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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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dieser Weidenarten, namentlich die zuletzt genannten, gehören sicher zu
den schönsten Arten, denn die schlanken, goldgelben männlichen Kätzchen
neben den gleichzeitig sich entfaltenden schöngrünen glänzenden Blättern
ersetzen uns in unserer freien Natur die zarten neuholländischen Acazien
unserer Gewächshäuser, da sie diesen außerordentlich ähnlich sehen. Nicht
minder erinnert die ebenfalls genannte S. triandra L. an einen Fremd-
ling, an die Platane. Sie heißt deshalb Krebsweide, weil sie im Früh-
jahr platanenartig große dünne Borkentafeln abwirft und die neue Haut
krebsroth aussieht. Auch die vorhin erwähnten Zwergweiden der Alpen
finden auf unseren Moorwiesen fast ihres Gleichen in der niedlichen kaum
über 1 Fuß hoch werdenden Wiesen- oder Kriechweide, S. repens L.,
die unser Fuß niedertritt, ohne daß wir merken, daß wir über die Wipfel
von Zwergbäumchen hinwegschreiten.

Was auf S. 203 von der italienischen Pappel erzählt wurde, daß
sie, so viele wir deren haben, doch alle zusammen nur Theilganze eines
einzigen großen uralten Gesammtganzen sind, das gilt wahrscheinlich auch
von der bekannten Thränen- oder Trauerweide, S. babylonica L.,
wenn das wahr ist, was man sich über ihre Einführung in Deutschland
erzählt. Die Mönche des Sinai schickten, so sagt man, dem Kaiser Joseph
Südfrüchte in einem niedlichen, aus sehr feinen und gleichmäßigen Weiden-
ruthen geflochtenen Körbchen. Da die Ruthen noch sehr frisch schienen,
so pflanzte man sie als Stecklinge, die auch gut anschlugen. Davon sollen
alle unsere Thränenweiden abstammen. Thatsache ist, daß wir nur weib-
liche Exemplare haben, wie wir nur männliche Allee-Pappeln haben.

Noch sei erwähnt, daß die Weiden, namentlich die üppigen Triebe
der Weidenheger in großen Flüssen, außerordentlich häufig die S. 81
beschriebene Prolepsis zeigen.

Das an sich schon schwierige Studium der Weiden wird dadurch noch
wesentlich erschwert, daß man nicht nur zuweilen Mühe hat, zu einer
gefundenen männlichen Weide ein weibliches Exemplar zu finden, sondern
daß man bei den vor dem Laube blühenden Arten sich den Busch genau
merken muß, von dem man die Blüthen nahm, um dann einen Monat
später die inzwischen ausgebildeten Blätter von demselben Busche zu holen.
Es gehören also stets drei oder (bei den mit dem Laube blühenden Arten)
mindestens zwei Exemplare von jeder Weide in das Herbarium: ein männ-

dieſer Weidenarten, namentlich die zuletzt genannten, gehören ſicher zu
den ſchönſten Arten, denn die ſchlanken, goldgelben männlichen Kätzchen
neben den gleichzeitig ſich entfaltenden ſchöngrünen glänzenden Blättern
erſetzen uns in unſerer freien Natur die zarten neuholländiſchen Acazien
unſerer Gewächshäuſer, da ſie dieſen außerordentlich ähnlich ſehen. Nicht
minder erinnert die ebenfalls genannte S. triandra L. an einen Fremd-
ling, an die Platane. Sie heißt deshalb Krebsweide, weil ſie im Früh-
jahr platanenartig große dünne Borkentafeln abwirft und die neue Haut
krebsroth ausſieht. Auch die vorhin erwähnten Zwergweiden der Alpen
finden auf unſeren Moorwieſen faſt ihres Gleichen in der niedlichen kaum
über 1 Fuß hoch werdenden Wieſen- oder Kriechweide, S. repens L.,
die unſer Fuß niedertritt, ohne daß wir merken, daß wir über die Wipfel
von Zwergbäumchen hinwegſchreiten.

