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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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in landschaftlicher Beziehung jedoch wird dieser Begriff für
sie nur zu häufig möglich. Es gibt Gegenden, denen der
Stempel der Unfreiheit aufgedrückt ist. Da sind Felsen, die
uns aber weder durch Masse noch Höhe imponiren; da ist
ein Wasserfall, allein so seicht, daß er kaum hinreicht, eine
Mühle zu treiben; da sind Bäume und Büsche, aber klein
und dünn gesäet; da sind Thäler, aber eigentlich nur mul¬
denförmige Auswaschungen zwischen bescheidenen Hügeln; da
schleicht ein Fluß vorbei und bildet sogar eine Insel, die aber
nur eine kleine, schwachbegrünte Sandbank ist -- wie klein¬
lich ist dies Alles!

In der Kunst liegt die Kleinlichkeit entweder in dem
Gegenstande oder in der Behandlung; im Gegenstande, wenn
derselbe durch die Nullität seines Inhalts der Darstellung
unwerth ist; in der Behandlung, wenn dieselbe sich mit der
breiten Ausführung von Nebenbestimmungen beschäftigt und
darüber das Hervorheben des Wesentlichen vergißt; oder
wenn sie sogar das an sich Große überhaupt, gegen seinen
Begriff, klein nimmt. Der Gegenstand der Kunst sollte
nicht das Kleinliche sein; d. h. nicht etwa, sie solle nicht
das Einfache darstellen, wie es in manchen Zuständen vor¬
kommt. Durchaus nicht. Das Genre in der Malerei und
die Idylle in der Poesie zeigen uns, wie die Kunst auch in
der Hütte des Armen die Schönheit auszufinden weiß. George
Sand hat in ihren neueren Erzählungen, in der Jeanne, in
la mare au diable, in der petite Fadette Bauern des
Berry geschildert; die höchste Einfachheit der Charaktere und
Situationen und die größte Treue in der Nachbildung der
Wirklichkeit hat sie nicht gehindert, den ganzen Reichthum
des menschlichen Gemüths mit einer so bewundernswürdigen
Tiefe darzulegen, daß man am Schluß einer solchen Er¬

in landſchaftlicher Beziehung jedoch wird dieſer Begriff für
ſie nur zu häufig möglich. Es gibt Gegenden, denen der
Stempel der Unfreiheit aufgedrückt iſt. Da ſind Felſen, die
uns aber weder durch Maſſe noch Höhe imponiren; da iſt
ein Waſſerfall, allein ſo ſeicht, daß er kaum hinreicht, eine
Mühle zu treiben; da ſind Bäume und Büſche, aber klein
und dünn geſäet; da ſind Thäler, aber eigentlich nur mul¬
denförmige Auswaſchungen zwiſchen beſcheidenen Hügeln; da
ſchleicht ein Fluß vorbei und bildet ſogar eine Inſel, die aber
nur eine kleine, ſchwachbegrünte Sandbank iſt — wie klein¬
lich iſt dies Alles!

In der Kunſt liegt die Kleinlichkeit entweder in dem
Gegenſtande oder in der Behandlung; im Gegenſtande, wenn
derſelbe durch die Nullität ſeines Inhalts der Darſtellung
unwerth iſt; in der Behandlung, wenn dieſelbe ſich mit der
breiten Ausführung von Nebenbeſtimmungen beſchäftigt und
darüber das Hervorheben des Weſentlichen vergißt; oder
wenn ſie ſogar das an ſich Große überhaupt, gegen ſeinen
Begriff, klein nimmt. Der Gegenſtand der Kunſt ſollte
nicht das Kleinliche ſein; d. h. nicht etwa, ſie ſolle nicht
das Einfache darſtellen, wie es in manchen Zuſtänden vor¬
kommt. Durchaus nicht. Das Genre in der Malerei und
die Idylle in der Poeſie zeigen uns, wie die Kunſt auch in
der Hütte des Armen die Schönheit auszufinden weiß. George
Sand hat in ihren neueren Erzählungen, in der Jeanne, in
la mare au diable, in der petite Fadette Bauern des
Berry geſchildert; die höchſte Einfachheit der Charaktere und
Situationen und die größte Treue in der Nachbildung der
Wirklichkeit hat ſie nicht gehindert, den ganzen Reichthum
des menſchlichen Gemüths mit einer ſo bewundernswürdigen
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[182/0204] in landſchaftlicher Beziehung jedoch wird dieſer Begriff für ſie nur zu häufig möglich. Es gibt Gegenden, denen der Stempel der Unfreiheit aufgedrückt iſt. Da ſind Felſen, die uns aber weder durch Maſſe noch Höhe imponiren; da iſt ein Waſſerfall, allein ſo ſeicht, daß er kaum hinreicht, eine Mühle zu treiben; da ſind Bäume und Büſche, aber klein und dünn geſäet; da ſind Thäler, aber eigentlich nur mul¬ denförmige Auswaſchungen zwiſchen beſcheidenen Hügeln; da ſchleicht ein Fluß vorbei und bildet ſogar eine Inſel, die aber nur eine kleine, ſchwachbegrünte Sandbank iſt — wie klein¬ lich iſt dies Alles! In der Kunſt liegt die Kleinlichkeit entweder in dem Gegenſtande oder in der Behandlung; im Gegenſtande, wenn derſelbe durch die Nullität ſeines Inhalts der Darſtellung unwerth iſt; in der Behandlung, wenn dieſelbe ſich mit der breiten Ausführung von Nebenbeſtimmungen beſchäftigt und darüber das Hervorheben des Weſentlichen vergißt; oder wenn ſie ſogar das an ſich Große überhaupt, gegen ſeinen Begriff, klein nimmt. Der Gegenſtand der Kunſt ſollte nicht das Kleinliche ſein; d. h. nicht etwa, ſie ſolle nicht das Einfache darſtellen, wie es in manchen Zuſtänden vor¬ kommt. Durchaus nicht. Das Genre in der Malerei und die Idylle in der Poeſie zeigen uns, wie die Kunſt auch in der Hütte des Armen die Schönheit auszufinden weiß. George Sand hat in ihren neueren Erzählungen, in der Jeanne, in la mare au diable, in der petite Fadette Bauern des Berry geſchildert; die höchſte Einfachheit der Charaktere und Situationen und die größte Treue in der Nachbildung der Wirklichkeit hat ſie nicht gehindert, den ganzen Reichthum des menſchlichen Gemüths mit einer ſo bewundernswürdigen Tiefe darzulegen, daß man am Schluß einer ſolchen Er¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/204>, abgerufen am 27.04.2024.