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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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würde uns die Beschränktheit als ein Letztes verehren lassen,
uns in einer flachen Gemüthseligkeit, in einem idyllischen
Dusel verdumpfen und uns immer unfähiger machen, den
wahrhaften Schmerz des Lebens zu fassen, dessen Gefühl
und Erkenntniß unserm Dasein erst die Weihe ächter Heiter¬
keit zu geben vermag. Der Mangel an Idealität, die Tri¬
vialität des Inhalts, führt in allen Künsten zur Breite des
Details, dessen Ausputz schon für Poesie genommen wird; es
entsteht ein maaßloses Verweilen im Gewöhnlichen, weil man
nichts übergehen will, und mit dieser Tendenz zur schlech¬
ten Vollständigkeit die entsetzlichste Langeweile. Voltaire
hat bekanntlich gesagt, daß alle Gattungen gut und erlaubt
seien, hors le genre ennuyeux; eben derselbe hat aber auch
gesagt: le secret, d'etre ennuyant, c'est de tout dire. Man
darf sich nicht wundern, wenn in solchen Epochen gerade
höhere Naturen, strebende Gemüther, aus Ekel über die Götzen¬
dienerei, die mit dem Gemeinen und Gewöhnlichen getrieben
wird, die Ironie gegen das Endliche wieder übertreiben und
bald ins Frivole, bald ins Pietistische, bald ins Verrückte
fallen. Der rechte Künstler wird also das Gewöhnliche ent¬
weder so darstellen, daß er dessen positive Berechtigung als
eine nothwendige Form des allgemeinen Weltlaufs hervor¬
kehrt; oder so, daß er ironisch die Beschränktheit eines Zu¬
standes zugleich in die Freiheit reflectirt, die darüber hinaus
ist; oder so, daß er es direct ins Komische wendet. Wodurch
sind Murillo's Bettelknaben so berühmt geworden? Weil
ihre Dürftigkeit sie nicht genirt und weil aus ihren Lumpen
das Frohgefühl einer über alle äußere Noth sorglosen Seele
hervorblickt. Murillo hat die affirmative Seite ihrer Existenz
ergriffen. Wodurch ist Biard zu so großem Ruf gekom¬
men? Weil er das ironische Moment im Gewöhnlichen her¬

würde uns die Beſchränktheit als ein Letztes verehren laſſen,
uns in einer flachen Gemüthſeligkeit, in einem idylliſchen
Duſel verdumpfen und uns immer unfähiger machen, den
wahrhaften Schmerz des Lebens zu faſſen, deſſen Gefühl
und Erkenntniß unſerm Daſein erſt die Weihe ächter Heiter¬
keit zu geben vermag. Der Mangel an Idealität, die Tri¬
vialität des Inhalts, führt in allen Künſten zur Breite des
Details, deſſen Ausputz ſchon für Poeſie genommen wird; es
entſteht ein maaßloſes Verweilen im Gewöhnlichen, weil man
nichts übergehen will, und mit dieſer Tendenz zur ſchlech¬
ten Vollſtändigkeit die entſetzlichſte Langeweile. Voltaire
hat bekanntlich geſagt, daß alle Gattungen gut und erlaubt
ſeien, hors le genre ennuyeux; eben derſelbe hat aber auch
geſagt: le secret, d'être ennuyant, c'est de tout dire. Man
darf ſich nicht wundern, wenn in ſolchen Epochen gerade
höhere Naturen, ſtrebende Gemüther, aus Ekel über die Götzen¬
dienerei, die mit dem Gemeinen und Gewöhnlichen getrieben
wird, die Ironie gegen das Endliche wieder übertreiben und
bald ins Frivole, bald ins Pietiſtiſche, bald ins Verrückte
fallen. Der rechte Künſtler wird alſo das Gewöhnliche ent¬
weder ſo darſtellen, daß er deſſen poſitive Berechtigung als
eine nothwendige Form des allgemeinen Weltlaufs hervor¬
kehrt; oder ſo, daß er ironiſch die Beſchränktheit eines Zu¬
ſtandes zugleich in die Freiheit reflectirt, die darüber hinaus
iſt; oder ſo, daß er es direct ins Komiſche wendet. Wodurch
ſind Murillo's Bettelknaben ſo berühmt geworden? Weil
ihre Dürftigkeit ſie nicht genirt und weil aus ihren Lumpen
das Frohgefühl einer über alle äußere Noth ſorgloſen Seele
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[212/0234] würde uns die Beſchränktheit als ein Letztes verehren laſſen, uns in einer flachen Gemüthſeligkeit, in einem idylliſchen Duſel verdumpfen und uns immer unfähiger machen, den wahrhaften Schmerz des Lebens zu faſſen, deſſen Gefühl und Erkenntniß unſerm Daſein erſt die Weihe ächter Heiter¬ keit zu geben vermag. Der Mangel an Idealität, die Tri¬ vialität des Inhalts, führt in allen Künſten zur Breite des Details, deſſen Ausputz ſchon für Poeſie genommen wird; es entſteht ein maaßloſes Verweilen im Gewöhnlichen, weil man nichts übergehen will, und mit dieſer Tendenz zur ſchlech¬ ten Vollſtändigkeit die entſetzlichſte Langeweile. Voltaire hat bekanntlich geſagt, daß alle Gattungen gut und erlaubt ſeien, hors le genre ennuyeux; eben derſelbe hat aber auch geſagt: le secret, d'être ennuyant, c'est de tout dire. Man darf ſich nicht wundern, wenn in ſolchen Epochen gerade höhere Naturen, ſtrebende Gemüther, aus Ekel über die Götzen¬ dienerei, die mit dem Gemeinen und Gewöhnlichen getrieben wird, die Ironie gegen das Endliche wieder übertreiben und bald ins Frivole, bald ins Pietiſtiſche, bald ins Verrückte fallen. Der rechte Künſtler wird alſo das Gewöhnliche ent¬ weder ſo darſtellen, daß er deſſen poſitive Berechtigung als eine nothwendige Form des allgemeinen Weltlaufs hervor¬ kehrt; oder ſo, daß er ironiſch die Beſchränktheit eines Zu¬ ſtandes zugleich in die Freiheit reflectirt, die darüber hinaus iſt; oder ſo, daß er es direct ins Komiſche wendet. Wodurch ſind Murillo's Bettelknaben ſo berühmt geworden? Weil ihre Dürftigkeit ſie nicht genirt und weil aus ihren Lumpen das Frohgefühl einer über alle äußere Noth ſorgloſen Seele hervorblickt. Murillo hat die affirmative Seite ihrer Exiſtenz ergriffen. Wodurch iſt Biard zu ſo großem Ruf gekom¬ men? Weil er das ironiſche Moment im Gewöhnlichen her¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/234>, abgerufen am 28.04.2024.