Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



GOttes willen quälen sie mich nicht so, wie sie die
vergangene Woche gethan haben.

Er hielt ein: und ich schwieg auch stille.

Jch glaubte zu Anfang nicht, (fuhr er fort) daß
ihr Unwille über eine blosse Neugierde so groß und
von solcher Dauer seyn würde: ich hoffte, er würde
von selbst wieder vergehen. Da ich aber erfahren
muß, daß sie so lange fortfahren zu zürnen, bis sie
den Erfolg ihrer Unterhandlungen mit ihren An-
verwanten sehen, und zwar solcher Unterhandlun-
gen, dadurch ich sie auf ewig hätte verlieren können:
so weiß ich mich gar nicht darein zu finden, daß ich
bey ihnen bisher so wenig Gunst habe erlangen kön-
nen, obgleich unsere Umstände und unsere Feinde
uns auf das genaueste verbinden.

Er hielt noch einmahl ein. Als ich aber nicht
redete, fuhr er fort:

Jch gestehe es, daß ich ein hochmüthiges Hertz
habe. Jch wünschte allerdings, daß ein Frauen-
zimmer, welches ich die Meinige zu nennen höchst
begierig bin, mir durch einige Zeichen zu verstehen
gäbe, daß es mich andern vorziehet. Zum we-
nigsten wollte ich nicht gern, daß es jedermann in
die Augen fiele, daß ich die Wahl, die ein solches
Frauenzimmer trifft, blos der Härte und wunderli-
chen Aufführung der unerbittlichsten Verfolger zu-
zuschreiben sey.

Er sagte noch mehreres von eben der Art. Sie
wissen, wie viele Gelegenheit er mir gegeben hat,
ihm wieder Vorwürffe zu machen. Jch that es, und
schonte seiner nicht: allein es würde überflüßig seyn,

wenn
E 5



GOttes willen quaͤlen ſie mich nicht ſo, wie ſie die
vergangene Woche gethan haben.

Er hielt ein: und ich ſchwieg auch ſtille.

Jch glaubte zu Anfang nicht, (fuhr er fort) daß
ihr Unwille uͤber eine bloſſe Neugierde ſo groß und
von ſolcher Dauer ſeyn wuͤrde: ich hoffte, er wuͤrde
von ſelbſt wieder vergehen. Da ich aber erfahren
muß, daß ſie ſo lange fortfahren zu zuͤrnen, bis ſie
den Erfolg ihrer Unterhandlungen mit ihren An-
verwanten ſehen, und zwar ſolcher Unterhandlun-
gen, dadurch ich ſie auf ewig haͤtte verlieren koͤnnen:
ſo weiß ich mich gar nicht darein zu finden, daß ich
bey ihnen bisher ſo wenig Gunſt habe erlangen koͤn-
nen, obgleich unſere Umſtaͤnde und unſere Feinde
uns auf das genaueſte verbinden.

Er hielt noch einmahl ein. Als ich aber nicht
redete, fuhr er fort:

Jch geſtehe es, daß ich ein hochmuͤthiges Hertz
habe. Jch wuͤnſchte allerdings, daß ein Frauen-
zimmer, welches ich die Meinige zu nennen hoͤchſt
begierig bin, mir durch einige Zeichen zu verſtehen
gaͤbe, daß es mich andern vorziehet. Zum we-
nigſten wollte ich nicht gern, daß es jedermann in
die Augen fiele, daß ich die Wahl, die ein ſolches
Frauenzimmer trifft, blos der Haͤrte und wunderli-
chen Auffuͤhrung der unerbittlichſten Verfolger zu-
zuſchreiben ſey.

Er ſagte noch mehreres von eben der Art. Sie
wiſſen, wie viele Gelegenheit er mir gegeben hat,
ihm wieder Vorwuͤrffe zu machen. Jch that es, und
ſchonte ſeiner nicht: allein es wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn,

