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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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sondern aus "Natur" und "Seele" im engeren Sinne zusammen-
gesetzt 1); im Tode trennen sich ihre Elemente und wandeln sich
zu anderen Gebilden. Die Seele, wie sie einst in der Zeit ent-
standen ist, stirbt und vergeht in der Zeit; wie sie leidensfähig
und zerstörender Schmerzempfindung unterworfen ist, so erliegt
sie endlich ihrem letzten Schmerze. Panaetius lehrte, inmitten
der stoischen Schule, die Vergänglichkeit der Seele, ihren Tod
und Untergang gleichzeitig mit dem Tode des Leibes 2).

Sein Schüler Posidonius, als Schriftsteller noch mehr als
jener wirksam in den Kreisen frei, und nicht schulmässig be-
schränkt Gebildeter, kehrt zu der altstoischen Annahme der
Einheitlichkeit der Seele als feurigen Hauches zurück. Er

anima bezeichnete (Cic. Tusc. 1, 42). Es ist wenigstens sehr wahrschein-
lich, dass Panaetius die Seele als aus zwei Elementen (aer et ignis, wie
auch Boethos, etwa Zeitgenoss des Panaetius [Comparetti Ind. Stoic.
p. 78 f.], nach Macrob. in S. Scip. 1, 14, 19) zusammengesetzt annahm,
nicht als einheitliches pneuma enthermon, wie die ältere Stoa (s. Schmekel
Philos. d. mittl. Stoa 324 f.).
1) phusis und psukhe. Pan. bei Nemes. nat. hom. p. 212 Matth.
Hierin zeigt sich unverkennbar die Tendenz zu einem psychologischen
Dualismus (Zeller Philos. d. Gr.2 3, 1, 505). Was weiter über die Thei-
lung der Seele durch Pan. vermuthet wird, bleibt sehr problematisch.
Bestimmter nur Cicero, Tusc. 1, 80 von Pan. redend: aegritudines iras
libidinesque semotas a mente et disclusas putat.
2) Leugnung nicht nur der Unsterblichkeit, sondern auch der diamone
der Seelen nach dem Tode durch Panaetius: Cic. Tusc. 1, 78. 79. Zwei
Gründe werden dort angeführt: alles Gewordene (wie die Seele bei der
Geburt des Menschen) müsse untergehen (der aristotelische Grundsatz:
s. oben p. 595, 2); was Schmerz empfinden könne und empfinde (wie die
Seele) werde auch krank werden können; was krank werde, werde der-
einst auch vernichtet werden. (Also Vernichtung der Seele von innen
heraus, durch eigene Entartung, nicht durch äussere Gewalt im Welt-
brand, dessen periodisches Eintreten P. wenigstens bezweifelte). -- Dass
Panaetius als drittes Argument dies vorgebracht habe: als zusammen-
gesetzt müsse die Seele sich im Tode in ihre Bestandtheile auflösen und
diese in andere Elemente sich wandeln, folgt zwar in keiner Weise aus
Cic. Tusc. 1, 42, wie Schmekel a. O. 309 behauptet; an sich aber musste
allerdings diese Betrachtung bei der Seelenlehre des Pan. sich fast von
selbst ergeben und war durch die Argumentation des Karneades gegen
die Unvergänglichkeit der Gottheit und jedes zoon, der P. im übrigen
nachgab, schon gewiesen.

sondern aus „Natur“ und „Seele“ im engeren Sinne zusammen-
gesetzt 1); im Tode trennen sich ihre Elemente und wandeln sich
zu anderen Gebilden. Die Seele, wie sie einst in der Zeit ent-
standen ist, stirbt und vergeht in der Zeit; wie sie leidensfähig
und zerstörender Schmerzempfindung unterworfen ist, so erliegt
sie endlich ihrem letzten Schmerze. Panaetius lehrte, inmitten
der stoischen Schule, die Vergänglichkeit der Seele, ihren Tod
und Untergang gleichzeitig mit dem Tode des Leibes 2).

Sein Schüler Posidonius, als Schriftsteller noch mehr als
jener wirksam in den Kreisen frei, und nicht schulmässig be-
schränkt Gebildeter, kehrt zu der altstoischen Annahme der
Einheitlichkeit der Seele als feurigen Hauches zurück. Er

