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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
über dem Fusse befindet. Wir sehen da neben einander gelegte Dop-
pelvoluten (die beiden auf der Abbildung ersichtlichen nur zur Hälfte
sichtbar). Die beiden Zwickel, die eine jede von diesen Doppelvoluten
mit sich selbst bildet, sind mit Palmettenfächern gefüllt, die Zwickel
dagegen, die durch das Nebeneinanderstossen je zweier Doppelvoluten
entstehen, mit einfachen Giebeln.

Es bleiben an der Vase Fig. 66 noch die beiden Ornamentstreifen
zu betrachten, die den Figurenfries mit den Reitern oben und unten
besäumen. Wir haben diese beiden Säume absichtlich zum Schlusse
aufgespart, da dieselben in ihrer Musterung entschieden reingriechi-
schen Charakter zeigen, und zugleich mit mykenischen Vorbildern so
enge zusammenhängen, dass wir sie als direkte Zwischenglieder
zwischen mykenischen und hellenischen Kunstformen
ansehen

[Abbildung] Fig. 68.

Von einem klazomenischen
Thonsarkophag.

[Abbildung] Fig. 69.

Gemaltes Füllornament von einer
melischen Vase.

dürfen. Der untere Saum besteht aus neben einander gelegten S-Spi-
ralen; diese wären nun an sich eben so wenig unegyptisch, wie die
giebelförmigen Zwickelfüllungen dazwischen. Das Mykenisch-Grie-
chische beruht in den Ranken, die von den Spiralen theils oben, theils
unten abzweigen und in den Palmettenfächer-Füllungen, die zwischen
diesen Ranken und den Spiralen eingezeichnet sind, und nicht, wie es
das egyptische Schema erforderte, in den inneren Winkeln der S-Krüm-
mung. Wie ein Egypter die Zwickel einer S-Spirale gefüllt hätte,
zeigt Fig. 69, die gleichfalls von einer melischen Vase (Conze Taf. IV)
entlehnt ist und daselbst als Füllsel zwischen den Pferdebeinen dient.
Dagegen bildet die abzweigende Ranke mit dem füllenden Fächer in
Fig. 66 eine Halbpalmette. Das Motiv der Halbpalmette, deren zwei eine
ganze Palmette zusammensetzen, ist späterhin in der griechischen Or-
namentik ein überaus wichtiges und grundlegendes geworden. An der
melischen Vase, Fig. 66, ist es in allem Wesentlichen schon vorhanden;

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
über dem Fusse befindet. Wir sehen da neben einander gelegte Dop-
pelvoluten (die beiden auf der Abbildung ersichtlichen nur zur Hälfte
sichtbar). Die beiden Zwickel, die eine jede von diesen Doppelvoluten
mit sich selbst bildet, sind mit Palmettenfächern gefüllt, die Zwickel
dagegen, die durch das Nebeneinanderstossen je zweier Doppelvoluten
entstehen, mit einfachen Giebeln.

Es bleiben an der Vase Fig. 66 noch die beiden Ornamentstreifen
zu betrachten, die den Figurenfries mit den Reitern oben und unten
besäumen. Wir haben diese beiden Säume absichtlich zum Schlusse
aufgespart, da dieselben in ihrer Musterung entschieden reingriechi-
schen Charakter zeigen, und zugleich mit mykenischen Vorbildern so
enge zusammenhängen, dass wir sie als direkte Zwischenglieder
zwischen mykenischen und hellenischen Kunstformen
ansehen

[Abbildung] Fig. 68.

Von einem klazomenischen
Thonsarkophag.

[Abbildung] Fig. 69.

Gemaltes Füllornament von einer
melischen Vase.

dürfen. Der untere Saum besteht aus neben einander gelegten S-Spi-
ralen; diese wären nun an sich eben so wenig unegyptisch, wie die
giebelförmigen Zwickelfüllungen dazwischen. Das Mykenisch-Grie-
chische beruht in den Ranken, die von den Spiralen theils oben, theils
unten abzweigen und in den Palmettenfächer-Füllungen, die zwischen
diesen Ranken und den Spiralen eingezeichnet sind, und nicht, wie es
das egyptische Schema erforderte, in den inneren Winkeln der S-Krüm-
mung. Wie ein Egypter die Zwickel einer S-Spirale gefüllt hätte,
zeigt Fig. 69, die gleichfalls von einer melischen Vase (Conze Taf. IV)
entlehnt ist und daselbst als Füllsel zwischen den Pferdebeinen dient.
Dagegen bildet die abzweigende Ranke mit dem füllenden Fächer in
Fig. 66 eine Halbpalmette. Das Motiv der Halbpalmette, deren zwei eine
ganze Palmette zusammensetzen, ist späterhin in der griechischen Or-
namentik ein überaus wichtiges und grundlegendes geworden. An der
melischen Vase, Fig. 66, ist es in allem Wesentlichen schon vorhanden;

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[158/0184] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. über dem Fusse befindet. Wir sehen da neben einander gelegte Dop- pelvoluten (die beiden auf der Abbildung ersichtlichen nur zur Hälfte sichtbar). Die beiden Zwickel, die eine jede von diesen Doppelvoluten mit sich selbst bildet, sind mit Palmettenfächern gefüllt, die Zwickel dagegen, die durch das Nebeneinanderstossen je zweier Doppelvoluten entstehen, mit einfachen Giebeln. Es bleiben an der Vase Fig. 66 noch die beiden Ornamentstreifen zu betrachten, die den Figurenfries mit den Reitern oben und unten besäumen. Wir haben diese beiden Säume absichtlich zum Schlusse aufgespart, da dieselben in ihrer Musterung entschieden reingriechi- schen Charakter zeigen, und zugleich mit mykenischen Vorbildern so enge zusammenhängen, dass wir sie als direkte Zwischenglieder zwischen mykenischen und hellenischen Kunstformen ansehen [Abbildung Fig. 68. Von einem klazomenischen Thonsarkophag.] [Abbildung Fig. 69. Gemaltes Füllornament von einer melischen Vase.] dürfen. Der untere Saum besteht aus neben einander gelegten S-Spi- ralen; diese wären nun an sich eben so wenig unegyptisch, wie die giebelförmigen Zwickelfüllungen dazwischen. Das Mykenisch-Grie- chische beruht in den Ranken, die von den Spiralen theils oben, theils unten abzweigen und in den Palmettenfächer-Füllungen, die zwischen diesen Ranken und den Spiralen eingezeichnet sind, und nicht, wie es das egyptische Schema erforderte, in den inneren Winkeln der S-Krüm- mung. Wie ein Egypter die Zwickel einer S-Spirale gefüllt hätte, zeigt Fig. 69, die gleichfalls von einer melischen Vase (Conze Taf. IV) entlehnt ist und daselbst als Füllsel zwischen den Pferdebeinen dient. Dagegen bildet die abzweigende Ranke mit dem füllenden Fächer in Fig. 66 eine Halbpalmette. Das Motiv der Halbpalmette, deren zwei eine ganze Palmette zusammensetzen, ist späterhin in der griechischen Or- namentik ein überaus wichtiges und grundlegendes geworden. An der melischen Vase, Fig. 66, ist es in allem Wesentlichen schon vorhanden;

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/184>, abgerufen am 05.05.2024.