im sterblichen Leibe, ist niemals ein Gegenstand griechischen Volksglaubens geworden. Wenn sich hie und da auch wo volksthümliche Denkweise sich Ausdruck giebt, Anklänge an solchen Glauben finden, so ist in den einzelnen Fällen aus den Lehren der Theologen oder der allverbreiteten Philosophie bis in die unteren Schichten ungelehrten Volkes ein Tropfen hinab- gesickert. Der Theologie und der Philosophie blieb der Ge- danke der Unsterblichkeit der Seele allein wirklich eigen. So ist auch bei dem Zusammentreffen griechischer und fremd- ländischer Bildung im hellenisirten Osten nicht aus griechischer Volksüberlieferung, sondern einzig aus den Anregungen grie- chischer, auch ausserhalb des nationalen Bodens leichter ver- breiteter Philosophie der erstaunliche Gedanke göttlich unver- gänglicher Lebendigkeit der Menschenseele Fremden zugekom- men, und hat wenigstens unter dem bildsamen Volke der Juden tiefere Wurzeln getrieben 1).
3.
In der Vorstellungswelt des griechischen Volkes stand in der Spätzeit seiner Reife der Glaube an das Fortleben der menschlichen Seele nach dem Tode des Leibes auf allen Stufen der Entwicklung und Ausgestaltung, die er im Laufe der Zeit erreicht hatte, zugleich und nebeneinander in Geltung. Keine formulirte Religionssatzung hatte, abschliessend und ausschlies-
1) Praeexistenz der Seelen, Heimkehr der Seelen der Frommen zu Gott, Strafen der Unfrommen, durchaus athanasia aller Seelen als solcher. So die Weisheit Salomonis. Völlig griechisch, platonisch-stoisch (in der Art des erneuerten Pythagoreismus) ist die Seelenlehre der Essener, wie sie Josephus, bell. jud. 2, 8, 11 beschreibt (S. F. Schwally, D. Leben nach dem Tode nach d. Vorst. d. alten Israel. u. s. w. [1892] p. 151 ff., 179 ff.) Platonisches, griechisch Theologisches (V. 104, wo Bergk, Lyr.4 II p. 95 das überlief. theoi sehr richtig gegen Bernays schützt), Stoisches (108) mischt in unklarer Weise miteinander und mit der jüdischen Auferstehungs- lehre (103 f.) der jüdische Verfasser der Pseudophokylideischen Verse (ganz griechisch jedenfalls auch 115: psukhe d athanatos kai ageros ze dia pantos). Vollends in Philo's Seelenlehre ist alles platonischen und sto- ischen Anregungen entlehnt.
im sterblichen Leibe, ist niemals ein Gegenstand griechischen Volksglaubens geworden. Wenn sich hie und da auch wo volksthümliche Denkweise sich Ausdruck giebt, Anklänge an solchen Glauben finden, so ist in den einzelnen Fällen aus den Lehren der Theologen oder der allverbreiteten Philosophie bis in die unteren Schichten ungelehrten Volkes ein Tropfen hinab- gesickert. Der Theologie und der Philosophie blieb der Ge- danke der Unsterblichkeit der Seele allein wirklich eigen. So ist auch bei dem Zusammentreffen griechischer und fremd- ländischer Bildung im hellenisirten Osten nicht aus griechischer Volksüberlieferung, sondern einzig aus den Anregungen grie- chischer, auch ausserhalb des nationalen Bodens leichter ver- breiteter Philosophie der erstaunliche Gedanke göttlich unver- gänglicher Lebendigkeit der Menschenseele Fremden zugekom- men, und hat wenigstens unter dem bildsamen Volke der Juden tiefere Wurzeln getrieben 1).
3.
