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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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ästigen Bäumchen bis zu dem mächtigen Baume, wobei zuletzt der Zu-
wachs nur ein langsamer und sehr unbedeutender wird. Unter günstigen
Bedingungen fängt die Rüster schon mit 25 -- 30 Jahren an zu blühen,
und in der kräftigsten Altersklasse blüht sie mehr oder weniger reichlich
jedes Jahr. In besonders reichen Samenjahren (wie das gegenwärtige
1862) vermögen die dicht zusammengedrängten Fruchtknäuel den Rüstern
ein höchst abenteuerliches Ansehen zu geben, indem sie es mindestens
8--10 Tage lang ganz allein sind, was den Baum begrünt, da die Blätter
erst später nachkommen. Ist dies alsdann geschehen und sind inzwischen
die Früchte abgefallen, so erscheint in Samenjahren die Belaubung sehr
dürftig, weil eine Anzahl Triebe, an denen die Früchte saßen, nun kahl
erscheinen. Der Unkundige muß dann glauben, daß Insekten den Baum
großentheils entlaubt haben.

Kein Baum hat eine größere Triebkraft in seinem Innern als die
Rüster. Der älteste Baum hört nicht auf, am Umfange seiner Krone eine
Menge Langtriebe zu machen, die an ihrer Spitze den ganzen Sommer
hindurch Blätter treiben, die meist viel größer als die unteren sind. Das
Ausschlagsvermögen ist über alle Theile des Baumes verbreitet; er treibt
reichliche Wurzelschößlinge, und einen stehenden Stamm, namentlich wenn
er etwas verdämmt steht, sieht man selten ohne zahlreiche Stammaus-
schläge. Auf den Stock gestellt, geschneidelt und geköpft treibt die Rüster
mit unversiechbarer Kraft üppige Sprosse hervor. Namentlich die jüngeren
Stöcke bilden dann wahre Riesenblätter, an denen neben der Spitze noch
1 oder 2 Seitenspitzen heraustreten. Ueberhaupt ist das Rüsterblatt ein
wahrer Proteus an Form und Größe und nicht blos an einem Baum,
sondern auch an einem Triebe findet man Blätter von der verschiedensten
Gestalt und Größe und Ausbildung der Randzähne *).

*) Gleichwohl kann bei nur einiger Achtsamkeit keine Verwechselung mit dem Blatt
eines andern Baumes stattfinden. Das niemals auffallend schiefe und viel feiner ge-
zähnelte, regelmäßig elliptische Hornbaumblatt unterscheidet sich immer durch seine sich
stets ganz glatt anfühlenden beiden Blattseiten, während bei dem Rüsterblatt wenigstens
die eine sich rauh und scharf (namentlich beim Rückwärtsstreichen) oder weichwollig an-
fühlt. Das Haselblatt ist zwar beiderseits behaart, aber niemals scharf anzufühlen, ist an
seiner Basis immer regelmäßig (nicht schief) herzförmig und oben am breitesten und dann
plötzlich in eine Spitze auslaufend, auch feiner und unregelmäßiger gezähnelt. Mit
einem dritten Baume ist eine Blattverwechselung nicht möglich.

äſtigen Bäumchen bis zu dem mächtigen Baume, wobei zuletzt der Zu-
wachs nur ein langſamer und ſehr unbedeutender wird. Unter günſtigen
Bedingungen fängt die Rüſter ſchon mit 25 — 30 Jahren an zu blühen,
und in der kräftigſten Altersklaſſe blüht ſie mehr oder weniger reichlich
jedes Jahr. In beſonders reichen Samenjahren (wie das gegenwärtige
1862) vermögen die dicht zuſammengedrängten Fruchtknäuel den Rüſtern
ein höchſt abenteuerliches Anſehen zu geben, indem ſie es mindeſtens
8—10 Tage lang ganz allein ſind, was den Baum begrünt, da die Blätter
erſt ſpäter nachkommen. Iſt dies alsdann geſchehen und ſind inzwiſchen
die Früchte abgefallen, ſo erſcheint in Samenjahren die Belaubung ſehr
dürftig, weil eine Anzahl Triebe, an denen die Früchte ſaßen, nun kahl
erſcheinen. Der Unkundige muß dann glauben, daß Inſekten den Baum
großentheils entlaubt haben.

Kein Baum hat eine größere Triebkraft in ſeinem Innern als die
Rüſter. Der älteſte Baum hört nicht auf, am Umfange ſeiner Krone eine
Menge Langtriebe zu machen, die an ihrer Spitze den ganzen Sommer
hindurch Blätter treiben, die meiſt viel größer als die unteren ſind. Das
Ausſchlagsvermögen iſt über alle Theile des Baumes verbreitet; er treibt
reichliche Wurzelſchößlinge, und einen ſtehenden Stamm, namentlich wenn
er etwas verdämmt ſteht, ſieht man ſelten ohne zahlreiche Stammaus-
ſchläge. Auf den Stock geſtellt, geſchneidelt und geköpft treibt die Rüſter
mit unverſiechbarer Kraft üppige Sproſſe hervor. Namentlich die jüngeren
Stöcke bilden dann wahre Rieſenblätter, an denen neben der Spitze noch
1 oder 2 Seitenſpitzen heraustreten. Ueberhaupt iſt das Rüſterblatt ein
wahrer Proteus an Form und Größe und nicht blos an einem Baum,
ſondern auch an einem Triebe findet man Blätter von der verſchiedenſten
Geſtalt und Größe und Ausbildung der Randzähne *).

