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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, Wien, 1912.

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verbanden, die Absatzgebiete immer größere Ausdehnung erfuhren, mußte die Gebundenheit des Arbeiters an die Scholle der Freizügigkeit weichen, die naturgemäß das patriarchalische Verhältnis zwischen Arbeitsgeber und Arbeitsnehmer zerstörte.

Die Arbeiter waren nunmehr freilich gegenüber allen Wechselfällen des Lebens auf ihre eigene Kraft angewiesen; um diese zu stärken, griffen sie schon früh zur organisierten Selbsthilfe. So entstanden in England die Friendly societies und die Trades unions. Diese Verbände waren freie Vereinigungen und die Unterstützungen, die sie ihren Mitgliedern gewährten, hatten mehr den Charakter der milden Gabe als den eines rechtlichen Anspruches auf eine bestimmte Leistung.

Allerdings läßt sich schon in der ältesten Geschichte der Vereinigung der Arbeiter zu Unterstützungszwecken das Moment des Zwanges nachweisen. Durch die im 14. Jahr hundert in Österreich und Deutschland erlassenen Bergordnungen wurden die Bergarbeiter verpflichtet, derartigen Vereinigungen zu gegenseitiger Hilfe - in Österreich Bruder laden, in Deutschland Knappschaftskassen genannt beizutreten. Die Mittel zur Bestreitung der Unterstützungen wurden durch Beiträge der Arbeiter sowohl als auch der Bergwerksbesitzer aufgebracht.

Was die ältere Gesetzgebung sonst noch an Arbeiterschutz bietet, erschöpft sich in den zivilrechtlichen Vorschriften über Schadenersatz und Genugtuung.

Einzelne größere Unternehmungen, unter denen in erster Linie die Eisenbahnunternehmungen zu nennen sind, schufen freiwillig Einrichtungen zum Zweck der Unterstützung ihrer Arbeiter in Krankheitsfällen. Etwas später kam es bei den Eisenbahnunternehmungen auch zur Errichtung von Unfallskassen, die den Zweck verfolgten, zu gunsten der beim Fahrdienst beschäftigten und durch einen Unfall beim Verkehr verletzten Bediensteten sowie zu gunsten ihrer Hinterbliebenen, unbeschadet ihrer zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche Kapitalien sicherzustellen. Schließlich wurde von den Eisenbahnunternehmungen auch eine Invaliden- und Altersfürsorge für die Bediensteten, die sich anfangs allerdings nur auf die festangestellten Personen beschränkte und erst später auch auf die Arbeiter ausgedehnt wurde, eingeführt.

Bei der überwiegenden Mehrzahl der übrigen industriellen Unternehmungen aber mußten die Arbeiter, wenn sie sich nicht zu freiwilligen Unterstützungsverbänden vereinigten, jedweder Fürsorge im Fall von Krankheit, Unfällen, Invalidität, Alter und Tod entbehren. Dieser Mangel wurde von den Arbeitern, je schneller und gewaltiger sich die Fortschritte auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiete vollzogen, desto schwerer empfunden, und ihre Unzufriedenheit wuchs stetig an. Der Gegensatz zwischen Arbeiter und Unternehmer wurde immer schroffer und nahm schließlich Formen an, die den sozialen Frieden ernstlich bedrohten. Unter dem Drucke dieser Verhältnisse setzte sich schließlich die Erkenntnis durch, daß die alten Zustände nicht länger aufrecht zu erhalten seien und daß an Stelle des ungenügenden Schutzes, den die zivilrechtlichen Vorschriften für erkrankte, verunglückte, invalide und alte Arbeiter geschaffen hatten, Vorschriften treten müssen, die den hilfsbedürftigen Arbeitern eine größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes gewährleisten.

Es entstand nun die Frage, auf welche Grundlagen die künftige Arbeiterschutzgesetzgebung gestellt werden solle. Hierbei kamen zunächst 3 Wege in Betracht:

1. die Ausdehnung und Verschärfung der bisherigen zivilrechtlichen Schadenersatznormen;

2. die Erweiterung der Armenpflege;

3. die Erweiterung des privaten Versicherungswesens.

