Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



war, willens gewesen, der Fr. Mooren Haus zu
verlassen. Jch wollte nichts mehr wünschen, als
daß sie es möchte versucht haben.

Jungfer Rawlins, an die sie sich desfalls ge-
wandt hatte, hat es ihr widerrathen, wie es
scheinet.

Frau Moore stellte ihr ebenfalls die Schwie-
rigkeiten vor, die sie nach ihrer Meynung antref-
fen würde, ohne mein Wissen ungehindert fortzu-
kommen: ob sie ihr gleich nicht bekannte, daß
mein Wilhelm in ihrem Hause schliefe, oder viel-
mehr aufsäße und Liebeshändel triebe. Die gute
Frau versicherte sie, daß sie nirgends sicherer, als
bey ihr, seyn könnte, bis sie schlüßig geworden
wäre, wohin sie sich begeben wollte. Und die
Fräulein selbst besann sich, daß, wenn sie fortgin-
ge, der Brief verlohren gehen möchte, den sie von
ihrer theuren Freundinn, der Fräulein Howe, er-
wartete: Dieser sollte ihr aber, nach ihrem eignen
Geständnisse, bey ihren künftigen Unternehmun-
gen zu einer Richtschnur dienen.

Sie mußte gewiß auch begierig seyn, zu er-
fahren, was ihres Onkels Freund ihr von ihrem
Onkel zu sagen hätte: so verächtlich sie auch ge-
stern einem Manne von seinem Ansehen begegnet
hatte. Sie konnte ebenfalls, wie ich denken soll-
te, nicht gänzlich beschlossen haben, sich dem Be-
suche von zweyen der vornehmsten Frauenzimmer
aus meiner Familie selbst zu entziehen, und vor
ihrer aller Augen völlig mit mir zu brechen. - -
Wohin hätte sie auch, außer dem, gehen kön-

nen?



war, willens geweſen, der Fr. Mooren Haus zu
verlaſſen. Jch wollte nichts mehr wuͤnſchen, als
daß ſie es moͤchte verſucht haben.

Jungfer Rawlins, an die ſie ſich desfalls ge-
wandt hatte, hat es ihr widerrathen, wie es
ſcheinet.

Frau Moore ſtellte ihr ebenfalls die Schwie-
rigkeiten vor, die ſie nach ihrer Meynung antref-
fen wuͤrde, ohne mein Wiſſen ungehindert fortzu-
kommen: ob ſie ihr gleich nicht bekannte, daß
mein Wilhelm in ihrem Hauſe ſchliefe, oder viel-
mehr aufſaͤße und Liebeshaͤndel triebe. Die gute
Frau verſicherte ſie, daß ſie nirgends ſicherer, als
bey ihr, ſeyn koͤnnte, bis ſie ſchluͤßig geworden
waͤre, wohin ſie ſich begeben wollte. Und die
Fraͤulein ſelbſt beſann ſich, daß, wenn ſie fortgin-
ge, der Brief verlohren gehen moͤchte, den ſie von
ihrer theuren Freundinn, der Fraͤulein Howe, er-
wartete: Dieſer ſollte ihr aber, nach ihrem eignen
Geſtaͤndniſſe, bey ihren kuͤnftigen Unternehmun-
gen zu einer Richtſchnur dienen.

Sie mußte gewiß auch begierig ſeyn, zu er-
fahren, was ihres Onkels Freund ihr von ihrem
Onkel zu ſagen haͤtte: ſo veraͤchtlich ſie auch ge-
ſtern einem Manne von ſeinem Anſehen begegnet
hatte. Sie konnte ebenfalls, wie ich denken ſoll-
te, nicht gaͤnzlich beſchloſſen haben, ſich dem Be-
ſuche von zweyen der vornehmſten Frauenzimmer
aus meiner Familie ſelbſt zu entziehen, und vor
ihrer aller Augen voͤllig mit mir zu brechen. ‒ ‒
Wohin haͤtte ſie auch, außer dem, gehen koͤn-