In der Vorstellungswelt des griechischen Volkes stand in der Spätzeit seiner Reife der Glaube an das Fortleben der menschlichen Seele nach dem Tode des Leibes auf allen Stufen der Entwicklung und Ausgestaltung, die er im Laufe der Zeit erreicht hatte, zugleich und nebeneinander in Geltung. Keine formulirte Religionssatzung hatte, abschliessend und ausschlies-
1) Praeexistenz der Seelen, Heimkehr der Seelen der Frommen zu Gott, Strafen der Unfrommen, durchaus ἀϑανασία aller Seelen als solcher. So die Weisheit Salomonis. Völlig griechisch, platonisch-stoisch (in der Art des erneuerten Pythagoreismus) ist die Seelenlehre der Essener, wie sie Josephus, bell. jud. 2, 8, 11 beschreibt (S. F. Schwally, D. Leben nach dem Tode nach d. Vorst. d. alten Israël. u. s. w. [1892] p. 151 ff., 179 ff.) Platonisches, griechisch Theologisches (V. 104, wo Bergk, Lyr.4 II p. 95 das überlief. ϑεοί sehr richtig gegen Bernays schützt), Stoisches (108) mischt in unklarer Weise miteinander und mit der jüdischen Auferstehungs- lehre (103 f.) der jüdische Verfasser der Pseudophokylideischen Verse (ganz griechisch jedenfalls auch 115: ψυχὴ δ̕ ἀϑάνατος καὶ ἀγήρως ζῇ διὰ παντός). Vollends in Philo’s Seelenlehre ist alles platonischen und sto- ischen Anregungen entlehnt.
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im sterblichen Leibe, ist niemals ein Gegenstand griechischen
Volksglaubens geworden. Wenn sich hie und da auch wo
volksthümliche Denkweise sich Ausdruck giebt, Anklänge an
solchen Glauben finden, so ist in den einzelnen Fällen aus den
Lehren der Theologen oder der allverbreiteten Philosophie bis
in die unteren Schichten ungelehrten Volkes ein Tropfen hinab-
gesickert. Der Theologie und der Philosophie blieb der Ge-
danke der Unsterblichkeit der Seele allein wirklich eigen. So
ist auch bei dem Zusammentreffen griechischer und fremd-
ländischer Bildung im hellenisirten Osten nicht aus griechischer
Volksüberlieferung, sondern einzig aus den Anregungen grie-
chischer, auch ausserhalb des nationalen Bodens leichter ver-
breiteter Philosophie der erstaunliche Gedanke göttlich unver-
gänglicher Lebendigkeit der Menschenseele Fremden zugekom-
men, und hat wenigstens unter dem bildsamen Volke der Juden
tiefere Wurzeln getrieben 1).
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In der Vorstellungswelt des griechischen Volkes stand in
der Spätzeit seiner Reife der Glaube an das Fortleben der
menschlichen Seele nach dem Tode des Leibes auf allen Stufen
der Entwicklung und Ausgestaltung, die er im Laufe der Zeit
erreicht hatte, zugleich und nebeneinander in Geltung. Keine
formulirte Religionssatzung hatte, abschliessend und ausschlies-
1) Praeexistenz der Seelen, Heimkehr der Seelen der Frommen zu Gott,
Strafen der Unfrommen, durchaus ἀϑανασία aller Seelen als solcher. So
die Weisheit Salomonis. Völlig griechisch, platonisch-stoisch (in der Art
des erneuerten Pythagoreismus) ist die Seelenlehre der Essener, wie sie
Josephus, bell. jud. 2, 8, 11 beschreibt (S. F. Schwally, D. Leben nach
dem Tode nach d. Vorst. d. alten Israël. u. s. w. [1892] p. 151 ff., 179 ff.)
Platonisches, griechisch Theologisches (V. 104, wo Bergk, Lyr.4 II p. 95
das überlief. ϑεοί sehr richtig gegen Bernays schützt), Stoisches (108)
mischt in unklarer Weise miteinander und mit der jüdischen Auferstehungs-
lehre (103 f.) der jüdische Verfasser der Pseudophokylideischen Verse
(ganz griechisch jedenfalls auch 115: ψυχὴ δ̕ ἀϑάνατος καὶ ἀγήρως ζῇ διὰ
παντός). Vollends in Philo’s Seelenlehre ist alles platonischen und sto-
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/683>, abgerufen am 02.12.2023.
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