Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

und voller Lebenskraft vor uns stand, nachdem er gefällt ist, sich innen
vollständig ausgefault zeigt. In felsigen Gebirgsgegenden findet man nicht
selten Hornbäume, Carpinus Betulus, welche äußerlich gesund aussehend
bei einem Fuß Stammdurchmesser ringsum vielleicht kaum noch zwei
Zoll Holz haben, also in Wahrheit gleich dem Rohre einen ganz hohlen
Stamm hatten. Bei der Buche ist bei mehr als zwei Fuß Stammdurch-
messer das ganze Holz oft bis auf wenige Zoll, welche stets den Umfang
bilden, meist faul und ganz unfähig, an der Saftleitung theilzunehmen.
Aber keine Baumart treibt dieses lebendige Ruinenthum so weit, als
mehrere Weidenarten und die Schwarzpappeln, Populus nigra. Diese
Bäume werden bekanntlich nur als Stecklinge oder Setzlinge erzogen.
Man nimmt diese gewöhnlich etwa drei Ellen lang und bis zwei Zoll
dick und der Umstand, daß sie auch oben abgehackt sind, gestattet den
Einflüssen der Witterung den Zugang von oben und der untere Abhieb
von unten zu dem Innern des Holzes. Aus Stecklingen erwachsene
Bäume müssen daher fast mit Nothwendigkeit im Alter kernfaul werden.
Nur bei dünnen Setzreisern wird der obere Abschnitt durch die zunächst
ausbrechenden Triebe oft zugeheilt und ein Ausfaulen verhindert.

Aber nichtsdestoweniger kann, wie wir hundert Mal gesehen haben,
ein zum Backtrog ausgehöhlter Weidenstamm noch viele Jahre fortgrünen
und wenn ihr der Korbmacher auch jedes zweite Jahr alle Triebe abhaut,
der zerschundene Stamm treibt unverdrossen neue aus seinem krausen
Kopfe hervor. Ja, wenn wir ihn auf eine noch härtere Lebensprobe
stellen wollten, so dürften wir nur die hohle Wand der Länge nach in
drei, vier Theile bis auf die Wurzel spalten; jeder würde fortfahren zu
treiben.

Um uns der Bedeutung des Baumstammes vollständig klar zu werden,
müssen wir noch einmal auf das Veredeln der Obst- und einiger anderen
Bäume und auf die Schmarotzerpflanzen zurückkommen.

Mancher Obstliebhaber, der nur einen kleinen Garten hat und darin
doch recht viele Obstsorten erbauen möchte, hilft sich damit, daß er auf
einen Baum mehrere verschiedene Sorten zugleich pfropft. So kann er
von Einem Baume Reinetten, Calvillen, Pigeons etc. ernten. Die Be-
schaffenheit des Wildlings übt also keinen Einfluß auf die Beschaffenheit
der Edelreiser und deren Blätter, Blüthen und Früchte aus! Ja beide

Roßmäßler, der Wald. 2

und voller Lebenskraft vor uns ſtand, nachdem er gefällt iſt, ſich innen
vollſtändig ausgefault zeigt. In felſigen Gebirgsgegenden findet man nicht
ſelten Hornbäume, Carpinus Betulus, welche äußerlich geſund ausſehend
bei einem Fuß Stammdurchmeſſer ringsum vielleicht kaum noch zwei
Zoll Holz haben, alſo in Wahrheit gleich dem Rohre einen ganz hohlen
Stamm hatten. Bei der Buche iſt bei mehr als zwei Fuß Stammdurch-
meſſer das ganze Holz oft bis auf wenige Zoll, welche ſtets den Umfang
bilden, meiſt faul und ganz unfähig, an der Saftleitung theilzunehmen.
Aber keine Baumart treibt dieſes lebendige Ruinenthum ſo weit, als
mehrere Weidenarten und die Schwarzpappeln, Populus nigra. Dieſe
Bäume werden bekanntlich nur als Stecklinge oder Setzlinge erzogen.
Man nimmt dieſe gewöhnlich etwa drei Ellen lang und bis zwei Zoll
dick und der Umſtand, daß ſie auch oben abgehackt ſind, geſtattet den
Einflüſſen der Witterung den Zugang von oben und der untere Abhieb
von unten zu dem Innern des Holzes. Aus Stecklingen erwachſene
Bäume müſſen daher faſt mit Nothwendigkeit im Alter kernfaul werden.
Nur bei dünnen Setzreiſern wird der obere Abſchnitt durch die zunächſt
ausbrechenden Triebe oft zugeheilt und ein Ausfaulen verhindert.

