldigkeit, und<lb/>
wenn Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe</hi> die&#x017F;es be-<lb/>
denckt, &#x017F;o wird &#x017F;ie jene freymu&#x0364;thigen Erkla&#x0364;run-<lb/>
gen ihrer <hi rendition="#fr">Anna Howe</hi> ent&#x017F;chuldigen. Jch ha&#x0364;t-<lb/>
te billig Jhre Frau Mutter mit ausnehmen &#x017F;ol-<lb/>
len, die alle meine Ehrerbietung und jetzt auch<lb/>
mein Mitleiden verdienet. Wie viel muß &#x017F;ie<lb/>
ausge&#x017F;tanden haben ehe &#x017F;ie &#x017F;ich derge&#x017F;talt hat un-<lb/>
ter das Joch bringen la&#x017F;&#x017F;en? der gute &#x017F;eelige<lb/>
Burggraf hat es &#x017F;ich wol nie la&#x017F;&#x017F;en in die Ge-<lb/>
dancken kommen, daß &#x017F;ich &#x017F;ein Kind &#x017F;o wu&#x0364;rde<lb/>
bu&#x0364;cken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, als er die&#x017F;e &#x017F;eine liebe &#x017F;eine eintzige<lb/>
Tochter an einen dem An&#x017F;chein nach &#x017F;o artigen<lb/>
Herrn gab, den &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t gewa&#x0364;hlet hatte. Ein<lb/>
anderer wu&#x0364;rde Jhren Vater einen Tyrannen<lb/>
nennen, wenn Sie &#x017F;ich &#x017F;cheuen den Namen von<lb/>
ihm zu gebrauchen: und wenn Sie Jhre Frau<lb/>
Mutter lieben, &#x017F;o haben Sie nicht Ur&#x017F;ache mit<lb/>
der Welt die&#x017F;es Urtheils wegen zu zu&#x0364;rnen. Dem<lb/>
ohngeachtet habe ich weniger Mitleiden mit<lb/>
Jhrer Frau Mutter, wenn ich bedencke, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich zu niedrig fu&#x0364;r ihre Geburt und u&#x0364;brigen Vor-<lb/>
zu&#x0364;ge aufgefu&#x0364;hrt hat, es mag nun das Podagra<lb/>
oder was &#x017F;on&#x017F;t will die Ur&#x017F;ache &#x017F;eyn, daß Jhr Va-<lb/>
ter &#x017F;o hart und verdrießlich i&#x017F;t; und daß &#x017F;ie &#x017F;ol-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0314] Die Geſchichte mir aber jetzt auf die Richtigkeit meiner Urtheile noch einmal ſo viel ein, als ſonſt, weil ich nie- mals einen aus Jhrer gantzen Familie habe auf- richtig lieben koͤnnen, Sie allein ausgenommen. Jch bin nicht zur Freundſchaft mit dieſen Leu- ten gebohren: allein gegen meine Freundin auf- richtig zu ſeyn erfodert meine Schuldigkeit, und wenn Fraͤulein Clariſſa Harlowe dieſes be- denckt, ſo wird ſie jene freymuͤthigen Erklaͤrun- gen ihrer Anna Howe entſchuldigen. Jch haͤt- te billig Jhre Frau Mutter mit ausnehmen ſol- len, die alle meine Ehrerbietung und jetzt auch mein Mitleiden verdienet. Wie viel muß ſie ausgeſtanden haben ehe ſie ſich dergeſtalt hat un- ter das Joch bringen laſſen? der gute ſeelige Burggraf hat es ſich wol nie laſſen in die Ge- dancken kommen, daß ſich ſein Kind ſo wuͤrde buͤcken muͤſſen, als er dieſe ſeine liebe ſeine eintzige Tochter an einen dem Anſchein nach ſo artigen Herrn gab, den ſie ſelbſt gewaͤhlet hatte. Ein anderer wuͤrde Jhren Vater einen Tyrannen nennen, wenn Sie ſich ſcheuen den Namen von ihm zu gebrauchen: und wenn Sie Jhre Frau Mutter lieben, ſo haben Sie nicht Urſache mit der Welt dieſes Urtheils wegen zu zuͤrnen. Dem ohngeachtet habe ich weniger Mitleiden mit Jhrer Frau Mutter, wenn ich bedencke, daß ſie ſich zu niedrig fuͤr ihre Geburt und uͤbrigen Vor- zuͤge aufgefuͤhrt hat, es mag nun das Podagra oder was ſonſt will die Urſache ſeyn, daß Jhr Va- ter ſo hart und verdrießlich iſt; und daß ſie ſol- chen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/314
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/314>, abgerufen am 09.06.2024.