anima bezeichnete (Cic. Tusc. 1, 42). Es ist wenigstens sehr wahrschein-
lich, dass Panaetius die Seele als aus zwei Elementen (aër et ignis, wie
auch Boëthos, etwa Zeitgenoss des Panaetius [Comparetti Ind. Stoic.
p. 78 f.], nach Macrob. in S. Scip. 1, 14, 19) zusammengesetzt annahm,
nicht als einheitliches πνεῦμα ἔνϑερμον, wie die ältere Stoa (s. Schmekel
Philos. d. mittl. Stoa 324 f.).
1) φύσις und ψυχή. Pan. bei Nemes. nat. hom. p. 212 Matth.
Hierin zeigt sich unverkennbar die Tendenz zu einem psychologischen
Dualismus (Zeller Philos. d. Gr.2 3, 1, 505). Was weiter über die Thei-
lung der Seele durch Pan. vermuthet wird, bleibt sehr problematisch.
Bestimmter nur Cicero, Tusc. 1, 80 von Pan. redend: aegritudines iras
libidinesque semotas a mente et disclusas putat.
2) Leugnung nicht nur der Unsterblichkeit, sondern auch der διαμονή
der Seelen nach dem Tode durch Panaetius: Cic. Tusc. 1, 78. 79. Zwei
Gründe werden dort angeführt: alles Gewordene (wie die Seele bei der
Geburt des Menschen) müsse untergehen (der aristotelische Grundsatz:
s. oben p. 595, 2); was Schmerz empfinden könne und empfinde (wie die
Seele) werde auch krank werden können; was krank werde, werde der-
einst auch vernichtet werden. (Also Vernichtung der Seele von innen
heraus, durch eigene Entartung, nicht durch äussere Gewalt im Welt-
brand, dessen periodisches Eintreten P. wenigstens bezweifelte). — Dass
Panaetius als drittes Argument dies vorgebracht habe: als zusammen-
gesetzt müsse die Seele sich im Tode in ihre Bestandtheile auflösen und
diese in andere Elemente sich wandeln, folgt zwar in keiner Weise aus
Cic. Tusc. 1, 42, wie Schmekel a. O. 309 behauptet; an sich aber musste
allerdings diese Betrachtung bei der Seelenlehre des Pan. sich fast von
selbst ergeben und war durch die Argumentation des Karneades gegen
die Unvergänglichkeit der Gottheit und jedes ζῷον, der P. im übrigen
nachgab, schon gewiesen.
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[613/0629] sondern aus „Natur“ und „Seele“ im engeren Sinne zusammen- gesetzt 1); im Tode trennen sich ihre Elemente und wandeln sich zu anderen Gebilden. Die Seele, wie sie einst in der Zeit ent- standen ist, stirbt und vergeht in der Zeit; wie sie leidensfähig und zerstörender Schmerzempfindung unterworfen ist, so erliegt sie endlich ihrem letzten Schmerze. Panaetius lehrte, inmitten der stoischen Schule, die Vergänglichkeit der Seele, ihren Tod und Untergang gleichzeitig mit dem Tode des Leibes 2). Sein Schüler Posidonius, als Schriftsteller noch mehr als jener wirksam in den Kreisen frei, und nicht schulmässig be- schränkt Gebildeter, kehrt zu der altstoischen Annahme der Einheitlichkeit der Seele als feurigen Hauches zurück. Er 3) 1) φύσις und ψυχή. Pan. bei Nemes. nat. hom. p. 212 Matth. Hierin zeigt sich unverkennbar die Tendenz zu einem psychologischen Dualismus (Zeller Philos. d. Gr.2 3, 1, 505). Was weiter über die Thei- lung der Seele durch Pan. vermuthet wird, bleibt sehr problematisch. Bestimmter nur Cicero, Tusc. 1, 80 von Pan. redend: aegritudines iras libidinesque semotas a mente et disclusas putat. 2) Leugnung nicht nur der Unsterblichkeit, sondern auch der διαμονή der Seelen nach dem Tode durch Panaetius: Cic. Tusc. 1, 78. 79. Zwei Gründe werden dort angeführt: alles Gewordene (wie die Seele bei der Geburt des Menschen) müsse untergehen (der aristotelische Grundsatz: s. oben p. 595, 2); was Schmerz empfinden könne und empfinde (wie die Seele) werde auch krank werden können; was krank werde, werde der- einst auch vernichtet werden. (Also Vernichtung der Seele von innen heraus, durch eigene Entartung, nicht durch äussere Gewalt im Welt- brand, dessen periodisches Eintreten P. wenigstens bezweifelte). — Dass Panaetius als drittes Argument dies vorgebracht habe: als zusammen- gesetzt müsse die Seele sich im Tode in ihre Bestandtheile auflösen und diese in andere Elemente sich wandeln, folgt zwar in keiner Weise aus Cic. Tusc. 1, 42, wie Schmekel a. O. 309 behauptet; an sich aber musste allerdings diese Betrachtung bei der Seelenlehre des Pan. sich fast von selbst ergeben und war durch die Argumentation des Karneades gegen die Unvergänglichkeit der Gottheit und jedes ζῷον, der P. im übrigen nachgab, schon gewiesen. 3) anima bezeichnete (Cic. Tusc. 1, 42). Es ist wenigstens sehr wahrschein- lich, dass Panaetius die Seele als aus zwei Elementen (aër et ignis, wie auch Boëthos, etwa Zeitgenoss des Panaetius [Comparetti Ind. Stoic. p. 78 f.], nach Macrob. in S. Scip. 1, 14, 19) zusammengesetzt annahm, nicht als einheitliches πνεῦμα ἔνϑερμον, wie die ältere Stoa (s. Schmekel Philos. d. mittl. Stoa 324 f.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/629>, abgerufen am 27.04.2024.