Aber nichtsdeſtoweniger kann, wie wir hundert Mal geſehen haben,
ein zum Backtrog ausgehöhlter Weidenſtamm noch viele Jahre fortgrünen
und wenn ihr der Korbmacher auch jedes zweite Jahr alle Triebe abhaut,
der zerſchundene Stamm treibt unverdroſſen neue aus ſeinem krauſen
Kopfe hervor. Ja, wenn wir ihn auf eine noch härtere Lebensprobe
ſtellen wollten, ſo dürften wir nur die hohle Wand der Länge nach in
drei, vier Theile bis auf die Wurzel ſpalten; jeder würde fortfahren zu
treiben.

Um uns der Bedeutung des Baumſtammes vollſtändig klar zu werden,
müſſen wir noch einmal auf das Veredeln der Obſt- und einiger anderen
Bäume und auf die Schmarotzerpflanzen zurückkommen.

Mancher Obſtliebhaber, der nur einen kleinen Garten hat und darin
doch recht viele Obſtſorten erbauen möchte, hilft ſich damit, daß er auf
einen Baum mehrere verſchiedene Sorten zugleich pfropft. So kann er
von Einem Baume Reinetten, Calvillen, Pigeons ꝛc. ernten. Die Be-
ſchaffenheit des Wildlings übt alſo keinen Einfluß auf die Beſchaffenheit
der Edelreiſer und deren Blätter, Blüthen und Früchte aus! Ja beide