nen?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0388" n="382"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
war, willens gewe&#x017F;en, der Fr. Mooren Haus zu<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en. Jch wollte nichts mehr wu&#x0364;n&#x017F;chen, als<lb/>
daß &#x017F;ie es mo&#x0364;chte ver&#x017F;ucht haben.</p><lb/>
            <p>Jungfer Rawlins, an die &#x017F;ie &#x017F;ich desfalls ge-<lb/>
wandt hatte, hat es ihr widerrathen, wie es<lb/>
&#x017F;cheinet.</p><lb/>
            <p>Frau Moore &#x017F;tellte ihr ebenfalls die Schwie-<lb/>
rigkeiten vor, die &#x017F;ie nach ihrer Meynung antref-<lb/>
fen wu&#x0364;rde, ohne mein Wi&#x017F;&#x017F;en ungehindert fortzu-<lb/>
kommen: ob &#x017F;ie ihr gleich nicht bekannte, daß<lb/>
mein Wilhelm in ihrem Hau&#x017F;e &#x017F;chliefe, oder viel-<lb/>
mehr auf&#x017F;a&#x0364;ße und Liebesha&#x0364;ndel triebe. Die gute<lb/>
Frau ver&#x017F;icherte &#x017F;ie, daß &#x017F;ie nirgends &#x017F;icherer, als<lb/>
bey ihr, &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte, bis &#x017F;ie &#x017F;chlu&#x0364;ßig geworden<lb/>
wa&#x0364;re, wohin &#x017F;ie &#x017F;ich begeben wollte. Und die<lb/>
Fra&#x0364;ulein &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;ann &#x017F;ich, daß, wenn &#x017F;ie fortgin-<lb/>
ge, der Brief verlohren gehen mo&#x0364;chte, den &#x017F;ie von<lb/>
ihrer theuren Freundinn, der Fra&#x0364;ulein Howe, er-<lb/>
wartete: Die&#x017F;er &#x017F;ollte ihr aber, nach ihrem eignen<lb/>
Ge&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e, bey ihren ku&#x0364;nftigen Unternehmun-<lb/>
gen zu einer Richt&#x017F;chnur dienen.</p><lb/>
            <p>Sie mußte gewiß auch begierig &#x017F;eyn, zu er-<lb/>
fahren, was ihres Onkels Freund ihr von ihrem<lb/>
Onkel zu &#x017F;agen ha&#x0364;tte: &#x017F;o vera&#x0364;chtlich &#x017F;ie auch ge-<lb/>
&#x017F;tern einem Manne von &#x017F;einem An&#x017F;ehen begegnet<lb/>
hatte. Sie konnte ebenfalls, wie ich denken &#x017F;oll-<lb/>
te, nicht ga&#x0364;nzlich be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en haben, &#x017F;ich dem Be-<lb/>
&#x017F;uche von zweyen der vornehm&#x017F;ten Frauenzimmer<lb/>
aus meiner Familie &#x017F;elb&#x017F;t zu entziehen, und vor<lb/>
ihrer aller Augen vo&#x0364;llig mit mir zu brechen. &#x2012; &#x2012;<lb/>
Wohin ha&#x0364;tte &#x017F;ie auch, außer dem, gehen ko&#x0364;n-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen?</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[382/0388] war, willens geweſen, der Fr. Mooren Haus zu verlaſſen. Jch wollte nichts mehr wuͤnſchen, als daß ſie es moͤchte verſucht haben. Jungfer Rawlins, an die ſie ſich desfalls ge- wandt hatte, hat es ihr widerrathen, wie es ſcheinet. Frau Moore ſtellte ihr ebenfalls die Schwie- rigkeiten vor, die ſie nach ihrer Meynung antref- fen wuͤrde, ohne mein Wiſſen ungehindert fortzu- kommen: ob ſie ihr gleich nicht bekannte, daß mein Wilhelm in ihrem Hauſe ſchliefe, oder viel- mehr aufſaͤße und Liebeshaͤndel triebe. Die gute Frau verſicherte ſie, daß ſie nirgends ſicherer, als bey ihr, ſeyn koͤnnte, bis ſie ſchluͤßig geworden waͤre, wohin ſie ſich begeben wollte. Und die Fraͤulein ſelbſt beſann ſich, daß, wenn ſie fortgin- ge, der Brief verlohren gehen moͤchte, den ſie von ihrer theuren Freundinn, der Fraͤulein Howe, er- wartete: Dieſer ſollte ihr aber, nach ihrem eignen Geſtaͤndniſſe, bey ihren kuͤnftigen Unternehmun- gen zu einer Richtſchnur dienen. Sie mußte gewiß auch begierig ſeyn, zu er- fahren, was ihres Onkels Freund ihr von ihrem Onkel zu ſagen haͤtte: ſo veraͤchtlich ſie auch ge- ſtern einem Manne von ſeinem Anſehen begegnet hatte. Sie konnte ebenfalls, wie ich denken ſoll- te, nicht gaͤnzlich beſchloſſen haben, ſich dem Be- ſuche von zweyen der vornehmſten Frauenzimmer aus meiner Familie ſelbſt zu entziehen, und vor ihrer aller Augen voͤllig mit mir zu brechen. ‒ ‒ Wohin haͤtte ſie auch, außer dem, gehen koͤn- nen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/388
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/388>, abgerufen am 28.04.2024.