Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Wie schweiffe ich aus? du sagtest zwar sonst,
daß du Vergnügen an meinen Ausschweiffungen
fändest. Wenn das wahr ist, so soll deine Lust
gesättiget werden: denn niemahls habe ich ein Ge-
mählde zu entwerffen gehabt, das ich so anbetete,
und mit dem ich so lange Geduld haben muß, ehe ich
etwas wage; wenn ich es anders jemahls in mei-
nem Leben wage.

Jch muß wieder auf die guten Wercke kommen,
deren ich mich erinnern wollte. An mein Rosen-
Knöspchen dencke du ja nicht! [das] habe ich läng-
stens in den Gedancken. Jch habe die Sache so
gespielt, daß meine Göttin durch meinen Engel
Joseph Lehmann etwas davon erfahren sollte.
Allein ich habe mich darin betrogen, wenn ich
hoffete, daß sie deswegen ein völliges Vertrauen in
mich setzen würde.

Das ist der Teuffel! So unglücklich bin ich im-
mer. Wenn ich etwas gutes thue, so heist es:
ich hätte gethan, was ich zu thun schuldig war.
Thue ich was böses, so wird es an das Licht gezogen,
und so böse vorgestellet, als es nur möglich ist. Jst
das recht? Sollte man nicht gutes und böses gegen
einander abwägen? Sollte sich nicht die Zunge auf
meine Seite lencken? Allein Bruder, ich muß dir
bekennen, ich bin halb böse auf meine Frömmig-
keit, daß ich das blühende Mädchen nicht genossen
habe. Denn in Wahrheit ich glaube, ein allerlieb-
stes Mädchen ist vlel zu eine kostbare Perle, als
daß sie an dem Halse eines armen Lumpenhundes
hangen sollte.

Wenn


Wie ſchweiffe ich aus? du ſagteſt zwar ſonſt,
daß du Vergnuͤgen an meinen Ausſchweiffungen
faͤndeſt. Wenn das wahr iſt, ſo ſoll deine Luſt
geſaͤttiget werden: denn niemahls habe ich ein Ge-
maͤhlde zu entwerffen gehabt, das ich ſo anbetete,
und mit dem ich ſo lange Geduld haben muß, ehe ich
etwas wage; wenn ich es anders jemahls in mei-
nem Leben wage.

Jch muß wieder auf die guten Wercke kommen,
deren ich mich erinnern wollte. An mein Roſen-
Knoͤſpchen dencke du ja nicht! [das] habe ich laͤng-
ſtens in den Gedancken. Jch habe die Sache ſo
geſpielt, daß meine Goͤttin durch meinen Engel
Joſeph Lehmann etwas davon erfahren ſollte.
Allein ich habe mich darin betrogen, wenn ich
hoffete, daß ſie deswegen ein voͤlliges Vertrauen in
mich ſetzen wuͤrde.

Das iſt der Teuffel! So ungluͤcklich bin ich im-
mer. Wenn ich etwas gutes thue, ſo heiſt es:
ich haͤtte gethan, was ich zu thun ſchuldig war.
Thue ich was boͤſes, ſo wird es an das Licht gezogen,
und ſo boͤſe vorgeſtellet, als es nur moͤglich iſt. Jſt
das recht? Sollte man nicht gutes und boͤſes gegen
einander abwaͤgen? Sollte ſich nicht die Zunge auf
meine Seite lencken? Allein Bruder, ich muß dir
bekennen, ich bin halb boͤſe auf meine Froͤmmig-
keit, daß ich das bluͤhende Maͤdchen nicht genoſſen
habe. Denn in Wahrheit ich glaube, ein allerlieb-
ſtes Maͤdchen iſt vlel zu eine koſtbare Perle, als
daß ſie an dem Halſe eines armen Lumpenhundes
hangen ſollte.

Wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0160" n="146"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Wie &#x017F;chweiffe ich aus? du &#x017F;agte&#x017F;t zwar &#x017F;on&#x017F;t,<lb/>
daß du Vergnu&#x0364;gen an meinen Aus&#x017F;chweiffungen<lb/>
fa&#x0364;nde&#x017F;t. Wenn das wahr i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;oll deine Lu&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;a&#x0364;ttiget werden: denn niemahls habe ich ein Ge-<lb/>
ma&#x0364;hlde zu entwerffen gehabt, das ich &#x017F;o anbetete,<lb/>
und mit dem ich &#x017F;o lange Geduld haben muß, ehe ich<lb/>
etwas wage; wenn ich es anders jemahls in mei-<lb/>
nem Leben wage.</p><lb/>
          <p>Jch muß wieder auf die guten Wercke kommen,<lb/>
deren ich mich erinnern wollte. An mein Ro&#x017F;en-<lb/>
Kno&#x0364;&#x017F;pchen dencke du ja nicht! <supplied>das</supplied> habe ich la&#x0364;ng-<lb/>
&#x017F;tens in den Gedancken. Jch habe die Sache &#x017F;o<lb/>
ge&#x017F;pielt, daß meine Go&#x0364;ttin durch meinen Engel<lb/><hi rendition="#fr">Jo&#x017F;eph Lehmann</hi> etwas davon erfahren &#x017F;ollte.<lb/>
Allein ich habe mich darin betrogen, wenn ich<lb/>
hoffete, daß &#x017F;ie deswegen ein vo&#x0364;lliges Vertrauen in<lb/>
mich &#x017F;etzen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          <p>Das i&#x017F;t der Teuffel! So unglu&#x0364;cklich bin ich im-<lb/>
mer. Wenn ich etwas gutes thue, &#x017F;o hei&#x017F;t es:<lb/>
ich ha&#x0364;tte gethan, was ich zu thun &#x017F;chuldig war.<lb/>
Thue ich was bo&#x0364;&#x017F;es, &#x017F;o wird es an das Licht gezogen,<lb/>
und &#x017F;o bo&#x0364;&#x017F;e vorge&#x017F;tellet, als es nur mo&#x0364;glich i&#x017F;t. J&#x017F;t<lb/>
das recht? Sollte man nicht gutes und bo&#x0364;&#x017F;es gegen<lb/>
einander abwa&#x0364;gen? Sollte &#x017F;ich nicht die Zunge auf<lb/>
meine Seite lencken? Allein Bruder, ich muß dir<lb/>
bekennen, ich bin halb bo&#x0364;&#x017F;e auf meine Fro&#x0364;mmig-<lb/>
keit, daß ich das blu&#x0364;hende Ma&#x0364;dchen nicht geno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
habe. Denn in Wahrheit ich glaube, ein allerlieb-<lb/>
&#x017F;tes Ma&#x0364;dchen i&#x017F;t vlel zu eine ko&#x017F;tbare Perle, als<lb/>
daß &#x017F;ie an dem Hal&#x017F;e eines armen Lumpenhundes<lb/>
hangen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0160] Wie ſchweiffe ich aus? du ſagteſt zwar ſonſt, daß du Vergnuͤgen an meinen Ausſchweiffungen faͤndeſt. Wenn das wahr iſt, ſo ſoll deine Luſt geſaͤttiget werden: denn niemahls habe ich ein Ge- maͤhlde zu entwerffen gehabt, das ich ſo anbetete, und mit dem ich ſo lange Geduld haben muß, ehe ich etwas wage; wenn ich es anders jemahls in mei- nem Leben wage. Jch muß wieder auf die guten Wercke kommen, deren ich mich erinnern wollte. An mein Roſen- Knoͤſpchen dencke du ja nicht! das habe ich laͤng- ſtens in den Gedancken. Jch habe die Sache ſo geſpielt, daß meine Goͤttin durch meinen Engel Joſeph Lehmann etwas davon erfahren ſollte. Allein ich habe mich darin betrogen, wenn ich hoffete, daß ſie deswegen ein voͤlliges Vertrauen in mich ſetzen wuͤrde. Das iſt der Teuffel! So ungluͤcklich bin ich im- mer. Wenn ich etwas gutes thue, ſo heiſt es: ich haͤtte gethan, was ich zu thun ſchuldig war. Thue ich was boͤſes, ſo wird es an das Licht gezogen, und ſo boͤſe vorgeſtellet, als es nur moͤglich iſt. Jſt das recht? Sollte man nicht gutes und boͤſes gegen einander abwaͤgen? Sollte ſich nicht die Zunge auf meine Seite lencken? Allein Bruder, ich muß dir bekennen, ich bin halb boͤſe auf meine Froͤmmig- keit, daß ich das bluͤhende Maͤdchen nicht genoſſen habe. Denn in Wahrheit ich glaube, ein allerlieb- ſtes Maͤdchen iſt vlel zu eine koſtbare Perle, als daß ſie an dem Halſe eines armen Lumpenhundes hangen ſollte. Wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/160
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/160>, abgerufen am 26.04.2024.