Man hat vermuthet, das Brennen, wie es Perser, Germanen, Slaven u. a. Volksstämme übten, stamme aus einer Zeit des Nomadenlebens. Die wandernde Horde hat keine bleibende Wohnstätte, in welcher oder bei welcher die Leiche des geliebten Todten eingegraben, seiner Seele dauernde Nahrung geboten werden könnte; sollte nicht, nach der Art einiger Nomaden- stämme, der todte Leib den Lüften und Thieren preisgegeben werden, so konnte man wohl darauf verfallen, ihn zu Asche zu ver- brennen und im leichten Krug die Reste auf die weitere Wanderung mitzunehmen 1). Ob solche Zweckmässigkeitsgründe gerade auf diesem Gebiet, das zumeist einer, aller Zweckmässigkeit spottenden Phantastik preisgegeben ist, sonderlich viel ausgerichtet haben mögen, lasse ich unerörtert. Wollte man unter Griechen die Sitte des Leichenbrandes aus ehemaligem Nomadenleben ableiten, so würde man doch in allzu entlegene Zeitfernen zurückgreifen müssen, um eine Sitte zu erklären, die, ehedem unter Griechen keineswegs ausschliesslich herrschend, uns, als allein in Uebung stehend, in Zeiten längst befestigter Sesshaftigkeit begegnet. Die asiatischen Griechen, die Jonier zumal, deren Volksglauben und Sitten, im zusammenfassenden und verallgemeinernden Bilde allerdings, Homers Gedichte wiederspiegeln, waren aus einem sesshaften Leben aufgebrochen, um sich in neuer Heimath ein nicht minder sesshaftes Leben zu begründen. Und doch muss
1) Aus der Gefahr, dass in Kriegen und Aufruhr die begrabenen Leiber wieder ihrer Ruhe entrissen werden könnten, leitet den Ueber- gang vom Begraben zum Verbrennen des Leichnams bei den Römern Plinius ab, n. h. 7 § 187. Wer auf Reisen oder im Kriege (also in einem vorübergehenden Nomadenzustande) starb, dessen Leib verbrannte man, schnitt aber ein Glied (bisweilen den Kopf) ab, um dieses nach Hause mitzunehmen und dort zu begraben, ad quod servatum justa fierent (Pau- lus Festi p. 148, 11; Varro L. L. 5 § 23; Cic. Leg. 2 § 55, § 60). Aehnlich hielten es deutsche Stämme: s. Weinhold, Sitzungsber. d. Wiener Akad., phil. hist. Cl. 29, 156; 30, 208. Selbst bei Negern aus Guinea, bei südamerikanischen Indianern bestand, bei Todesfällen in der Fremde, im Kriege, eine der Ceremonie des os resectum der Römer ver- wandte Sitte (vgl. Klemm, Culturgesch. 3, 297; 2, 98 f.). Allemal ist begraben als die altherkömmliche und aus religiösen Gründen eigentlich erforderliche Bestattungsart vorausgesetzt.
Man hat vermuthet, das Brennen, wie es Perser, Germanen, Slaven u. a. Volksstämme übten, stamme aus einer Zeit des Nomadenlebens. Die wandernde Horde hat keine bleibende Wohnstätte, in welcher oder bei welcher die Leiche des geliebten Todten eingegraben, seiner Seele dauernde Nahrung geboten werden könnte; sollte nicht, nach der Art einiger Nomaden- stämme, der todte Leib den Lüften und Thieren preisgegeben werden, so konnte man wohl darauf verfallen, ihn zu Asche zu ver- brennen und im leichten Krug die Reste auf die weitere Wanderung mitzunehmen 1). Ob solche Zweckmässigkeitsgründe gerade auf diesem Gebiet, das zumeist einer, aller Zweckmässigkeit spottenden Phantastik preisgegeben ist, sonderlich viel ausgerichtet haben mögen, lasse ich unerörtert. Wollte man unter Griechen die Sitte des Leichenbrandes aus ehemaligem Nomadenleben ableiten, so würde man doch in allzu entlegene Zeitfernen zurückgreifen müssen, um eine Sitte zu erklären, die, ehedem unter Griechen keineswegs ausschliesslich herrschend, uns, als allein in Uebung stehend, in Zeiten längst befestigter Sesshaftigkeit begegnet. Die asiatischen Griechen, die Jonier zumal, deren Volksglauben und Sitten, im zusammenfassenden und verallgemeinernden Bilde allerdings, Homers Gedichte wiederspiegeln, waren aus einem sesshaften Leben aufgebrochen, um sich in neuer Heimath ein nicht minder sesshaftes Leben zu begründen. Und doch muss
