Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

Jch antwortete ihm: ich sey zwar der Frau
Elisabeth Lawrance für ein so gütiges Anerbie-
ten ungemein verbunden, wenn es von ihr selbst
herkäme: allein ich sähe die Folgen allzuwohl ein.
Es möchte vielleicht den Schein eines Hochmuths
geben, wenn ich Argwohn schöpfte, daß er einen so
starcken und dringenden Bewegungs Grund nur
deswegen auf die Bahn gebracht hätte, damit ich
zu tief verwickelt und um meine Freyheit gebracht
werden möchte. Allein ich würde mich selbst durch
Königliche Titel nicht blenden lassen. Tugend
gälte bey mir eben so viel als vornehmer Stand:
und der ungemeine Ruhm, den sich diese vorneh-
me Frauenzimmer selbst erworben hätten, machte
bey mir einen viel tiefferen Eindruck, als dieses,
daß sie Halb-Schwestern des Lord M. und Töch-
ter eines Grafen wären. Wenn meine Freunde
ihm eben so günstig gewesen wären, als er sie ab-
geneigt fände, so würde ich mich deswegen nicht
besser gegen ihn erkläret haben, wenn er weiter
keine Verdienste gehabt hätte, als daß er mit die-
sen vornehmen Personen verwant sey. Jn sol-
chem Fall würde vielmehr eben die Ursache, um
welcher willen ich sie bewunderte, eine Einwen-
dung gegen ihren Verwanten gewesen seyn.

Jch bezeugte ihm hierauf, wie leyd es mir thäte,
daß ich in einen Brief-Wechsel mit ihm hineinge-
zogen wäre, nachdem mir insonderheit dieser Brief-
wechsel untersaget wäre. Der eintzige mir angeneh-
me Gebrauch, den ich von diesem unerwarteten und
ungebetenen Besuch machen könnte, sey dieser,

ihm
Die Geſchichte

Jch antwortete ihm: ich ſey zwar der Frau
Eliſabeth Lawrance fuͤr ein ſo guͤtiges Anerbie-
ten ungemein verbunden, wenn es von ihr ſelbſt
herkaͤme: allein ich ſaͤhe die Folgen allzuwohl ein.
Es moͤchte vielleicht den Schein eines Hochmuths
geben, wenn ich Argwohn ſchoͤpfte, daß er einen ſo
ſtarcken und dringenden Bewegungs Grund nur
deswegen auf die Bahn gebracht haͤtte, damit ich
zu tief verwickelt und um meine Freyheit gebracht
werden moͤchte. Allein ich wuͤrde mich ſelbſt durch
Koͤnigliche Titel nicht blenden laſſen. Tugend
gaͤlte bey mir eben ſo viel als vornehmer Stand:
und der ungemeine Ruhm, den ſich dieſe vorneh-
me Frauenzimmer ſelbſt erworben haͤtten, machte
bey mir einen viel tiefferen Eindruck, als dieſes,
daß ſie Halb-Schweſtern des Lord M. und Toͤch-
ter eines Grafen waͤren. Wenn meine Freunde
ihm eben ſo guͤnſtig geweſen waͤren, als er ſie ab-
geneigt faͤnde, ſo wuͤrde ich mich deswegen nicht
beſſer gegen ihn erklaͤret haben, wenn er weiter
keine Verdienſte gehabt haͤtte, als daß er mit die-
ſen vornehmen Perſonen verwant ſey. Jn ſol-
chem Fall wuͤrde vielmehr eben die Urſache, um
welcher willen ich ſie bewunderte, eine Einwen-
dung gegen ihren Verwanten geweſen ſeyn.

Jch bezeugte ihm hierauf, wie leyd es mir thaͤte,
daß ich in einen Brief-Wechſel mit ihm hineinge-
zogen waͤre, nachdem mir inſonderheit dieſer Brief-
wechſel unterſaget waͤre. Der eintzige mir angeneh-
me Gebrauch, den ich von dieſem unerwarteten und
ungebetenen Beſuch machen koͤnnte, ſey dieſer,

