Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Eben wollte ich aufschließen, so sprang er mit
einem fürchterlichen Gesicht und Stimme von den
Knien auf, und wisperte gantz laut: sie sind in-
wendig vor der Thür, mein Hertz!
Er nahm
mir den Schlüssel, lief nach der Thür zu, und
handthierte damit, als wenn er ihn in das Schlüs-
sel Loch stecken wollte, damit niemand von innen
aufschließen könnte. Den Augenblick ließ sich in-
wendig eine Stimme hören, und es stieß jemand
gegen die Thür, als wenn er sie aufsprengen woll-
te und rief mit einigen harten Stößen: seyd ihr
da? den Augenblick her! Geschwind! da
sind sie bey einander! Pistole! Flinte her!

darauf geschahen noch einige Stöße. Er zog den
Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff
meine beyden zitternden Hände, und zog mich ge-
schwind nach sich mit den Worten: fliehen sie,
Kind. Dieß ist der letzte Augenblick, den sie ha-
ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der Sol-
mes!
Sie werden die Thür den Augenblick spren-
gen. Fliehen sie, wenn sie nicht härter als vor-
hin gemißhandelt werden wollen. Wenn sie nicht
zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen
ansehen wollen, so müssen sie fliehen.

Ach GOtt hilf! das war es alles, was Jhre
arme Thörin voller Bestürtzung rief, ohne von sich
selbst etwas zu wissen.

Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor
und hinter mich, auf diese und auf jene Seite:
und erwartete einen unsinnigen Bruder, gewaffnete
Knechte, eine Schwester die Zetter und Weh aus

vol-
B 5


Eben wollte ich aufſchließen, ſo ſprang er mit
einem fuͤrchterlichen Geſicht und Stimme von den
Knien auf, und wiſperte gantz laut: ſie ſind in-
wendig vor der Thuͤr, mein Hertz!
Er nahm
mir den Schluͤſſel, lief nach der Thuͤr zu, und
handthierte damit, als wenn er ihn in das Schluͤſ-
ſel Loch ſtecken wollte, damit niemand von innen
aufſchließen koͤnnte. Den Augenblick ließ ſich in-
wendig eine Stimme hoͤren, und es ſtieß jemand
gegen die Thuͤr, als wenn er ſie aufſprengen woll-
te und rief mit einigen harten Stoͤßen: ſeyd ihr
da? den Augenblick her! Geſchwind! da
ſind ſie bey einander! Piſtole! Flinte her!

darauf geſchahen noch einige Stoͤße. Er zog den
Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff
meine beyden zitternden Haͤnde, und zog mich ge-
ſchwind nach ſich mit den Worten: fliehen ſie,
Kind. Dieß iſt der letzte Augenblick, den ſie ha-
ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der Sol-
mes!
Sie werden die Thuͤr den Augenblick ſpren-
gen. Fliehen ſie, wenn ſie nicht haͤrter als vor-
hin gemißhandelt werden wollen. Wenn ſie nicht
zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen
anſehen wollen, ſo muͤſſen ſie fliehen.

Ach GOtt hilf! das war es alles, was Jhre
arme Thoͤrin voller Beſtuͤrtzung rief, ohne von ſich
ſelbſt etwas zu wiſſen.

Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor
und hinter mich, auf dieſe und auf jene Seite:
und erwartete einen unſinnigen Bruder, gewaffnete
Knechte, eine Schweſter die Zetter und Weh aus