Roßmäßler, der Wald. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0041" n="17"/>
und voller Lebenskraft vor uns &#x017F;tand, nachdem er gefällt i&#x017F;t, &#x017F;ich innen<lb/>
voll&#x017F;tändig ausgefault zeigt. In fel&#x017F;igen Gebirgsgegenden findet man nicht<lb/>
&#x017F;elten Hornbäume, <hi rendition="#aq">Carpinus Betulus,</hi> welche äußerlich ge&#x017F;und aus&#x017F;ehend<lb/>
bei einem Fuß Stammdurchme&#x017F;&#x017F;er ringsum vielleicht kaum noch zwei<lb/>
Zoll Holz haben, al&#x017F;o in Wahrheit gleich dem Rohre einen ganz hohlen<lb/>
Stamm hatten. Bei der Buche i&#x017F;t bei mehr als zwei Fuß Stammdurch-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;er das ganze Holz oft bis auf wenige Zoll, welche &#x017F;tets den Umfang<lb/>
bilden, mei&#x017F;t faul und ganz unfähig, an der Saftleitung theilzunehmen.<lb/>
Aber keine Baumart treibt die&#x017F;es lebendige Ruinenthum &#x017F;o weit, als<lb/>
mehrere Weidenarten und die Schwarzpappeln, <hi rendition="#aq">Populus nigra.</hi> Die&#x017F;e<lb/>
Bäume werden bekanntlich nur als Stecklinge oder Setzlinge erzogen.<lb/>
Man nimmt die&#x017F;e gewöhnlich etwa drei Ellen lang und bis zwei Zoll<lb/>
dick und der Um&#x017F;tand, daß &#x017F;ie auch oben abgehackt &#x017F;ind, ge&#x017F;tattet den<lb/>
Einflü&#x017F;&#x017F;en der Witterung den Zugang von oben und der untere Abhieb<lb/>
von unten zu dem Innern des Holzes. Aus Stecklingen erwach&#x017F;ene<lb/>
Bäume mü&#x017F;&#x017F;en daher fa&#x017F;t mit Nothwendigkeit im Alter kernfaul werden.<lb/>
Nur bei dünnen Setzrei&#x017F;ern wird der obere Ab&#x017F;chnitt durch die zunäch&#x017F;t<lb/>
ausbrechenden Triebe oft zugeheilt und ein Ausfaulen verhindert.</p><lb/>
          <p>Aber nichtsde&#x017F;toweniger kann, wie wir hundert Mal ge&#x017F;ehen haben,<lb/>
ein zum Backtrog ausgehöhlter Weiden&#x017F;tamm noch viele Jahre fortgrünen<lb/>
und wenn ihr der Korbmacher auch jedes zweite Jahr alle Triebe abhaut,<lb/>
der zer&#x017F;chundene Stamm treibt unverdro&#x017F;&#x017F;en neue aus &#x017F;einem krau&#x017F;en<lb/>
Kopfe hervor. Ja, wenn wir ihn auf eine noch härtere Lebensprobe<lb/>
&#x017F;tellen wollten, &#x017F;o dürften wir nur die hohle Wand der Länge nach in<lb/>
drei, vier Theile bis auf die Wurzel &#x017F;palten; jeder würde fortfahren zu<lb/>
treiben.</p><lb/>
          <p>Um uns der Bedeutung des Baum&#x017F;tammes voll&#x017F;tändig klar zu werden,<lb/>&#x017F;&#x017F;en wir noch einmal auf das Veredeln der Ob&#x017F;t- und einiger anderen<lb/>
Bäume und auf die Schmarotzerpflanzen zurückkommen.</p><lb/>
          <p>Mancher Ob&#x017F;tliebhaber, der nur einen kleinen Garten hat und darin<lb/>
doch recht viele Ob&#x017F;t&#x017F;orten erbauen möchte, hilft &#x017F;ich damit, daß er auf<lb/>
einen Baum mehrere ver&#x017F;chiedene Sorten zugleich pfropft. So kann er<lb/>
von Einem Baume Reinetten, Calvillen, Pigeons &#xA75B;c. ernten. Die Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit des Wildlings übt al&#x017F;o keinen Einfluß auf die Be&#x017F;chaffenheit<lb/>
der Edelrei&#x017F;er und deren Blätter, Blüthen und Früchte aus! Ja beide<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Roßmäßler, der Wald. 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0041] und voller Lebenskraft vor uns ſtand, nachdem er gefällt iſt, ſich innen vollſtändig ausgefault zeigt. In felſigen Gebirgsgegenden findet man nicht ſelten Hornbäume, Carpinus Betulus, welche äußerlich geſund ausſehend bei einem Fuß Stammdurchmeſſer ringsum vielleicht kaum noch zwei Zoll Holz haben, alſo in Wahrheit gleich dem Rohre einen ganz hohlen Stamm hatten. Bei der Buche iſt bei mehr als zwei Fuß Stammdurch- meſſer das ganze Holz oft bis auf wenige Zoll, welche ſtets den Umfang bilden, meiſt faul und ganz unfähig, an der Saftleitung theilzunehmen. Aber keine Baumart treibt dieſes lebendige Ruinenthum ſo weit, als mehrere Weidenarten und die Schwarzpappeln, Populus nigra. Dieſe Bäume werden bekanntlich nur als Stecklinge oder Setzlinge erzogen. Man nimmt dieſe gewöhnlich etwa drei Ellen lang und bis zwei Zoll dick und der Umſtand, daß ſie auch oben abgehackt ſind, geſtattet den Einflüſſen der Witterung den Zugang von oben und der untere Abhieb von unten zu dem Innern des Holzes. Aus Stecklingen erwachſene Bäume müſſen daher faſt mit Nothwendigkeit im Alter kernfaul werden. Nur bei dünnen Setzreiſern wird der obere Abſchnitt durch die zunächſt ausbrechenden Triebe oft zugeheilt und ein Ausfaulen verhindert. Aber nichtsdeſtoweniger kann, wie wir hundert Mal geſehen haben, ein zum Backtrog ausgehöhlter Weidenſtamm noch viele Jahre fortgrünen und wenn ihr der Korbmacher auch jedes zweite Jahr alle Triebe abhaut, der zerſchundene Stamm treibt unverdroſſen neue aus ſeinem krauſen Kopfe hervor. Ja, wenn wir ihn auf eine noch härtere Lebensprobe ſtellen wollten, ſo dürften wir nur die hohle Wand der Länge nach in drei, vier Theile bis auf die Wurzel ſpalten; jeder würde fortfahren zu treiben. Um uns der Bedeutung des Baumſtammes vollſtändig klar zu werden, müſſen wir noch einmal auf das Veredeln der Obſt- und einiger anderen Bäume und auf die Schmarotzerpflanzen zurückkommen. Mancher Obſtliebhaber, der nur einen kleinen Garten hat und darin doch recht viele Obſtſorten erbauen möchte, hilft ſich damit, daß er auf einen Baum mehrere verſchiedene Sorten zugleich pfropft. So kann er von Einem Baume Reinetten, Calvillen, Pigeons ꝛc. ernten. Die Be- ſchaffenheit des Wildlings übt alſo keinen Einfluß auf die Beſchaffenheit der Edelreiſer und deren Blätter, Blüthen und Früchte aus! Ja beide Roßmäßler, der Wald. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/41
Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/41>, abgerufen am 28.04.2024.