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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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Gleich das erste wieder lebendigere Eingreifen der großen
europäischen Politik in die Partheiverhältnisse Polens führte
für sie diese Erfahrung herbei. Seit dem Frieden von Achen
(18. Oct. 1748) beherrschte bekanntlich der Gegensatz von
Frankreich und England die europäische Politik. Überall in
der Welt bekämpften sich beide Mächte zunächst diplomatisch,
und überall, in Holland, Dänemark, Schweden, wirkte ihr
Streit auf die inneren Verhältnisse der einzelnen Staaten zu-
rück. Mit Frankreich war Preußen, mit England Östreich und
Rußland verbunden, und bis auf einen gewissen Grad auch
König August III., indem er englische Subsidien bezog. Als
Kurfürst von Sachsen und König von Polen nahm er schon
in Folge der geographischen Lage seiner Länder eine Stellung
ein, welche es beiden mit einander ringenden Mächten gleich
wichtig erscheinen ließ, ob er im Fall des Ausbruchs eines
Krieges auf die eine oder die andere Seite trat. Gelang es
Frankreich, ihn zu sich hinüberzuziehen, so beherrschte dieses durch
seine Verbindung mit Preußen und Sachsen nicht nur das ganze
nördliche Deutschland, sondern durfte auch hoffen, die Repu-
blik in sein politisches System zu ziehen. Im Bunde mit
Dänemark und Schweden, mit Preußen und Sachsen, mit
Polen und der Pforte, konnte dann die französische Politik dem
englisch-östreichisch-russischen Bunde Schach bieten, während um-
gekehrt, wenn August III. sich zu dem letztern hielt, nicht nur
Rußland seine Heere durch Polen Östreich zu Hilfe senden
konnte, wie es schon einmal gegen das Ende des östreichischen
Erbfolgekrieges gethan, sondern auch Preußen durch den ganzen
verbündeten Osten aufs höchste bedroht und gefährdet war.
Sehr natürlich daher, daß man in Paris den Gedanken er-
griff, König August III. und Polen für Frankreich zu gewinnen.

Czartoryski, in seiner Abhandlung über Branicki in der Biblioteka Osso-
linskich. Poczet nowy t. V. Lwow 1864
beurtheilt. -- v. Maltzahn
und Benoit, die preußischen Bevollmächtigten in Warschau zu dieser Zeit,
schrieben von ihm am 28. October 1752: "Le grand General, qui est
naturellement indolent, et que son age et ses infirmites mettent ab-
solument dans le cas d'etre gouverne et mene",
und wiederholen dieses
Urtheil öfter in ihren Depeschen.

Gleich das erſte wieder lebendigere Eingreifen der großen
europäiſchen Politik in die Partheiverhältniſſe Polens führte
für ſie dieſe Erfahrung herbei. Seit dem Frieden von Achen
(18. Oct. 1748) beherrſchte bekanntlich der Gegenſatz von
Frankreich und England die europäiſche Politik. Überall in
der Welt bekämpften ſich beide Mächte zunächſt diplomatiſch,
und überall, in Holland, Dänemark, Schweden, wirkte ihr
Streit auf die inneren Verhältniſſe der einzelnen Staaten zu-
rück. Mit Frankreich war Preußen, mit England Öſtreich und
Rußland verbunden, und bis auf einen gewiſſen Grad auch
König Auguſt III., indem er engliſche Subſidien bezog. Als
Kurfürſt von Sachſen und König von Polen nahm er ſchon
in Folge der geographiſchen Lage ſeiner Länder eine Stellung
ein, welche es beiden mit einander ringenden Mächten gleich
wichtig erſcheinen ließ, ob er im Fall des Ausbruchs eines
Krieges auf die eine oder die andere Seite trat. Gelang es
Frankreich, ihn zu ſich hinüberzuziehen, ſo beherrſchte dieſes durch
ſeine Verbindung mit Preußen und Sachſen nicht nur das ganze
nördliche Deutſchland, ſondern durfte auch hoffen, die Repu-
blik in ſein politiſches Syſtem zu ziehen. Im Bunde mit
Dänemark und Schweden, mit Preußen und Sachſen, mit
Polen und der Pforte, konnte dann die franzöſiſche Politik dem
engliſch-öſtreichiſch-ruſſiſchen Bunde Schach bieten, während um-
gekehrt, wenn Auguſt III. ſich zu dem letztern hielt, nicht nur
Rußland ſeine Heere durch Polen Öſtreich zu Hilfe ſenden
konnte, wie es ſchon einmal gegen das Ende des öſtreichiſchen
Erbfolgekrieges gethan, ſondern auch Preußen durch den ganzen
verbündeten Oſten aufs höchſte bedroht und gefährdet war.
Sehr natürlich daher, daß man in Paris den Gedanken er-
griff, König Auguſt III. und Polen für Frankreich zu gewinnen.

