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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Jenes Mißbehagen, welches bewegliche Wachsfiguren bis zum Schrecken
steigern können, beruht darauf, daß sie täuschen können und täuschen
wollen. Man kann also eine Wachsfigur in ähnlichem Sinne wie den
falschen Diamant einen falschen Menschen nennen. Warum aber nicht
einen künstlichen Menschen neben den künstlichen Blumen? Weil die
Wachsfigur, wie der falsche Diamant, täuschen will. Das will die
künstliche Blume nicht, sondern sie will nur in Ermangelung der natür-
lichen deren Stelle vertreten, so weit sie es vermag; und dies vermag
sie in einem hohen Grade, da wenigstens diejenigen Blumen, die wir
künstlich nachahmen, ihren Hauptzweck darin haben, uns zu erfreuen,
was die künstlichen ihnen eben bis zu einem gewissen Grade gleichthun
können. Es braucht nicht erst hervorgehoben zu werden, daß dies von
Wachsfiguren gegenüber ihren lebenden Vorbildern nicht gilt.

Wir sehen also, daß es gewisse Grenzen giebt, welche die Kunst,
indem sie die Natur darstellt, nicht überschreiten darf.

Es giebt aber auch Grenzen, welche die Kunst bei ihrer Darstellung
der Natur erreichen muß. Zwischen dem mindesten Grade des Noth-
wendigen und dem höchsten Grade des Zulässigen bewegen sich also die
Bestrebungen der darstellenden Kunst.

In der Tonkunst ist es ähnlich; auch sie hat eine äußerste Grenze
des Zulässigen in ihrer Darstellung der Natur. Dies sind die Natur-
laute. Ein Zunahekommen an diese (Peitschenknall!) ist ein Ueberschreiten
der Grenze.

Bleiben wir nun bei der Frage stehen, ob die Malerei die Grenzen
ihres Bereichs immer weise einhalte.

Was das Ueberschreiten der Zulässigkeitsgrenzen betrifft, so sind ihr
schon durch ihre Mittel Fesseln angelegt. Sie kann nur die Farben und
von der Form nur Fläche und Umgrenzung nachahmen.

Wir kennen die Farben als Produkte des zerlegten Lichtstrahls, wir
wissen auch, daß auf dem Blatte einer Rose die Farbe in derselben Weise
entsteht wie in dem Farbestoffe, mit dem wir sie malen. Hier fallen also
Natur und Kunst in Eins zusammen, und von einem Ueberschreiten der
Zulässigkeitsgrenzen kann hier eigentlich nicht die Rede sein.

Wie wir aber nicht ohne Augenweh in die blendende Sonnenscheibe
blicken können, sondern nur die durch Aetherschwingungen hervorgebrachte

Jenes Mißbehagen, welches bewegliche Wachsfiguren bis zum Schrecken
ſteigern können, beruht darauf, daß ſie täuſchen können und täuſchen
wollen. Man kann alſo eine Wachsfigur in ähnlichem Sinne wie den
falſchen Diamant einen falſchen Menſchen nennen. Warum aber nicht
einen künſtlichen Menſchen neben den künſtlichen Blumen? Weil die
Wachsfigur, wie der falſche Diamant, täuſchen will. Das will die
künſtliche Blume nicht, ſondern ſie will nur in Ermangelung der natür-
lichen deren Stelle vertreten, ſo weit ſie es vermag; und dies vermag
ſie in einem hohen Grade, da wenigſtens diejenigen Blumen, die wir
künſtlich nachahmen, ihren Hauptzweck darin haben, uns zu erfreuen,
was die künſtlichen ihnen eben bis zu einem gewiſſen Grade gleichthun
können. Es braucht nicht erſt hervorgehoben zu werden, daß dies von
Wachsfiguren gegenüber ihren lebenden Vorbildern nicht gilt.

Wir ſehen alſo, daß es gewiſſe Grenzen giebt, welche die Kunſt,
indem ſie die Natur darſtellt, nicht überſchreiten darf.

