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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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der Vögel, nicht durchduftet und durchglüht von buntblüthigen Kräutern,
welche jetzt unsern Waldboden durchwirken.

Es waren nicht Eichen und Buchen, nicht duftende Linden und
weißschaftige Birken, was den Steinkohlenwald bildete, nicht die im
leisen Lufthauch erzitternde Espe oder die glattschaftige Esche, überhaupt
kein Baum wie sie jetzt unsre Laubwälder bilden. Und dennoch ist uns
in unsern Wäldern ein Anklang an jene untergegangenen Waldungen
geblieben, welche einst unser ganz anders gestaltetes Deutschland begrünten.

Obgleich ohne Zweifel in jenen Zeiten ein wärmerer Himmel über
Deutschland ruhte, so waren doch schon damals Nadelhölzer unter den
Herrschern des Waldes, die jetzt unter unserem kühleren Himmel sogar
noch die rauhe Gebirgshöhe suchen.

Auch jetzt noch liebt das räthselhafte Geschlecht der Farren, die am
Boden kriechenden Bärlapppflanzen und der zierlich geästete Schachtelhalm
in der Gesellschaft der Nadelbäume sich anzusiedeln. So war es auch
damals. Aber während unsere Fichten, Kiefern und Tannen ebenbürtige
Bäume, ihren Steinkohlenahnen nichts nachgebend, geblieben sind, so
sanken die drei genannten Pflanzengeschlechter zu schwächlichen Gestalten
herab, nur ein schwaches Abbild jener Farren, Bärlapparten und Schachtel-
halme, welche als stattliche Bäume mit den Nadelbäumen jener Wal-
dungen wetteiferten, in ihren Leibern für das erst noch zu schaffende
Menschengeschlecht die Schatzkammer der Steinkohlen zu gründen.

Die Nadelbäume gewöhnten sich an die abnehmende Wärme, während
die Farrenbäume auswanderten und jetzt nur noch in heißen Himmels-
strichen gedeihen.

Wenn man mit der Erinnerung hieran einen Nadelwald des Ge-
birges besucht, so gewinnt derselbe den ahnungsvollen Reiz den ich ihm
vorhin nachrühmte. Vereinsamt und wie trauernde Fremdlinge stehen
die Bäume dichtgeschaart auf dem moosbekleideten Boden. Ihre einstigen
Genossen, aus jenen anderen Pflanzengeschlechtern, die ihre Wipfel unter
die ihrigen mischten, haben sie verlassen, sie fühlen es fast wie ein
trauriges Vorrecht, nur allein zu herrschen, wo sie früher mit Unver-
wandtem gern die Herrschaft theilten.

Doch nein, ihre ragenden, nur himmelwärts blickenden Wipfel sehen
es blos nicht, daß sich zu ihren Füßen das erniedrigte Volk überlebender

der Vögel, nicht durchduftet und durchglüht von buntblüthigen Kräutern,
welche jetzt unſern Waldboden durchwirken.

Es waren nicht Eichen und Buchen, nicht duftende Linden und
weißſchaftige Birken, was den Steinkohlenwald bildete, nicht die im
leiſen Lufthauch erzitternde Espe oder die glattſchaftige Eſche, überhaupt
kein Baum wie ſie jetzt unſre Laubwälder bilden. Und dennoch iſt uns
in unſern Wäldern ein Anklang an jene untergegangenen Waldungen
geblieben, welche einſt unſer ganz anders geſtaltetes Deutſchland begrünten.

Obgleich ohne Zweifel in jenen Zeiten ein wärmerer Himmel über
Deutſchland ruhte, ſo waren doch ſchon damals Nadelhölzer unter den
Herrſchern des Waldes, die jetzt unter unſerem kühleren Himmel ſogar
noch die rauhe Gebirgshöhe ſuchen.

Auch jetzt noch liebt das räthſelhafte Geſchlecht der Farren, die am
Boden kriechenden Bärlapppflanzen und der zierlich geäſtete Schachtelhalm
in der Geſellſchaft der Nadelbäume ſich anzuſiedeln. So war es auch
damals. Aber während unſere Fichten, Kiefern und Tannen ebenbürtige
Bäume, ihren Steinkohlenahnen nichts nachgebend, geblieben ſind, ſo
ſanken die drei genannten Pflanzengeſchlechter zu ſchwächlichen Geſtalten
herab, nur ein ſchwaches Abbild jener Farren, Bärlapparten und Schachtel-
halme, welche als ſtattliche Bäume mit den Nadelbäumen jener Wal-
dungen wetteiferten, in ihren Leibern für das erſt noch zu ſchaffende
Menſchengeſchlecht die Schatzkammer der Steinkohlen zu gründen.