Keiner dieser Wege erschien gangbar. Der erste Weg nicht, weil er die Zahlungsfähigkeit der Schadenersatzpflichtigen voraussetzt, diese Zahlungsfähigkeit aber nicht immer gegeben ist, ganz abgesehen davon, daß die Vorschriften über Schadenersatz keine Anwendung finden können auf die Erwerbsunfähigkeit, die durch innere Krankheiten, durch Alter oder durch Unfälle herbeigeführt wird, deren Ursachen eigenes Verschulden des Verunglückten oder elementare Ereignisse bilden.

Der zweite Weg schien nicht empfehlenswert, weil die Leistungen der Armenkasse doch immer den Charakter des Almosens tragen, wozu noch der weitere Umstand kommt, daß den Gemeinden unerschwingliche Lasten aufgebürdet worden wären, und daß die Armenunterstützung den Empfänger von den politischen Rechten ausgeschlossen hätte. Gegen die Erweiterung des Privatversicherungswesens in dem Sinne, daß der Arbeiter gezwungen werden sollte, sich bei einer privaten Versicherungsgesellschaft für den Krankheitsfall, gegen die Folgen von Unfällen und der Invalidität zu versichern, obwaltete das Bedenken, daß die Privatversicherungsgesellschaften als Erwerbsunternehmungen stets darauf bedacht sein würden, die Versicherungsprämien so hoch als möglich, jedenfalls aber höher zu bemessen, als sie der Arbeiter erschwingen

verbanden, die Absatzgebiete immer größere Ausdehnung erfuhren, mußte die Gebundenheit des Arbeiters an die Scholle der Freizügigkeit weichen, die naturgemäß das patriarchalische Verhältnis zwischen Arbeitsgeber und Arbeitsnehmer zerstörte.

Die Arbeiter waren nunmehr freilich gegenüber allen Wechselfällen des Lebens auf ihre eigene Kraft angewiesen; um diese zu stärken, griffen sie schon früh zur organisierten Selbsthilfe. So entstanden in England die Friendly societies und die Trades unions. Diese Verbände waren freie Vereinigungen und die Unterstützungen, die sie ihren Mitgliedern gewährten, hatten mehr den Charakter der milden Gabe als den eines rechtlichen Anspruches auf eine bestimmte Leistung.

Allerdings läßt sich schon in der ältesten Geschichte der Vereinigung der Arbeiter zu Unterstützungszwecken das Moment des Zwanges nachweisen. Durch die im 14. Jahr hundert in Österreich und Deutschland erlassenen Bergordnungen wurden die Bergarbeiter verpflichtet, derartigen Vereinigungen zu gegenseitiger Hilfe – in Österreich Bruder laden, in Deutschland Knappschaftskassen genannt beizutreten. Die Mittel zur Bestreitung der Unterstützungen wurden durch Beiträge der Arbeiter sowohl als auch der Bergwerksbesitzer aufgebracht.

Was die ältere Gesetzgebung sonst noch an Arbeiterschutz bietet, erschöpft sich in den zivilrechtlichen Vorschriften über Schadenersatz und Genugtuung.

Einzelne größere Unternehmungen, unter denen in erster Linie die Eisenbahnunternehmungen zu nennen sind, schufen freiwillig Einrichtungen zum Zweck der Unterstützung ihrer Arbeiter in Krankheitsfällen. Etwas später kam es bei den Eisenbahnunternehmungen auch zur Errichtung von Unfallskassen, die den Zweck verfolgten, zu gunsten der beim Fahrdienst beschäftigten und durch einen Unfall beim Verkehr verletzten Bediensteten sowie zu gunsten ihrer Hinterbliebenen, unbeschadet ihrer zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche Kapitalien sicherzustellen. Schließlich wurde von den Eisenbahnunternehmungen auch eine Invaliden- und Altersfürsorge für die Bediensteten, die sich anfangs allerdings nur auf die festangestellten Personen beschränkte und erst später auch auf die Arbeiter ausgedehnt wurde, eingeführt.

