und Freygeist; wäre er ein Ungläubiger, so hätte man keine Hoffnung mehr für ihn, sondern (wie er auf seine Erfindung stoltz seyn würde) er wäre ganz und gar verfallen, nicht zu bekehren und verwildert.
Von den Gelegenheiten, da Hr. Lovelace in seinen Briefen gesteht: daß sie ihn so gerührt ha- ben, drückt sie sich dergestalt aus:
"Er bestrebte sich, wie schon zuvor, seine "Bewegung zu verbergen, aber mein Werther, "warum schätzen sich die Mannsbilder (denn Hr. "Lovelace hat hierin nichts besonders) für zu "schlecht, Proben eines empfindlichen Her- "zens zu geben? Wäre es noch in meiner Ge- "walt, zu wählen oder auszuschlagen, so würde "ich den Mann mit Verachtung fortschicken, der "das Vermögen bey gehörigen Gelegenheiten "gerührt zu werden, zu unterdrücken strebte, oder "zu verleugnen suchte, als wenn er ein wildes "Hertz hätte, oder die größte Ehre der menschli- "chen Natur so wenig kennte, daß er seinen Stoltz "auf eine barbarische Unempfindlichkeit grün- "dete."
Juvenals Gedancken darüber haben mich oft ergötzt: Das Mitleiden ist den Men- schen eigenthümlich; Die Natur bezeugt solches, da sie uns Thränen gibt. Wir al- lein entdecken durch solche Proben unsere zartliche Empfindungen. Weinen ist un-
ser
und Freygeiſt; waͤre er ein Unglaͤubiger, ſo haͤtte man keine Hoffnung mehr fuͤr ihn, ſondern (wie er auf ſeine Erfindung ſtoltz ſeyn wuͤrde) er waͤre ganz und gar verfallen, nicht zu bekehren und verwildert.
Von den Gelegenheiten, da Hr. Lovelace in ſeinen Briefen geſteht: daß ſie ihn ſo geruͤhrt ha- ben, druͤckt ſie ſich dergeſtalt aus:
„Er beſtrebte ſich, wie ſchon zuvor, ſeine „Bewegung zu verbergen, aber mein Werther, „warum ſchaͤtzen ſich die Mannsbilder (denn Hr. „Lovelace hat hierin nichts beſonders) fuͤr zu „ſchlecht, Proben eines empfindlichen Her- „zens zu geben? Waͤre es noch in meiner Ge- „walt, zu waͤhlen oder auszuſchlagen, ſo wuͤrde „ich den Mann mit Verachtung fortſchicken, der „das Vermoͤgen bey gehoͤrigen Gelegenheiten „geruͤhrt zu werden, zu unterdruͤcken ſtrebte, oder „zu verleugnen ſuchte, als wenn er ein wildes „Hertz haͤtte, oder die groͤßte Ehre der menſchli- „chen Natur ſo wenig kennte, daß er ſeinen Stoltz „auf eine barbariſche Unempfindlichkeit gruͤn- „dete.„
Juvenals Gedancken daruͤber haben mich oft ergoͤtzt: Das Mitleiden iſt den Men- ſchen eigenthuͤmlich; Die Natur bezeugt ſolches, da ſie uns Thraͤnen gibt. Wir al- lein entdecken durch ſolche Proben unſere zartliche Empfindungen. Weinen iſt un-
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und Freygeiſt; waͤre er ein Unglaͤubiger, ſo haͤtte
man keine Hoffnung mehr fuͤr ihn, ſondern (wie
er auf ſeine Erfindung ſtoltz ſeyn wuͤrde) er waͤre
ganz und gar verfallen, nicht zu bekehren und
verwildert.
Von den Gelegenheiten, da Hr. Lovelace in
ſeinen Briefen geſteht: daß ſie ihn ſo geruͤhrt ha-
ben, druͤckt ſie ſich dergeſtalt aus:
„Er beſtrebte ſich, wie ſchon zuvor, ſeine
„Bewegung zu verbergen, aber mein Werther,
„warum ſchaͤtzen ſich die Mannsbilder (denn Hr.
„Lovelace hat hierin nichts beſonders) fuͤr zu
„ſchlecht, Proben eines empfindlichen Her-
„zens zu geben? Waͤre es noch in meiner Ge-
„walt, zu waͤhlen oder auszuſchlagen, ſo wuͤrde
„ich den Mann mit Verachtung fortſchicken, der
„das Vermoͤgen bey gehoͤrigen Gelegenheiten
„geruͤhrt zu werden, zu unterdruͤcken ſtrebte, oder
„zu verleugnen ſuchte, als wenn er ein wildes
„Hertz haͤtte, oder die groͤßte Ehre der menſchli-
„chen Natur ſo wenig kennte, daß er ſeinen Stoltz
„auf eine barbariſche Unempfindlichkeit gruͤn-
„dete.„
Juvenals Gedancken daruͤber haben mich
oft ergoͤtzt: Das Mitleiden iſt den Men-
ſchen eigenthuͤmlich; Die Natur bezeugt
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/394>, abgerufen am 05.05.2024.
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