ihm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0430" n="410"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>Jch antwortete ihm: ich &#x017F;ey zwar der Frau<lb/><hi rendition="#fr">Eli&#x017F;abeth Lawrance</hi> fu&#x0364;r ein &#x017F;o gu&#x0364;tiges Anerbie-<lb/>
ten ungemein verbunden, wenn es von ihr &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
herka&#x0364;me: allein ich &#x017F;a&#x0364;he die Folgen allzuwohl ein.<lb/>
Es mo&#x0364;chte vielleicht den Schein eines Hochmuths<lb/>
geben, wenn ich Argwohn &#x017F;cho&#x0364;pfte, daß er einen &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tarcken und dringenden Bewegungs Grund nur<lb/>
deswegen auf die Bahn gebracht ha&#x0364;tte, damit ich<lb/>
zu tief verwickelt und um meine Freyheit gebracht<lb/>
werden mo&#x0364;chte. Allein ich wu&#x0364;rde mich &#x017F;elb&#x017F;t durch<lb/>
Ko&#x0364;nigliche Titel nicht blenden la&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#fr">Tugend</hi><lb/>
ga&#x0364;lte bey mir eben &#x017F;o viel als <hi rendition="#fr">vornehmer Stand:</hi><lb/>
und der ungemeine Ruhm, den &#x017F;ich die&#x017F;e vorneh-<lb/>
me Frauenzimmer &#x017F;elb&#x017F;t erworben ha&#x0364;tten, machte<lb/>
bey mir einen viel tiefferen Eindruck, als die&#x017F;es,<lb/>
daß &#x017F;ie Halb-Schwe&#x017F;tern des Lord M. und To&#x0364;ch-<lb/>
ter eines Grafen wa&#x0364;ren. Wenn meine Freunde<lb/>
ihm eben &#x017F;o gu&#x0364;n&#x017F;tig gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren, als er &#x017F;ie ab-<lb/>
geneigt fa&#x0364;nde, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich mich deswegen nicht<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er gegen ihn erkla&#x0364;ret haben, wenn er weiter<lb/>
keine Verdien&#x017F;te gehabt ha&#x0364;tte, als daß er mit die-<lb/>
&#x017F;en vornehmen Per&#x017F;onen verwant &#x017F;ey. Jn &#x017F;ol-<lb/>
chem Fall wu&#x0364;rde vielmehr eben die Ur&#x017F;ache, um<lb/>
welcher willen ich &#x017F;ie bewunderte, eine Einwen-<lb/>
dung gegen ihren Verwanten gewe&#x017F;en &#x017F;eyn.</p><lb/>
        <p>Jch bezeugte ihm hierauf, wie leyd es mir tha&#x0364;te,<lb/>
daß ich in einen Brief-Wech&#x017F;el mit ihm hineinge-<lb/>
zogen wa&#x0364;re, nachdem mir in&#x017F;onderheit die&#x017F;er Brief-<lb/>
wech&#x017F;el unter&#x017F;aget wa&#x0364;re. Der eintzige mir angeneh-<lb/>
me Gebrauch, den ich von die&#x017F;em unerwarteten und<lb/>
ungebetenen Be&#x017F;uch machen ko&#x0364;nnte, &#x017F;ey die&#x017F;er,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihm</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0430] Die Geſchichte Jch antwortete ihm: ich ſey zwar der Frau Eliſabeth Lawrance fuͤr ein ſo guͤtiges Anerbie- ten ungemein verbunden, wenn es von ihr ſelbſt herkaͤme: allein ich ſaͤhe die Folgen allzuwohl ein. Es moͤchte vielleicht den Schein eines Hochmuths geben, wenn ich Argwohn ſchoͤpfte, daß er einen ſo ſtarcken und dringenden Bewegungs Grund nur deswegen auf die Bahn gebracht haͤtte, damit ich zu tief verwickelt und um meine Freyheit gebracht werden moͤchte. Allein ich wuͤrde mich ſelbſt durch Koͤnigliche Titel nicht blenden laſſen. Tugend gaͤlte bey mir eben ſo viel als vornehmer Stand: und der ungemeine Ruhm, den ſich dieſe vorneh- me Frauenzimmer ſelbſt erworben haͤtten, machte bey mir einen viel tiefferen Eindruck, als dieſes, daß ſie Halb-Schweſtern des Lord M. und Toͤch- ter eines Grafen waͤren. Wenn meine Freunde ihm eben ſo guͤnſtig geweſen waͤren, als er ſie ab- geneigt faͤnde, ſo wuͤrde ich mich deswegen nicht beſſer gegen ihn erklaͤret haben, wenn er weiter keine Verdienſte gehabt haͤtte, als daß er mit die- ſen vornehmen Perſonen verwant ſey. Jn ſol- chem Fall wuͤrde vielmehr eben die Urſache, um welcher willen ich ſie bewunderte, eine Einwen- dung gegen ihren Verwanten geweſen ſeyn. Jch bezeugte ihm hierauf, wie leyd es mir thaͤte, daß ich in einen Brief-Wechſel mit ihm hineinge- zogen waͤre, nachdem mir inſonderheit dieſer Brief- wechſel unterſaget waͤre. Der eintzige mir angeneh- me Gebrauch, den ich von dieſem unerwarteten und ungebetenen Beſuch machen koͤnnte, ſey dieſer, ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/430
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/430>, abgerufen am 20.05.2024.