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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Erfahrung gerechtfertigte Ungeduld durch Ergreifung neuer Maßregeln dem
endlich doch noch kommenden Erfolge störend in den Weg tritt.

Der Waldbau ist in der That ein großartiges Geduldspiel; der
Förster steht der Natur gegenüber und beide tauschen ihre bedächtigen
Schachzüge, so bedächtig, daß der Erstere oft darüber stirbt, ehe sein
Gegenpart durch einen maßgebenden Gegenzug geantwortet hat.

Der Waldfreund denkt sich die Sache meist ganz anders. Begegnet
er dem grünen Manne in seinen weiten, vom Morgengesang der Vögel
durchschmetterten Revieren, so hat er wohl keine Ahnung davon, daß unter
dem grünen Rocke vielleicht ein um seinen Pflegling bekümmertes Herz
schlägt, daß sich vielleicht eben der Mann den Kopf zersinnt, weshalb
wohl plötzlich jene Fichtenpflanzung nicht mehr wachsen will, an deren
Gedeihen er zehn Jahre lang seine Freude hatte. So stehen zwei Männer
neben einander, beide sehen dasselbe, beide lieben dasselbe, der eine aber
nennt und empfindet darin den Wald, der andere sieht und sorgt sich um
den Forst.

Daneben kann es wohl vorkommen, daß ein greiser Forstmann, der
schon eine Wandelung seines Revieres gesehen hat, mit theilnahmvollem
Lächeln den Streifereien des Malers folgt, der vergeblich nach einem
Plätzchen für seinen Feldstuhl späht, von wo aus er ein kunstgerechtes
Waldbild sich gestalten sähe. "Du kommst zu spät, an der Stelle Deines
Waldes steht jetzt mein Forst."

Wir wollen ehrlich sein. Die Forstwirthschaft ist der Poesie des
Waldes nicht eben günstig. Aber neben diesem Geständniß kann es recht
gut bestehen, daß ich vorhin dem Waldfreunde sagte, die Forstwissenschaft
raube ihm nichts von seiner Waldliebe. Die Poesie derselben muß sich
aber in demselben Sinne vergeistigen, klären, wie wir vorhin vom Walde
einen höheren, tief in unser Leben eingreifenden Beruf kennen lernten,
welcher viel bedeutsamer ist, als der Holzwerth des Waldes, und vom
Denkenden leicht mit seiner poetischen Waldliebe verschmolzen wird. Giebt
es eine poetischere Anschauung des Waldes, als wenn wir seine Laubkronen
und seine Wurzeln als die Zauberer denken, welche das dreigestaltige ruhe-
lose Wasser in zweien seiner Gestalten, als Gas und als flüssige Tropfen,
im Dienste des organischen Lebens festhalten, herbeirufen -- mit Einem
Worte: beherrschen?

Erfahrung gerechtfertigte Ungeduld durch Ergreifung neuer Maßregeln dem
endlich doch noch kommenden Erfolge ſtörend in den Weg tritt.

Der Waldbau iſt in der That ein großartiges Geduldſpiel; der
Förſter ſteht der Natur gegenüber und beide tauſchen ihre bedächtigen
Schachzüge, ſo bedächtig, daß der Erſtere oft darüber ſtirbt, ehe ſein
Gegenpart durch einen maßgebenden Gegenzug geantwortet hat.

Der Waldfreund denkt ſich die Sache meiſt ganz anders. Begegnet
er dem grünen Manne in ſeinen weiten, vom Morgengeſang der Vögel
durchſchmetterten Revieren, ſo hat er wohl keine Ahnung davon, daß unter
dem grünen Rocke vielleicht ein um ſeinen Pflegling bekümmertes Herz
ſchlägt, daß ſich vielleicht eben der Mann den Kopf zerſinnt, weshalb
wohl plötzlich jene Fichtenpflanzung nicht mehr wachſen will, an deren
Gedeihen er zehn Jahre lang ſeine Freude hatte. So ſtehen zwei Männer
neben einander, beide ſehen daſſelbe, beide lieben daſſelbe, der eine aber
nennt und empfindet darin den Wald, der andere ſieht und ſorgt ſich um
den Forſt.

Daneben kann es wohl vorkommen, daß ein greiſer Forſtmann, der
ſchon eine Wandelung ſeines Revieres geſehen hat, mit theilnahmvollem
Lächeln den Streifereien des Malers folgt, der vergeblich nach einem
Plätzchen für ſeinen Feldſtuhl ſpäht, von wo aus er ein kunſtgerechtes
Waldbild ſich geſtalten ſähe. „Du kommſt zu ſpät, an der Stelle Deines
Waldes ſteht jetzt mein Forſt.“

Wir wollen ehrlich ſein. Die Forſtwirthſchaft iſt der Poeſie des
Waldes nicht eben günſtig. Aber neben dieſem Geſtändniß kann es recht
gut beſtehen, daß ich vorhin dem Waldfreunde ſagte, die Forſtwiſſenſchaft
raube ihm nichts von ſeiner Waldliebe. Die Poeſie derſelben muß ſich
aber in demſelben Sinne vergeiſtigen, klären, wie wir vorhin vom Walde
einen höheren, tief in unſer Leben eingreifenden Beruf kennen lernten,
welcher viel bedeutſamer iſt, als der Holzwerth des Waldes, und vom
Denkenden leicht mit ſeiner poetiſchen Waldliebe verſchmolzen wird. Giebt
es eine poetiſchere Anſchauung des Waldes, als wenn wir ſeine Laubkronen
und ſeine Wurzeln als die Zauberer denken, welche das dreigeſtaltige ruhe-
loſe Waſſer in zweien ſeiner Geſtalten, als Gas und als flüſſige Tropfen,
im Dienſte des organiſchen Lebens feſthalten, herbeirufen — mit Einem
Worte: beherrſchen?

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/31>, abgerufen am 27.04.2024.