Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
und es unglücklich ablauffen sollte, sie alles des
Trostes beraubet seyn werden den die haben, die
ihren Eltern gefolget sind, und es nicht so getrof-
fen haben, als sie es wünschen möchten.

Jch muß gehen, (sagte sie nochmahls, und mit
Thränen) damit ihr Bruder nicht vorgiebt, ich
verhärte sie durch mein nichtsbedeutendes Win-
seln. Es ist in der That hart, wenn den Einfällen
des einen Kindes so viel nachgesehen und auf die
Neigung des andern gar nicht geachtet wird. Al-
lein ich widerhole es: wenn sie nachgeben können,
so ist es ihre Schuldigkeit nachzugeben: denn ihr
Herr Vater hat einmahl ihres Bruders Willen
durch seinen Befehl bekräftiget, und ihn zu seinem
eigenen Willen gemacht. Herr Lovelace ist nicht
der Mann, der ihre Wahl mehr rechtfertigen wird,
als die Abneigung der Jhrigen. Man siehet gar
zu deutlich, daß ihr Bruder die Absicht hat, sie
um die Liebe der Jhrigen, und insonderheit ihrer
Onckles zu bringen: eben deswegen sollten sie
nachgeben, um seine niederträchtigen Absichten
zu zernichten. Jch will für sie beten, das ist alles
was ich thun kann. Jch muß jetzt hinunter gehen,
und erzählen, daß sie sich entschlossen haben, Herrn
Solmes nicht zu nehmen. Soll ich es thun? Ue-
berlegen sie es Fräulein: soll ich?

Ja! gantz gewiß! sie sollen. Allein das ver-
sichere ich ihnen, daß ich nie etwas vornehmen
werde, das sie bewegen könnte, sich des Antheils,
den sie an meiner Erziehung gehabt haben, zu
schämen. Jch will alles geduldig leiden, nur das

nicht

Die Geſchichte
und es ungluͤcklich ablauffen ſollte, ſie alles des
Troſtes beraubet ſeyn werden den die haben, die
ihren Eltern gefolget ſind, und es nicht ſo getrof-
fen haben, als ſie es wuͤnſchen moͤchten.

Jch muß gehen, (ſagte ſie nochmahls, und mit
Thraͤnen) damit ihr Bruder nicht vorgiebt, ich
verhaͤrte ſie durch mein nichtsbedeutendes Win-
ſeln. Es iſt in der That hart, wenn den Einfaͤllen
des einen Kindes ſo viel nachgeſehen und auf die
Neigung des andern gar nicht geachtet wird. Al-
lein ich widerhole es: wenn ſie nachgeben koͤnnen,
ſo iſt es ihre Schuldigkeit nachzugeben: denn ihr
Herr Vater hat einmahl ihres Bruders Willen
durch ſeinen Befehl bekraͤftiget, und ihn zu ſeinem
eigenen Willen gemacht. Herr Lovelace iſt nicht
der Mann, der ihre Wahl mehr rechtfertigen wird,
als die Abneigung der Jhrigen. Man ſiehet gar
zu deutlich, daß ihr Bruder die Abſicht hat, ſie
um die Liebe der Jhrigen, und inſonderheit ihrer
Onckles zu bringen: eben deswegen ſollten ſie
nachgeben, um ſeine niedertraͤchtigen Abſichten
zu zernichten. Jch will fuͤr ſie beten, das iſt alles
was ich thun kann. Jch muß jetzt hinunter gehen,
und erzaͤhlen, daß ſie ſich entſchloſſen haben, Herrn
Solmes nicht zu nehmen. Soll ich es thun? Ue-
berlegen ſie es Fraͤulein: ſoll ich?

Ja! gantz gewiß! ſie ſollen. Allein das ver-
ſichere ich ihnen, daß ich nie etwas vornehmen
werde, das ſie bewegen koͤnnte, ſich des Antheils,
den ſie an meiner Erziehung gehabt haben, zu
ſchaͤmen. Jch will alles geduldig leiden, nur das