1) Aus der Gefahr, dass in Kriegen und Aufruhr die begrabenen Leiber wieder ihrer Ruhe entrissen werden könnten, leitet den Ueber- gang vom Begraben zum Verbrennen des Leichnams bei den Römern Plinius ab, n. h. 7 § 187. Wer auf Reisen oder im Kriege (also in einem vorübergehenden Nomadenzustande) starb, dessen Leib verbrannte man, schnitt aber ein Glied (bisweilen den Kopf) ab, um dieses nach Hause mitzunehmen und dort zu begraben, ad quod servatum justa fierent (Pau- lus Festi p. 148, 11; Varro L. L. 5 § 23; Cic. Leg. 2 § 55, § 60). Aehnlich hielten es deutsche Stämme: s. Weinhold, Sitzungsber. d. Wiener Akad., phil. hist. Cl. 29, 156; 30, 208. Selbst bei Negern aus Guinea, bei südamerikanischen Indianern bestand, bei Todesfällen in der Fremde, im Kriege, eine der Ceremonie des os resectum der Römer ver- wandte Sitte (vgl. Klemm, Culturgesch. 3, 297; 2, 98 f.). Allemal ist begraben als die altherkömmliche und aus religiösen Gründen eigentlich erforderliche Bestattungsart vorausgesetzt.
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Wohnstätte, in welcher oder bei welcher die Leiche des geliebten
Todten eingegraben, seiner Seele dauernde Nahrung geboten
werden könnte; sollte nicht, nach der Art einiger Nomaden-
stämme, der todte Leib den Lüften und Thieren preisgegeben
werden, so konnte man wohl darauf verfallen, ihn zu Asche zu ver-
brennen und im leichten Krug die Reste auf die weitere Wanderung
mitzunehmen 1). Ob solche Zweckmässigkeitsgründe gerade auf
diesem Gebiet, das zumeist einer, aller Zweckmässigkeit spottenden
Phantastik preisgegeben ist, sonderlich viel ausgerichtet haben
mögen, lasse ich unerörtert. Wollte man unter Griechen die
Sitte des Leichenbrandes aus ehemaligem Nomadenleben ableiten,
so würde man doch in allzu entlegene Zeitfernen zurückgreifen
müssen, um eine Sitte zu erklären, die, ehedem unter Griechen
keineswegs ausschliesslich herrschend, uns, als allein in Uebung
stehend, in Zeiten längst befestigter Sesshaftigkeit begegnet.
Die asiatischen Griechen, die Jonier zumal, deren Volksglauben
und Sitten, im zusammenfassenden und verallgemeinernden Bilde
allerdings, Homers Gedichte wiederspiegeln, waren aus einem
sesshaften Leben aufgebrochen, um sich in neuer Heimath ein
nicht minder sesshaftes Leben zu begründen. Und doch muss
1) Aus der Gefahr, dass in Kriegen und Aufruhr die begrabenen
Leiber wieder ihrer Ruhe entrissen werden könnten, leitet den Ueber-
gang vom Begraben zum Verbrennen des Leichnams bei den Römern
Plinius ab, n. h. 7 § 187. Wer auf Reisen oder im Kriege (also in einem
vorübergehenden Nomadenzustande) starb, dessen Leib verbrannte man,
schnitt aber ein Glied (bisweilen den Kopf) ab, um dieses nach Hause
mitzunehmen und dort zu begraben, ad quod servatum justa fierent (Pau-
lus Festi p. 148, 11; Varro L. L. 5 § 23; Cic. Leg. 2 § 55, § 60).
Aehnlich hielten es deutsche Stämme: s. Weinhold, Sitzungsber. d.
Wiener Akad., phil. hist. Cl. 29, 156; 30, 208. Selbst bei Negern aus
Guinea, bei südamerikanischen Indianern bestand, bei Todesfällen in der
Fremde, im Kriege, eine der Ceremonie des os resectum der Römer ver-
wandte Sitte (vgl. Klemm, Culturgesch. 3, 297; 2, 98 f.). Allemal ist
begraben als die altherkömmliche und aus religiösen Gründen eigentlich
erforderliche Bestattungsart vorausgesetzt.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/43>, abgerufen am 27.07.2024.
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