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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Schöne ist die Idee, wie sie im Element des Sinnlichen als
die freie Gestaltung einer harmonischen Totalität sich aus¬
wirkt. Das Häßliche theilt als Negation des Schönen auch
das sinnliche Element desselben und kann daher nicht in einer
Region vorkommen, die eine nur ideelle ist, in welcher das
Sein nur als der Begriff des Seins existirt, die Realität
desselben aber als eine den Raum und die Zeit erfüllende
noch ausgeschlossen ist.

Und so wenig als der Begriff des Negativen überhaupt
häßlich genannt werden kann, so wenig auch dasjenige Ne¬
gative, welches das Unvollkommene ist.


Das Unvollkommene.

In dem Sinne, daß das Schöne wesentlich Idee ist,
kann auch von ihm gesagt werden, daß es das Vollkommene
sei. Und so ist auch oft genug, namentlich auch in der
Baumgarten'schen Aesthetik des vorigen Jahrhunderts
der Begriff der Vollkommenheit mit dem der Schönheit iden¬
tisch genommen. Allein Vollkommenheit ist ein Begriff, der
mit dem der Schönheit nicht direct zusammenhängt. Es
kann ein Thier sehr zweckmäßig, also als lebendiges Indi¬
viduum sehr vollkommen organisirt und eben deswegen sehr
häßlich sein, wie das Kameel, das Unau, die Sepia, die
Pipa u. s. w. Ein Fehler im subjectiven Denken, ein un¬
richtiger Begriff, ein Irrthum, ein falsches Urtheil, ein ver¬
kehrter Schluß, sind Unvollkommenheiten der Intelligenz,
die aber nicht unter die Kategorie des Aesthetischen gehören.
Tugenden, die erst erworben werden, die also noch nicht zur
Virtuosität der Gewohnheit durchgebildet sind, machen ethisch

Schöne iſt die Idee, wie ſie im Element des Sinnlichen als
die freie Geſtaltung einer harmoniſchen Totalität ſich aus¬
wirkt. Das Häßliche theilt als Negation des Schönen auch
das ſinnliche Element deſſelben und kann daher nicht in einer
Region vorkommen, die eine nur ideelle iſt, in welcher das
Sein nur als der Begriff des Seins exiſtirt, die Realität
deſſelben aber als eine den Raum und die Zeit erfüllende
noch ausgeſchloſſen iſt.

Und ſo wenig als der Begriff des Negativen überhaupt
häßlich genannt werden kann, ſo wenig auch dasjenige Ne¬
gative, welches das Unvollkommene iſt.


Das Unvollkommene.

In dem Sinne, daß das Schöne weſentlich Idee iſt,
kann auch von ihm geſagt werden, daß es das Vollkommene
ſei. Und ſo iſt auch oft genug, namentlich auch in der
Baumgarten'ſchen Aeſthetik des vorigen Jahrhunderts
der Begriff der Vollkommenheit mit dem der Schönheit iden¬
tiſch genommen. Allein Vollkommenheit iſt ein Begriff, der
mit dem der Schönheit nicht direct zuſammenhängt. Es
kann ein Thier ſehr zweckmäßig, alſo als lebendiges Indi¬
viduum ſehr vollkommen organiſirt und eben deswegen ſehr
häßlich ſein, wie das Kameel, das Unau, die Sepia, die
Pipa u. ſ. w. Ein Fehler im ſubjectiven Denken, ein un¬
richtiger Begriff, ein Irrthum, ein falſches Urtheil, ein ver¬
kehrter Schluß, ſind Unvollkommenheiten der Intelligenz,
die aber nicht unter die Kategorie des Aeſthetiſchen gehören.
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[11/0033] Schöne iſt die Idee, wie ſie im Element des Sinnlichen als die freie Geſtaltung einer harmoniſchen Totalität ſich aus¬ wirkt. Das Häßliche theilt als Negation des Schönen auch das ſinnliche Element deſſelben und kann daher nicht in einer Region vorkommen, die eine nur ideelle iſt, in welcher das Sein nur als der Begriff des Seins exiſtirt, die Realität deſſelben aber als eine den Raum und die Zeit erfüllende noch ausgeſchloſſen iſt. Und ſo wenig als der Begriff des Negativen überhaupt häßlich genannt werden kann, ſo wenig auch dasjenige Ne¬ gative, welches das Unvollkommene iſt. Das Unvollkommene. In dem Sinne, daß das Schöne weſentlich Idee iſt, kann auch von ihm geſagt werden, daß es das Vollkommene ſei. Und ſo iſt auch oft genug, namentlich auch in der Baumgarten'ſchen Aeſthetik des vorigen Jahrhunderts der Begriff der Vollkommenheit mit dem der Schönheit iden¬ tiſch genommen. Allein Vollkommenheit iſt ein Begriff, der mit dem der Schönheit nicht direct zuſammenhängt. Es kann ein Thier ſehr zweckmäßig, alſo als lebendiges Indi¬ viduum ſehr vollkommen organiſirt und eben deswegen ſehr häßlich ſein, wie das Kameel, das Unau, die Sepia, die Pipa u. ſ. w. Ein Fehler im ſubjectiven Denken, ein un¬ richtiger Begriff, ein Irrthum, ein falſches Urtheil, ein ver¬ kehrter Schluß, ſind Unvollkommenheiten der Intelligenz, die aber nicht unter die Kategorie des Aeſthetiſchen gehören. Tugenden, die erſt erworben werden, die alſo noch nicht zur Virtuoſität der Gewohnheit durchgebildet ſind, machen ethiſch

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/33>, abgerufen am 16.04.2024.