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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

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und die Hochachtung aller andern Leute erhal-
ten sollte. Die andre, die eben so gelehrt, wie
die Mannspersonen, seyn wollte, wußte keine
beßre Art, diesen Anspruch zu behaupten, als
durch die Verachtung ihres eignen Geschlechts;
und verlohr also diese dem Frauenzimmer eigne
feine Art zu denken, deren Verlust keine andre
Vollkommenheit ersetzen kann.

Zuweilen brachte sie der üble Gebrauch, den
das gelehrte Frauenzimmer gar oft von ihrer
sonst hochzuachtenden Kenntniß machet, auf
die Gedanken, es sei nicht viel daran gelegen,
wenn sich das schöne Geschlecht auch nach nichts
bestrebte, als die Schönheiten und Annehmlich-
keiten ihrer Muttersprache in ihrer Gewalt zu
haben. Und einmal sagte sie: "Dies wäre
"schon ein weites Feld für ein Frauenzimmer,
"und wenn sie sich in ein noch weiters wagte,
"so liefe sie leicht Gefahr, ihrer Familie weni-
"ger nützlich zu seyn." Allein ich konnte dar-
in
nie mit ihr übereinkommen, weil ich glau-
be, daß unser Geschlecht dem andern in keiner
Sache weichen darf, als in dem Mangel an
Gelegenheiten, deren uns die eigennützigen
Männer mit Fleiß berauben, damit wir sie nicht
in den Geschicklichkeiten, worauf sie ihren Vor-
zug am meisten gründen, so sehr übertreffen,
wie wir es ihnen in den Annehmlichkeiten einer
feinen Einbildung zuvor thun. Doch war ich
darin völlig ihrer Meinung, daß das Frauen-
zimmer, welches sich bemühete, die Kenntniß

oder
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und die Hochachtung aller andern Leute erhal-
ten ſollte. Die andre, die eben ſo gelehrt, wie
die Mannsperſonen, ſeyn wollte, wußte keine
beßre Art, dieſen Anſpruch zu behaupten, als
durch die Verachtung ihres eignen Geſchlechts;
und verlohr alſo dieſe dem Frauenzimmer eigne
feine Art zu denken, deren Verluſt keine andre
Vollkommenheit erſetzen kann.

Zuweilen brachte ſie der uͤble Gebrauch, den
das gelehrte Frauenzimmer gar oft von ihrer
ſonſt hochzuachtenden Kenntniß machet, auf
die Gedanken, es ſei nicht viel daran gelegen,
wenn ſich das ſchoͤne Geſchlecht auch nach nichts
beſtrebte, als die Schoͤnheiten und Annehmlich-
keiten ihrer Mutterſprache in ihrer Gewalt zu
haben. Und einmal ſagte ſie: „Dies waͤre
„ſchon ein weites Feld fuͤr ein Frauenzimmer,
„und wenn ſie ſich in ein noch weiters wagte,
„ſo liefe ſie leicht Gefahr, ihrer Familie weni-
„ger nuͤtzlich zu ſeyn.” Allein ich konnte dar-
in
nie mit ihr uͤbereinkommen, weil ich glau-
be, daß unſer Geſchlecht dem andern in keiner
Sache weichen darf, als in dem Mangel an
Gelegenheiten, deren uns die eigennuͤtzigen
Maͤnner mit Fleiß berauben, damit wir ſie nicht
in den Geſchicklichkeiten, worauf ſie ihren Vor-
zug am meiſten gruͤnden, ſo ſehr uͤbertreffen,
wie wir es ihnen in den Annehmlichkeiten einer
feinen Einbildung zuvor thun. Doch war ich
darin voͤllig ihrer Meinung, daß das Frauen-
zimmer, welches ſich bemuͤhete, die Kenntniß

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[281/0289] und die Hochachtung aller andern Leute erhal- ten ſollte. Die andre, die eben ſo gelehrt, wie die Mannsperſonen, ſeyn wollte, wußte keine beßre Art, dieſen Anſpruch zu behaupten, als durch die Verachtung ihres eignen Geſchlechts; und verlohr alſo dieſe dem Frauenzimmer eigne feine Art zu denken, deren Verluſt keine andre Vollkommenheit erſetzen kann. Zuweilen brachte ſie der uͤble Gebrauch, den das gelehrte Frauenzimmer gar oft von ihrer ſonſt hochzuachtenden Kenntniß machet, auf die Gedanken, es ſei nicht viel daran gelegen, wenn ſich das ſchoͤne Geſchlecht auch nach nichts beſtrebte, als die Schoͤnheiten und Annehmlich- keiten ihrer Mutterſprache in ihrer Gewalt zu haben. Und einmal ſagte ſie: „Dies waͤre „ſchon ein weites Feld fuͤr ein Frauenzimmer, „und wenn ſie ſich in ein noch weiters wagte, „ſo liefe ſie leicht Gefahr, ihrer Familie weni- „ger nuͤtzlich zu ſeyn.” Allein ich konnte dar- in nie mit ihr uͤbereinkommen, weil ich glau- be, daß unſer Geſchlecht dem andern in keiner Sache weichen darf, als in dem Mangel an Gelegenheiten, deren uns die eigennuͤtzigen Maͤnner mit Fleiß berauben, damit wir ſie nicht in den Geſchicklichkeiten, worauf ſie ihren Vor- zug am meiſten gruͤnden, ſo ſehr uͤbertreffen, wie wir es ihnen in den Annehmlichkeiten einer feinen Einbildung zuvor thun. Doch war ich darin voͤllig ihrer Meinung, daß das Frauen- zimmer, welches ſich bemuͤhete, die Kenntniß oder S 5

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/289>, abgerufen am 28.04.2024.