Bei der überwiegenden Mehrzahl der übrigen industriellen Unternehmungen aber mußten die Arbeiter, wenn sie sich nicht zu freiwilligen Unterstützungsverbänden vereinigten, jedweder Fürsorge im Fall von Krankheit, Unfällen, Invalidität, Alter und Tod entbehren. Dieser Mangel wurde von den Arbeitern, je schneller und gewaltiger sich die Fortschritte auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiete vollzogen, desto schwerer empfunden, und ihre Unzufriedenheit wuchs stetig an. Der Gegensatz zwischen Arbeiter und Unternehmer wurde immer schroffer und nahm schließlich Formen an, die den sozialen Frieden ernstlich bedrohten. Unter dem Drucke dieser Verhältnisse setzte sich schließlich die Erkenntnis durch, daß die alten Zustände nicht länger aufrecht zu erhalten seien und daß an Stelle des ungenügenden Schutzes, den die zivilrechtlichen Vorschriften für erkrankte, verunglückte, invalide und alte Arbeiter geschaffen hatten, Vorschriften treten müssen, die den hilfsbedürftigen Arbeitern eine größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes gewährleisten.

Es entstand nun die Frage, auf welche Grundlagen die künftige Arbeiterschutzgesetzgebung gestellt werden solle. Hierbei kamen zunächst 3 Wege in Betracht:

1. die Ausdehnung und Verschärfung der bisherigen zivilrechtlichen Schadenersatznormen;

2. die Erweiterung der Armenpflege;

3. die Erweiterung des privaten Versicherungswesens.

Keiner dieser Wege erschien gangbar. Der erste Weg nicht, weil er die Zahlungsfähigkeit der Schadenersatzpflichtigen voraussetzt, diese Zahlungsfähigkeit aber nicht immer gegeben ist, ganz abgesehen davon, daß die Vorschriften über Schadenersatz keine Anwendung finden können auf die Erwerbsunfähigkeit, die durch innere Krankheiten, durch Alter oder durch Unfälle herbeigeführt wird, deren Ursachen eigenes Verschulden des Verunglückten oder elementare Ereignisse bilden.

Der zweite Weg schien nicht empfehlenswert, weil die Leistungen der Armenkasse doch immer den Charakter des Almosens tragen, wozu noch der weitere Umstand kommt, daß den Gemeinden unerschwingliche Lasten aufgebürdet worden wären, und daß die Armenunterstützung den Empfänger von den politischen Rechten ausgeschlossen hätte. Gegen die Erweiterung des Privatversicherungswesens in dem Sinne, daß der Arbeiter gezwungen werden sollte, sich bei einer privaten Versicherungsgesellschaft für den Krankheitsfall, gegen die Folgen von Unfällen und der Invalidität zu versichern, obwaltete das Bedenken, daß die Privatversicherungsgesellschaften als Erwerbsunternehmungen stets darauf bedacht sein würden, die Versicherungsprämien so hoch als möglich, jedenfalls aber höher zu bemessen, als sie der Arbeiter erschwingen