*) Gleichwohl kann bei nur einiger Achtſamkeit keine Verwechſelung mit dem Blatt
eines andern Baumes ſtattfinden. Das niemals auffallend ſchiefe und viel feiner ge-
zähnelte, regelmäßig elliptiſche Hornbaumblatt unterſcheidet ſich immer durch ſeine ſich
ſtets ganz glatt anfühlenden beiden Blattſeiten, während bei dem Rüſterblatt wenigſtens
die eine ſich rauh und ſcharf (namentlich beim Rückwärtsſtreichen) oder weichwollig an-
fühlt. Das Haſelblatt iſt zwar beiderſeits behaart, aber niemals ſcharf anzufühlen, iſt an
ſeiner Baſis immer regelmäßig (nicht ſchief) herzförmig und oben am breiteſten und dann
plötzlich in eine Spitze auslaufend, auch feiner und unregelmäßiger gezähnelt. Mit
einem dritten Baume iſt eine Blattverwechſelung nicht möglich.
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[468/0516] äſtigen Bäumchen bis zu dem mächtigen Baume, wobei zuletzt der Zu- wachs nur ein langſamer und ſehr unbedeutender wird. Unter günſtigen Bedingungen fängt die Rüſter ſchon mit 25 — 30 Jahren an zu blühen, und in der kräftigſten Altersklaſſe blüht ſie mehr oder weniger reichlich jedes Jahr. In beſonders reichen Samenjahren (wie das gegenwärtige 1862) vermögen die dicht zuſammengedrängten Fruchtknäuel den Rüſtern ein höchſt abenteuerliches Anſehen zu geben, indem ſie es mindeſtens 8—10 Tage lang ganz allein ſind, was den Baum begrünt, da die Blätter erſt ſpäter nachkommen. Iſt dies alsdann geſchehen und ſind inzwiſchen die Früchte abgefallen, ſo erſcheint in Samenjahren die Belaubung ſehr dürftig, weil eine Anzahl Triebe, an denen die Früchte ſaßen, nun kahl erſcheinen. Der Unkundige muß dann glauben, daß Inſekten den Baum großentheils entlaubt haben. Kein Baum hat eine größere Triebkraft in ſeinem Innern als die Rüſter. Der älteſte Baum hört nicht auf, am Umfange ſeiner Krone eine Menge Langtriebe zu machen, die an ihrer Spitze den ganzen Sommer hindurch Blätter treiben, die meiſt viel größer als die unteren ſind. Das Ausſchlagsvermögen iſt über alle Theile des Baumes verbreitet; er treibt reichliche Wurzelſchößlinge, und einen ſtehenden Stamm, namentlich wenn er etwas verdämmt ſteht, ſieht man ſelten ohne zahlreiche Stammaus- ſchläge. Auf den Stock geſtellt, geſchneidelt und geköpft treibt die Rüſter mit unverſiechbarer Kraft üppige Sproſſe hervor. Namentlich die jüngeren Stöcke bilden dann wahre Rieſenblätter, an denen neben der Spitze noch 1 oder 2 Seitenſpitzen heraustreten. Ueberhaupt iſt das Rüſterblatt ein wahrer Proteus an Form und Größe und nicht blos an einem Baum, ſondern auch an einem Triebe findet man Blätter von der verſchiedenſten Geſtalt und Größe und Ausbildung der Randzähne *). *) Gleichwohl kann bei nur einiger Achtſamkeit keine Verwechſelung mit dem Blatt eines andern Baumes ſtattfinden. Das niemals auffallend ſchiefe und viel feiner ge- zähnelte, regelmäßig elliptiſche Hornbaumblatt unterſcheidet ſich immer durch ſeine ſich ſtets ganz glatt anfühlenden beiden Blattſeiten, während bei dem Rüſterblatt wenigſtens die eine ſich rauh und ſcharf (namentlich beim Rückwärtsſtreichen) oder weichwollig an- fühlt. Das Haſelblatt iſt zwar beiderſeits behaart, aber niemals ſcharf anzufühlen, iſt an ſeiner Baſis immer regelmäßig (nicht ſchief) herzförmig und oben am breiteſten und dann plötzlich in eine Spitze auslaufend, auch feiner und unregelmäßiger gezähnelt. Mit einem dritten Baume iſt eine Blattverwechſelung nicht möglich.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/516>, abgerufen am 31.05.2024.