Czartoryski, in ſeiner Abhandlung über Branicki in der Biblioteka Osso-
linskich. Poczet nowy t. V. Lwów 1864
beurtheilt. — v. Maltzahn
und Benoit, die preußiſchen Bevollmächtigten in Warſchau zu dieſer Zeit,
ſchrieben von ihm am 28. October 1752: „Le grand General, qui est
naturellement indolent, et que son âge et ses infirmités mettent ab-
solument dans le cas d’être gouverné et mené“,
und wiederholen dieſes
Urtheil öfter in ihren Depeſchen.
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[84/0098] Gleich das erſte wieder lebendigere Eingreifen der großen europäiſchen Politik in die Partheiverhältniſſe Polens führte für ſie dieſe Erfahrung herbei. Seit dem Frieden von Achen (18. Oct. 1748) beherrſchte bekanntlich der Gegenſatz von Frankreich und England die europäiſche Politik. Überall in der Welt bekämpften ſich beide Mächte zunächſt diplomatiſch, und überall, in Holland, Dänemark, Schweden, wirkte ihr Streit auf die inneren Verhältniſſe der einzelnen Staaten zu- rück. Mit Frankreich war Preußen, mit England Öſtreich und Rußland verbunden, und bis auf einen gewiſſen Grad auch König Auguſt III., indem er engliſche Subſidien bezog. Als Kurfürſt von Sachſen und König von Polen nahm er ſchon in Folge der geographiſchen Lage ſeiner Länder eine Stellung ein, welche es beiden mit einander ringenden Mächten gleich wichtig erſcheinen ließ, ob er im Fall des Ausbruchs eines Krieges auf die eine oder die andere Seite trat. Gelang es Frankreich, ihn zu ſich hinüberzuziehen, ſo beherrſchte dieſes durch ſeine Verbindung mit Preußen und Sachſen nicht nur das ganze nördliche Deutſchland, ſondern durfte auch hoffen, die Repu- blik in ſein politiſches Syſtem zu ziehen. Im Bunde mit Dänemark und Schweden, mit Preußen und Sachſen, mit Polen und der Pforte, konnte dann die franzöſiſche Politik dem engliſch-öſtreichiſch-ruſſiſchen Bunde Schach bieten, während um- gekehrt, wenn Auguſt III. ſich zu dem letztern hielt, nicht nur Rußland ſeine Heere durch Polen Öſtreich zu Hilfe ſenden konnte, wie es ſchon einmal gegen das Ende des öſtreichiſchen Erbfolgekrieges gethan, ſondern auch Preußen durch den ganzen verbündeten Oſten aufs höchſte bedroht und gefährdet war. Sehr natürlich daher, daß man in Paris den Gedanken er- griff, König Auguſt III. und Polen für Frankreich zu gewinnen. 2) 2) Czartoryski, in ſeiner Abhandlung über Branicki in der Biblioteka Osso- linskich. Poczet nowy t. V. Lwów 1864 beurtheilt. — v. Maltzahn und Benoit, die preußiſchen Bevollmächtigten in Warſchau zu dieſer Zeit, ſchrieben von ihm am 28. October 1752: „Le grand General, qui est naturellement indolent, et que son âge et ses infirmités mettent ab- solument dans le cas d’être gouverné et mené“, und wiederholen dieſes Urtheil öfter in ihren Depeſchen.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/98>, abgerufen am 29.04.2024.