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[216/0225] verbanden, die Absatzgebiete immer größere Ausdehnung erfuhren, mußte die Gebundenheit des Arbeiters an die Scholle der Freizügigkeit weichen, die naturgemäß das patriarchalische Verhältnis zwischen Arbeitsgeber und Arbeitsnehmer zerstörte. Die Arbeiter waren nunmehr freilich gegenüber allen Wechselfällen des Lebens auf ihre eigene Kraft angewiesen; um diese zu stärken, griffen sie schon früh zur organisierten Selbsthilfe. So entstanden in England die Friendly societies und die Trades unions. Diese Verbände waren freie Vereinigungen und die Unterstützungen, die sie ihren Mitgliedern gewährten, hatten mehr den Charakter der milden Gabe als den eines rechtlichen Anspruches auf eine bestimmte Leistung. Allerdings läßt sich schon in der ältesten Geschichte der Vereinigung der Arbeiter zu Unterstützungszwecken das Moment des Zwanges nachweisen. Durch die im 14. Jahr hundert in Österreich und Deutschland erlassenen Bergordnungen wurden die Bergarbeiter verpflichtet, derartigen Vereinigungen zu gegenseitiger Hilfe – in Österreich Bruder laden, in Deutschland Knappschaftskassen genannt beizutreten. Die Mittel zur Bestreitung der Unterstützungen wurden durch Beiträge der Arbeiter sowohl als auch der Bergwerksbesitzer aufgebracht. Was die ältere Gesetzgebung sonst noch an Arbeiterschutz bietet, erschöpft sich in den zivilrechtlichen Vorschriften über Schadenersatz und Genugtuung. Einzelne größere Unternehmungen, unter denen in erster Linie die Eisenbahnunternehmungen zu nennen sind, schufen freiwillig Einrichtungen zum Zweck der Unterstützung ihrer Arbeiter in Krankheitsfällen. Etwas später kam es bei den Eisenbahnunternehmungen auch zur Errichtung von Unfallskassen, die den Zweck verfolgten, zu gunsten der beim Fahrdienst beschäftigten und durch einen Unfall beim Verkehr verletzten Bediensteten sowie zu gunsten ihrer Hinterbliebenen, unbeschadet ihrer zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche Kapitalien sicherzustellen. Schließlich wurde von den Eisenbahnunternehmungen auch eine Invaliden- und Altersfürsorge für die Bediensteten, die sich anfangs allerdings nur auf die festangestellten Personen beschränkte und erst später auch auf die Arbeiter ausgedehnt wurde, eingeführt. Bei der überwiegenden Mehrzahl der übrigen industriellen Unternehmungen aber mußten die Arbeiter, wenn sie sich nicht zu freiwilligen Unterstützungsverbänden vereinigten, jedweder Fürsorge im Fall von Krankheit, Unfällen, Invalidität, Alter und Tod entbehren. Dieser Mangel wurde von den Arbeitern, je schneller und gewaltiger sich die Fortschritte auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiete vollzogen, desto schwerer empfunden, und ihre Unzufriedenheit wuchs stetig an. Der Gegensatz zwischen Arbeiter und Unternehmer wurde immer schroffer und nahm schließlich Formen an, die den sozialen Frieden ernstlich bedrohten. Unter dem Drucke dieser Verhältnisse setzte sich schließlich die Erkenntnis durch, daß die alten Zustände nicht länger aufrecht zu erhalten seien und daß an Stelle des ungenügenden Schutzes, den die zivilrechtlichen Vorschriften für erkrankte, verunglückte, invalide und alte Arbeiter geschaffen hatten, Vorschriften treten müssen, die den hilfsbedürftigen Arbeitern eine größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes gewährleisten. Es entstand nun die Frage, auf welche Grundlagen die künftige Arbeiterschutzgesetzgebung gestellt werden solle. Hierbei kamen zunächst 3 Wege in Betracht: 1. die Ausdehnung und Verschärfung der bisherigen zivilrechtlichen Schadenersatznormen; 2. die Erweiterung der Armenpflege; 3. die Erweiterung des privaten Versicherungswesens. Keiner dieser Wege erschien gangbar. Der erste Weg nicht, weil er die Zahlungsfähigkeit der Schadenersatzpflichtigen voraussetzt, diese Zahlungsfähigkeit aber nicht immer gegeben ist, ganz abgesehen davon, daß die Vorschriften über Schadenersatz keine Anwendung finden können auf die Erwerbsunfähigkeit, die durch innere Krankheiten, durch Alter oder durch Unfälle herbeigeführt wird, deren Ursachen eigenes Verschulden des Verunglückten oder elementare Ereignisse bilden. Der zweite Weg schien nicht empfehlenswert, weil die Leistungen der Armenkasse doch immer den Charakter des Almosens tragen, wozu noch der weitere Umstand kommt, daß den Gemeinden unerschwingliche Lasten aufgebürdet worden wären, und daß die Armenunterstützung den Empfänger von den politischen Rechten ausgeschlossen hätte. Gegen die Erweiterung des Privatversicherungswesens in dem Sinne, daß der Arbeiter gezwungen werden sollte, sich bei einer privaten Versicherungsgesellschaft für den Krankheitsfall, gegen die Folgen von Unfällen und der Invalidität zu versichern, obwaltete das Bedenken, daß die Privatversicherungsgesellschaften als Erwerbsunternehmungen stets darauf bedacht sein würden, die Versicherungsprämien so hoch als möglich, jedenfalls aber höher zu bemessen, als sie der Arbeiter erschwingen

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, Wien, 1912, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen01_1912/225>, abgerufen am 31.05.2024.