vol-
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0039" n="25"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Eben wollte ich auf&#x017F;chließen, &#x017F;o &#x017F;prang er mit<lb/>
einem fu&#x0364;rchterlichen Ge&#x017F;icht und Stimme von den<lb/>
Knien auf, und wi&#x017F;perte gantz laut: <hi rendition="#fr">&#x017F;ie &#x017F;ind in-<lb/>
wendig vor der Thu&#x0364;r, mein Hertz!</hi> Er nahm<lb/>
mir den Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el, lief nach der Thu&#x0364;r zu, und<lb/>
handthierte damit, als wenn er ihn in das Schlu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;el Loch &#x017F;tecken wollte, damit niemand von innen<lb/>
auf&#x017F;chließen ko&#x0364;nnte. Den Augenblick ließ &#x017F;ich in-<lb/>
wendig eine Stimme ho&#x0364;ren, und es &#x017F;tieß jemand<lb/>
gegen die Thu&#x0364;r, als wenn er &#x017F;ie auf&#x017F;prengen woll-<lb/>
te und rief mit einigen harten Sto&#x0364;ßen: <hi rendition="#fr">&#x017F;eyd ihr<lb/>
da? den Augenblick her! Ge&#x017F;chwind! da<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ie bey einander! Pi&#x017F;tole! Flinte her!</hi><lb/>
darauf ge&#x017F;chahen noch einige Sto&#x0364;ße. Er zog den<lb/>
Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff<lb/>
meine beyden zitternden Ha&#x0364;nde, und zog mich ge-<lb/>
&#x017F;chwind nach &#x017F;ich mit den Worten: fliehen &#x017F;ie,<lb/>
Kind. Dieß i&#x017F;t der letzte Augenblick, den &#x017F;ie ha-<lb/>
ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der <hi rendition="#fr">Sol-<lb/>
mes!</hi> Sie werden die Thu&#x0364;r den Augenblick &#x017F;pren-<lb/>
gen. Fliehen &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie nicht ha&#x0364;rter als vor-<lb/>
hin gemißhandelt werden wollen. Wenn &#x017F;ie nicht<lb/>
zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen<lb/>
an&#x017F;ehen wollen, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie fliehen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Ach GOtt hilf!</hi> das war es alles, was Jhre<lb/>
arme Tho&#x0364;rin voller Be&#x017F;tu&#x0364;rtzung rief, ohne von &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t etwas zu wi&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor<lb/>
und hinter mich, auf die&#x017F;e und auf jene Seite:<lb/>
und erwartete einen un&#x017F;innigen Bruder, gewaffnete<lb/>
Knechte, eine Schwe&#x017F;ter die Zetter und Weh aus<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">vol-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0039] Eben wollte ich aufſchließen, ſo ſprang er mit einem fuͤrchterlichen Geſicht und Stimme von den Knien auf, und wiſperte gantz laut: ſie ſind in- wendig vor der Thuͤr, mein Hertz! Er nahm mir den Schluͤſſel, lief nach der Thuͤr zu, und handthierte damit, als wenn er ihn in das Schluͤſ- ſel Loch ſtecken wollte, damit niemand von innen aufſchließen koͤnnte. Den Augenblick ließ ſich in- wendig eine Stimme hoͤren, und es ſtieß jemand gegen die Thuͤr, als wenn er ſie aufſprengen woll- te und rief mit einigen harten Stoͤßen: ſeyd ihr da? den Augenblick her! Geſchwind! da ſind ſie bey einander! Piſtole! Flinte her! darauf geſchahen noch einige Stoͤße. Er zog den Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff meine beyden zitternden Haͤnde, und zog mich ge- ſchwind nach ſich mit den Worten: fliehen ſie, Kind. Dieß iſt der letzte Augenblick, den ſie ha- ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der Sol- mes! Sie werden die Thuͤr den Augenblick ſpren- gen. Fliehen ſie, wenn ſie nicht haͤrter als vor- hin gemißhandelt werden wollen. Wenn ſie nicht zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen anſehen wollen, ſo muͤſſen ſie fliehen. Ach GOtt hilf! das war es alles, was Jhre arme Thoͤrin voller Beſtuͤrtzung rief, ohne von ſich ſelbſt etwas zu wiſſen. Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor und hinter mich, auf dieſe und auf jene Seite: und erwartete einen unſinnigen Bruder, gewaffnete Knechte, eine Schweſter die Zetter und Weh aus vol- B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/39
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/39>, abgerufen am 30.04.2024.