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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. XIX. Capitul.
Gesindel läufft an solche Oerter, nicht aus dem
Vorsatz, sich ihrer Sterblichkeit dabey zu erinnern,
als wozu sie alle Tage auf andere Art genug Gele-
genheit hätten, sondern aus blosser Neugierigkeit.
Es werden viel unnütze Worte dabey gesprochen,
und viel Zeit, die sonst besser angelegt könte werden,
dabey versäumet.

§. 3. Einige eilen mit der Leiche allzu geschwinde
aus dem Hause, sie können es kaum erwarten, biß
sie dieselbe fortgeschafft, und biß diejenige Zeit da,
so in denen Landes-Gesetzen, um guter Ordnung
willen, und zu Verhütung vieler Inconvenientien,
die sonst daraus entstehen könten, bestimmet ist.
Sie ziehen sich aber durch ihre allzu grosse Eilfer-
tigkeit nicht allein bißweilen bey den Höhern und
bey den Richtern, die sich darum bekümmern, Ver-
antwortung über den Hals, sondern handeln auch
wider die Liebe die sie ihren Verstorbenen schuldig
sind, und setzen sich wohl gar bey andern, wenn sie
eine austrägliche Erbschafft zu hoffen haben, und
durch einige Umstände zu solcher Vermuthung An-
laß gegeben, in den Verdacht, als ob sie ihren Tod
möchten befördert haben.

§. 4. Andere aber haben eine unmäßige Hoch-
achtung vor ihre Verstorbene, sie behalten diesel-
ben so lange, als es entweder wegen der Fäulniß
möglich, oder, da sie dieselben einbalsamiren lassen,
es gegen die Höhern und die Landes-Gesetze zu ver-
antworten. Wenn sie dieselben in Sarg legen
lassen, so muß er ihnen öffters wieder geöffnet wer-

den,

II. Theil. XIX. Capitul.
Geſindel laͤufft an ſolche Oerter, nicht aus dem
Vorſatz, ſich ihrer Sterblichkeit dabey zu erinnern,
als wozu ſie alle Tage auf andere Art genug Gele-
genheit haͤtten, ſondern aus bloſſer Neugierigkeit.
Es werden viel unnuͤtze Worte dabey geſprochen,
und viel Zeit, die ſonſt beſſer angelegt koͤnte werden,
dabey verſaͤumet.

§. 3. Einige eilen mit der Leiche allzu geſchwinde
aus dem Hauſe, ſie koͤnnen es kaum erwarten, biß
ſie dieſelbe fortgeſchafft, und biß diejenige Zeit da,
ſo in denen Landes-Geſetzen, um guter Ordnung
willen, und zu Verhuͤtung vieler Inconvenientien,
die ſonſt daraus entſtehen koͤnten, beſtimmet iſt.
Sie ziehen ſich aber durch ihre allzu groſſe Eilfer-
tigkeit nicht allein bißweilen bey den Hoͤhern und
bey den Richtern, die ſich darum bekuͤmmern, Ver-
antwortung uͤber den Hals, ſondern handeln auch
wider die Liebe die ſie ihren Verſtorbenen ſchuldig
ſind, und ſetzen ſich wohl gar bey andern, wenn ſie
eine austraͤgliche Erbſchafft zu hoffen haben, und
durch einige Umſtaͤnde zu ſolcher Vermuthung An-
laß gegeben, in den Verdacht, als ob ſie ihren Tod
moͤchten befoͤrdert haben.

§. 4. Andere aber haben eine unmaͤßige Hoch-
achtung vor ihre Verſtorbene, ſie behalten dieſel-
ben ſo lange, als es entweder wegen der Faͤulniß
moͤglich, oder, da ſie dieſelben einbalſamiren laſſen,
es gegen die Hoͤhern und die Landes-Geſetze zu ver-
antworten. Wenn ſie dieſelben in Sarg legen
laſſen, ſo muß er ihnen oͤffters wieder geoͤffnet wer-

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[664/0684] II. Theil. XIX. Capitul. Geſindel laͤufft an ſolche Oerter, nicht aus dem Vorſatz, ſich ihrer Sterblichkeit dabey zu erinnern, als wozu ſie alle Tage auf andere Art genug Gele- genheit haͤtten, ſondern aus bloſſer Neugierigkeit. Es werden viel unnuͤtze Worte dabey geſprochen, und viel Zeit, die ſonſt beſſer angelegt koͤnte werden, dabey verſaͤumet. §. 3. Einige eilen mit der Leiche allzu geſchwinde aus dem Hauſe, ſie koͤnnen es kaum erwarten, biß ſie dieſelbe fortgeſchafft, und biß diejenige Zeit da, ſo in denen Landes-Geſetzen, um guter Ordnung willen, und zu Verhuͤtung vieler Inconvenientien, die ſonſt daraus entſtehen koͤnten, beſtimmet iſt. Sie ziehen ſich aber durch ihre allzu groſſe Eilfer- tigkeit nicht allein bißweilen bey den Hoͤhern und bey den Richtern, die ſich darum bekuͤmmern, Ver- antwortung uͤber den Hals, ſondern handeln auch wider die Liebe die ſie ihren Verſtorbenen ſchuldig ſind, und ſetzen ſich wohl gar bey andern, wenn ſie eine austraͤgliche Erbſchafft zu hoffen haben, und durch einige Umſtaͤnde zu ſolcher Vermuthung An- laß gegeben, in den Verdacht, als ob ſie ihren Tod moͤchten befoͤrdert haben. §. 4. Andere aber haben eine unmaͤßige Hoch- achtung vor ihre Verſtorbene, ſie behalten dieſel- ben ſo lange, als es entweder wegen der Faͤulniß moͤglich, oder, da ſie dieſelben einbalſamiren laſſen, es gegen die Hoͤhern und die Landes-Geſetze zu ver- antworten. Wenn ſie dieſelben in Sarg legen laſſen, ſo muß er ihnen oͤffters wieder geoͤffnet wer- den,

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 664. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/684>, abgerufen am 29.04.2024.