wenn
E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0079" n="73"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
GOttes willen qua&#x0364;len &#x017F;ie mich nicht &#x017F;o, wie &#x017F;ie die<lb/>
vergangene Woche gethan haben.</p><lb/>
          <p>Er hielt ein: und ich &#x017F;chwieg auch &#x017F;tille.</p><lb/>
          <p>Jch glaubte zu Anfang nicht, (fuhr er fort) daß<lb/>
ihr Unwille u&#x0364;ber eine blo&#x017F;&#x017F;e Neugierde &#x017F;o groß und<lb/>
von &#x017F;olcher Dauer &#x017F;eyn wu&#x0364;rde: ich hoffte, er wu&#x0364;rde<lb/>
von &#x017F;elb&#x017F;t wieder vergehen. Da ich aber erfahren<lb/>
muß, daß &#x017F;ie &#x017F;o lange fortfahren zu zu&#x0364;rnen, bis &#x017F;ie<lb/>
den Erfolg ihrer Unterhandlungen mit ihren An-<lb/>
verwanten &#x017F;ehen, und zwar &#x017F;olcher Unterhandlun-<lb/>
gen, dadurch ich &#x017F;ie auf ewig ha&#x0364;tte verlieren ko&#x0364;nnen:<lb/>
&#x017F;o weiß ich mich gar nicht darein zu finden, daß ich<lb/>
bey ihnen bisher &#x017F;o wenig Gun&#x017F;t habe erlangen ko&#x0364;n-<lb/>
nen, obgleich un&#x017F;ere Um&#x017F;ta&#x0364;nde und un&#x017F;ere Feinde<lb/>
uns auf das genaue&#x017F;te verbinden.</p><lb/>
          <p>Er hielt noch einmahl ein. Als ich aber nicht<lb/>
redete, fuhr er fort:</p><lb/>
          <p>Jch ge&#x017F;tehe es, daß ich ein hochmu&#x0364;thiges Hertz<lb/>
habe. Jch wu&#x0364;n&#x017F;chte allerdings, daß ein Frauen-<lb/>
zimmer, welches ich die Meinige zu nennen ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
begierig bin, mir durch einige Zeichen zu ver&#x017F;tehen<lb/>
ga&#x0364;be, daß es mich andern vorziehet. Zum we-<lb/>
nig&#x017F;ten wollte ich nicht gern, daß es jedermann in<lb/>
die Augen fiele, daß ich die Wahl, die ein &#x017F;olches<lb/>
Frauenzimmer trifft, blos der Ha&#x0364;rte und wunderli-<lb/>
chen Auffu&#x0364;hrung der unerbittlich&#x017F;ten Verfolger zu-<lb/>
zu&#x017F;chreiben &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;agte noch mehreres von eben der Art. Sie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, wie viele Gelegenheit er mir gegeben hat,<lb/>
ihm wieder Vorwu&#x0364;rffe zu machen. Jch that es, und<lb/>
&#x017F;chonte &#x017F;einer nicht: allein es wu&#x0364;rde u&#x0364;berflu&#x0364;ßig &#x017F;eyn,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">wenn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0079] GOttes willen quaͤlen ſie mich nicht ſo, wie ſie die vergangene Woche gethan haben. Er hielt ein: und ich ſchwieg auch ſtille. Jch glaubte zu Anfang nicht, (fuhr er fort) daß ihr Unwille uͤber eine bloſſe Neugierde ſo groß und von ſolcher Dauer ſeyn wuͤrde: ich hoffte, er wuͤrde von ſelbſt wieder vergehen. Da ich aber erfahren muß, daß ſie ſo lange fortfahren zu zuͤrnen, bis ſie den Erfolg ihrer Unterhandlungen mit ihren An- verwanten ſehen, und zwar ſolcher Unterhandlun- gen, dadurch ich ſie auf ewig haͤtte verlieren koͤnnen: ſo weiß ich mich gar nicht darein zu finden, daß ich bey ihnen bisher ſo wenig Gunſt habe erlangen koͤn- nen, obgleich unſere Umſtaͤnde und unſere Feinde uns auf das genaueſte verbinden. Er hielt noch einmahl ein. Als ich aber nicht redete, fuhr er fort: Jch geſtehe es, daß ich ein hochmuͤthiges Hertz habe. Jch wuͤnſchte allerdings, daß ein Frauen- zimmer, welches ich die Meinige zu nennen hoͤchſt begierig bin, mir durch einige Zeichen zu verſtehen gaͤbe, daß es mich andern vorziehet. Zum we- nigſten wollte ich nicht gern, daß es jedermann in die Augen fiele, daß ich die Wahl, die ein ſolches Frauenzimmer trifft, blos der Haͤrte und wunderli- chen Auffuͤhrung der unerbittlichſten Verfolger zu- zuſchreiben ſey. Er ſagte noch mehreres von eben der Art. Sie wiſſen, wie viele Gelegenheit er mir gegeben hat, ihm wieder Vorwuͤrffe zu machen. Jch that es, und ſchonte ſeiner nicht: allein es wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn, wenn E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/79
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/79>, abgerufen am 10.10.2024.