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0462" n="442"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
und es unglu&#x0364;cklich ablauffen &#x017F;ollte, &#x017F;ie alles des<lb/>
Tro&#x017F;tes beraubet &#x017F;eyn werden den die haben, die<lb/>
ihren Eltern gefolget &#x017F;ind, und es nicht &#x017F;o getrof-<lb/>
fen haben, als &#x017F;ie es wu&#x0364;n&#x017F;chen mo&#x0364;chten.</p><lb/>
        <p>Jch <hi rendition="#fr">muß</hi> gehen, (&#x017F;agte &#x017F;ie nochmahls, und mit<lb/>
Thra&#x0364;nen) damit ihr Bruder nicht vorgiebt, ich<lb/>
verha&#x0364;rte &#x017F;ie durch mein nichtsbedeutendes Win-<lb/>
&#x017F;eln. Es i&#x017F;t in der That hart, wenn den Einfa&#x0364;llen<lb/>
des einen Kindes &#x017F;o viel nachge&#x017F;ehen und auf die<lb/>
Neigung des andern gar nicht geachtet wird. Al-<lb/>
lein ich widerhole es: wenn &#x017F;ie nachgeben ko&#x0364;nnen,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es ihre Schuldigkeit nachzugeben: denn ihr<lb/>
Herr Vater hat einmahl ihres Bruders Willen<lb/>
durch &#x017F;einen Befehl bekra&#x0364;ftiget, und ihn zu &#x017F;einem<lb/>
eigenen Willen gemacht. Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> i&#x017F;t nicht<lb/>
der Mann, der ihre Wahl mehr rechtfertigen wird,<lb/>
als die Abneigung der Jhrigen. Man &#x017F;iehet gar<lb/>
zu deutlich, daß ihr Bruder die Ab&#x017F;icht hat, &#x017F;ie<lb/>
um die Liebe der Jhrigen, und in&#x017F;onderheit ihrer<lb/>
Onckles zu bringen: eben deswegen &#x017F;ollten &#x017F;ie<lb/>
nachgeben, um &#x017F;eine niedertra&#x0364;chtigen Ab&#x017F;ichten<lb/>
zu zernichten. Jch will fu&#x0364;r &#x017F;ie beten, das i&#x017F;t alles<lb/>
was ich thun kann. Jch muß jetzt hinunter gehen,<lb/>
und erza&#x0364;hlen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en haben, Herrn<lb/><hi rendition="#fr">Solmes</hi> nicht zu nehmen. Soll ich es thun? Ue-<lb/>
berlegen &#x017F;ie es Fra&#x0364;ulein: &#x017F;oll ich?</p><lb/>
        <p>Ja! gantz gewiß! &#x017F;ie &#x017F;ollen. Allein das ver-<lb/>
&#x017F;ichere ich ihnen, daß ich nie etwas vornehmen<lb/>
werde, das &#x017F;ie bewegen ko&#x0364;nnte, &#x017F;ich des Antheils,<lb/>
den &#x017F;ie an meiner Erziehung gehabt haben, zu<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;men. Jch will alles geduldig leiden, nur das<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0462] Die Geſchichte und es ungluͤcklich ablauffen ſollte, ſie alles des Troſtes beraubet ſeyn werden den die haben, die ihren Eltern gefolget ſind, und es nicht ſo getrof- fen haben, als ſie es wuͤnſchen moͤchten. Jch muß gehen, (ſagte ſie nochmahls, und mit Thraͤnen) damit ihr Bruder nicht vorgiebt, ich verhaͤrte ſie durch mein nichtsbedeutendes Win- ſeln. Es iſt in der That hart, wenn den Einfaͤllen des einen Kindes ſo viel nachgeſehen und auf die Neigung des andern gar nicht geachtet wird. Al- lein ich widerhole es: wenn ſie nachgeben koͤnnen, ſo iſt es ihre Schuldigkeit nachzugeben: denn ihr Herr Vater hat einmahl ihres Bruders Willen durch ſeinen Befehl bekraͤftiget, und ihn zu ſeinem eigenen Willen gemacht. Herr Lovelace iſt nicht der Mann, der ihre Wahl mehr rechtfertigen wird, als die Abneigung der Jhrigen. Man ſiehet gar zu deutlich, daß ihr Bruder die Abſicht hat, ſie um die Liebe der Jhrigen, und inſonderheit ihrer Onckles zu bringen: eben deswegen ſollten ſie nachgeben, um ſeine niedertraͤchtigen Abſichten zu zernichten. Jch will fuͤr ſie beten, das iſt alles was ich thun kann. Jch muß jetzt hinunter gehen, und erzaͤhlen, daß ſie ſich entſchloſſen haben, Herrn Solmes nicht zu nehmen. Soll ich es thun? Ue- berlegen ſie es Fraͤulein: ſoll ich? Ja! gantz gewiß! ſie ſollen. Allein das ver- ſichere ich ihnen, daß ich nie etwas vornehmen werde, das ſie bewegen koͤnnte, ſich des Antheils, den ſie an meiner Erziehung gehabt haben, zu ſchaͤmen. Jch will alles geduldig leiden, nur das nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/462
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/462>, abgerufen am 21.05.2024.