Was auf S. 203 von der italieniſchen Pappel erzählt wurde, daß
ſie, ſo viele wir deren haben, doch alle zuſammen nur Theilganze eines
einzigen großen uralten Geſammtganzen ſind, das gilt wahrſcheinlich auch
von der bekannten Thränen- oder Trauerweide, S. babylonica L.,
wenn das wahr iſt, was man ſich über ihre Einführung in Deutſchland
erzählt. Die Mönche des Sinai ſchickten, ſo ſagt man, dem Kaiſer Joſeph
Südfrüchte in einem niedlichen, aus ſehr feinen und gleichmäßigen Weiden-
ruthen geflochtenen Körbchen. Da die Ruthen noch ſehr friſch ſchienen,
ſo pflanzte man ſie als Stecklinge, die auch gut anſchlugen. Davon ſollen
alle unſere Thränenweiden abſtammen. Thatſache iſt, daß wir nur weib-
liche Exemplare haben, wie wir nur männliche Allee-Pappeln haben.

Noch ſei erwähnt, daß die Weiden, namentlich die üppigen Triebe
der Weidenheger in großen Flüſſen, außerordentlich häufig die S. 81
beſchriebene Prolepſis zeigen.

Das an ſich ſchon ſchwierige Studium der Weiden wird dadurch noch
weſentlich erſchwert, daß man nicht nur zuweilen Mühe hat, zu einer
gefundenen männlichen Weide ein weibliches Exemplar zu finden, ſondern
daß man bei den vor dem Laube blühenden Arten ſich den Buſch genau
merken muß, von dem man die Blüthen nahm, um dann einen Monat
ſpäter die inzwiſchen ausgebildeten Blätter von demſelben Buſche zu holen.
Es gehören alſo ſtets drei oder (bei den mit dem Laube blühenden Arten)
mindeſtens zwei Exemplare von jeder Weide in das Herbarium: ein männ-

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[461/0509] dieſer Weidenarten, namentlich die zuletzt genannten, gehören ſicher zu den ſchönſten Arten, denn die ſchlanken, goldgelben männlichen Kätzchen neben den gleichzeitig ſich entfaltenden ſchöngrünen glänzenden Blättern erſetzen uns in unſerer freien Natur die zarten neuholländiſchen Acazien unſerer Gewächshäuſer, da ſie dieſen außerordentlich ähnlich ſehen. Nicht minder erinnert die ebenfalls genannte S. triandra L. an einen Fremd- ling, an die Platane. Sie heißt deshalb Krebsweide, weil ſie im Früh- jahr platanenartig große dünne Borkentafeln abwirft und die neue Haut krebsroth ausſieht. Auch die vorhin erwähnten Zwergweiden der Alpen finden auf unſeren Moorwieſen faſt ihres Gleichen in der niedlichen kaum über 1 Fuß hoch werdenden Wieſen- oder Kriechweide, S. repens L., die unſer Fuß niedertritt, ohne daß wir merken, daß wir über die Wipfel von Zwergbäumchen hinwegſchreiten. Was auf S. 203 von der italieniſchen Pappel erzählt wurde, daß ſie, ſo viele wir deren haben, doch alle zuſammen nur Theilganze eines einzigen großen uralten Geſammtganzen ſind, das gilt wahrſcheinlich auch von der bekannten Thränen- oder Trauerweide, S. babylonica L., wenn das wahr iſt, was man ſich über ihre Einführung in Deutſchland erzählt. Die Mönche des Sinai ſchickten, ſo ſagt man, dem Kaiſer Joſeph Südfrüchte in einem niedlichen, aus ſehr feinen und gleichmäßigen Weiden- ruthen geflochtenen Körbchen. Da die Ruthen noch ſehr friſch ſchienen, ſo pflanzte man ſie als Stecklinge, die auch gut anſchlugen. Davon ſollen alle unſere Thränenweiden abſtammen. Thatſache iſt, daß wir nur weib- liche Exemplare haben, wie wir nur männliche Allee-Pappeln haben. Noch ſei erwähnt, daß die Weiden, namentlich die üppigen Triebe der Weidenheger in großen Flüſſen, außerordentlich häufig die S. 81 beſchriebene Prolepſis zeigen. Das an ſich ſchon ſchwierige Studium der Weiden wird dadurch noch weſentlich erſchwert, daß man nicht nur zuweilen Mühe hat, zu einer gefundenen männlichen Weide ein weibliches Exemplar zu finden, ſondern daß man bei den vor dem Laube blühenden Arten ſich den Buſch genau merken muß, von dem man die Blüthen nahm, um dann einen Monat ſpäter die inzwiſchen ausgebildeten Blätter von demſelben Buſche zu holen. Es gehören alſo ſtets drei oder (bei den mit dem Laube blühenden Arten) mindeſtens zwei Exemplare von jeder Weide in das Herbarium: ein männ-

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/509>, abgerufen am 29.04.2024.