Die Nadelbäume gewöhnten ſich an die abnehmende Wärme, während
die Farrenbäume auswanderten und jetzt nur noch in heißen Himmels-
ſtrichen gedeihen.

Wenn man mit der Erinnerung hieran einen Nadelwald des Ge-
birges beſucht, ſo gewinnt derſelbe den ahnungsvollen Reiz den ich ihm
vorhin nachrühmte. Vereinſamt und wie trauernde Fremdlinge ſtehen
die Bäume dichtgeſchaart auf dem moosbekleideten Boden. Ihre einſtigen
Genoſſen, aus jenen anderen Pflanzengeſchlechtern, die ihre Wipfel unter
die ihrigen miſchten, haben ſie verlaſſen, ſie fühlen es faſt wie ein
trauriges Vorrecht, nur allein zu herrſchen, wo ſie früher mit Unver-
wandtem gern die Herrſchaft theilten.

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es blos nicht, daß ſich zu ihren Füßen das erniedrigte Volk überlebender

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[240/0264] der Vögel, nicht durchduftet und durchglüht von buntblüthigen Kräutern, welche jetzt unſern Waldboden durchwirken. Es waren nicht Eichen und Buchen, nicht duftende Linden und weißſchaftige Birken, was den Steinkohlenwald bildete, nicht die im leiſen Lufthauch erzitternde Espe oder die glattſchaftige Eſche, überhaupt kein Baum wie ſie jetzt unſre Laubwälder bilden. Und dennoch iſt uns in unſern Wäldern ein Anklang an jene untergegangenen Waldungen geblieben, welche einſt unſer ganz anders geſtaltetes Deutſchland begrünten. Obgleich ohne Zweifel in jenen Zeiten ein wärmerer Himmel über Deutſchland ruhte, ſo waren doch ſchon damals Nadelhölzer unter den Herrſchern des Waldes, die jetzt unter unſerem kühleren Himmel ſogar noch die rauhe Gebirgshöhe ſuchen. Auch jetzt noch liebt das räthſelhafte Geſchlecht der Farren, die am Boden kriechenden Bärlapppflanzen und der zierlich geäſtete Schachtelhalm in der Geſellſchaft der Nadelbäume ſich anzuſiedeln. So war es auch damals. Aber während unſere Fichten, Kiefern und Tannen ebenbürtige Bäume, ihren Steinkohlenahnen nichts nachgebend, geblieben ſind, ſo ſanken die drei genannten Pflanzengeſchlechter zu ſchwächlichen Geſtalten herab, nur ein ſchwaches Abbild jener Farren, Bärlapparten und Schachtel- halme, welche als ſtattliche Bäume mit den Nadelbäumen jener Wal- dungen wetteiferten, in ihren Leibern für das erſt noch zu ſchaffende Menſchengeſchlecht die Schatzkammer der Steinkohlen zu gründen. Die Nadelbäume gewöhnten ſich an die abnehmende Wärme, während die Farrenbäume auswanderten und jetzt nur noch in heißen Himmels- ſtrichen gedeihen. Wenn man mit der Erinnerung hieran einen Nadelwald des Ge- birges beſucht, ſo gewinnt derſelbe den ahnungsvollen Reiz den ich ihm vorhin nachrühmte. Vereinſamt und wie trauernde Fremdlinge ſtehen die Bäume dichtgeſchaart auf dem moosbekleideten Boden. Ihre einſtigen Genoſſen, aus jenen anderen Pflanzengeſchlechtern, die ihre Wipfel unter die ihrigen miſchten, haben ſie verlaſſen, ſie fühlen es faſt wie ein trauriges Vorrecht, nur allein zu herrſchen, wo ſie früher mit Unver- wandtem gern die Herrſchaft theilten. Doch nein, ihre ragenden, nur himmelwärts blickenden Wipfel ſehen es blos nicht, daß ſich zu ihren Füßen das erniedrigte Volk überlebender

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/264>, abgerufen am 20.05.2024.