Es giebt aber auch Grenzen, welche die Kunſt bei ihrer Darſtellung
der Natur erreichen muß. Zwiſchen dem mindeſten Grade des Noth-
wendigen und dem höchſten Grade des Zuläſſigen bewegen ſich alſo die
Beſtrebungen der darſtellenden Kunſt.

In der Tonkunſt iſt es ähnlich; auch ſie hat eine äußerſte Grenze
des Zuläſſigen in ihrer Darſtellung der Natur. Dies ſind die Natur-
laute. Ein Zunahekommen an dieſe (Peitſchenknall!) iſt ein Ueberſchreiten
der Grenze.

Bleiben wir nun bei der Frage ſtehen, ob die Malerei die Grenzen
ihres Bereichs immer weiſe einhalte.

Was das Ueberſchreiten der Zuläſſigkeitsgrenzen betrifft, ſo ſind ihr
ſchon durch ihre Mittel Feſſeln angelegt. Sie kann nur die Farben und
von der Form nur Fläche und Umgrenzung nachahmen.

Wir kennen die Farben als Produkte des zerlegten Lichtſtrahls, wir
wiſſen auch, daß auf dem Blatte einer Roſe die Farbe in derſelben Weiſe
entſteht wie in dem Farbeſtoffe, mit dem wir ſie malen. Hier fallen alſo
Natur und Kunſt in Eins zuſammen, und von einem Ueberſchreiten der
Zuläſſigkeitsgrenzen kann hier eigentlich nicht die Rede ſein.

Wie wir aber nicht ohne Augenweh in die blendende Sonnenſcheibe
blicken können, ſondern nur die durch Aetherſchwingungen hervorgebrachte

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[52/0076] Jenes Mißbehagen, welches bewegliche Wachsfiguren bis zum Schrecken ſteigern können, beruht darauf, daß ſie täuſchen können und täuſchen wollen. Man kann alſo eine Wachsfigur in ähnlichem Sinne wie den falſchen Diamant einen falſchen Menſchen nennen. Warum aber nicht einen künſtlichen Menſchen neben den künſtlichen Blumen? Weil die Wachsfigur, wie der falſche Diamant, täuſchen will. Das will die künſtliche Blume nicht, ſondern ſie will nur in Ermangelung der natür- lichen deren Stelle vertreten, ſo weit ſie es vermag; und dies vermag ſie in einem hohen Grade, da wenigſtens diejenigen Blumen, die wir künſtlich nachahmen, ihren Hauptzweck darin haben, uns zu erfreuen, was die künſtlichen ihnen eben bis zu einem gewiſſen Grade gleichthun können. Es braucht nicht erſt hervorgehoben zu werden, daß dies von Wachsfiguren gegenüber ihren lebenden Vorbildern nicht gilt. Wir ſehen alſo, daß es gewiſſe Grenzen giebt, welche die Kunſt, indem ſie die Natur darſtellt, nicht überſchreiten darf. Es giebt aber auch Grenzen, welche die Kunſt bei ihrer Darſtellung der Natur erreichen muß. Zwiſchen dem mindeſten Grade des Noth- wendigen und dem höchſten Grade des Zuläſſigen bewegen ſich alſo die Beſtrebungen der darſtellenden Kunſt. In der Tonkunſt iſt es ähnlich; auch ſie hat eine äußerſte Grenze des Zuläſſigen in ihrer Darſtellung der Natur. Dies ſind die Natur- laute. Ein Zunahekommen an dieſe (Peitſchenknall!) iſt ein Ueberſchreiten der Grenze. Bleiben wir nun bei der Frage ſtehen, ob die Malerei die Grenzen ihres Bereichs immer weiſe einhalte. Was das Ueberſchreiten der Zuläſſigkeitsgrenzen betrifft, ſo ſind ihr ſchon durch ihre Mittel Feſſeln angelegt. Sie kann nur die Farben und von der Form nur Fläche und Umgrenzung nachahmen. Wir kennen die Farben als Produkte des zerlegten Lichtſtrahls, wir wiſſen auch, daß auf dem Blatte einer Roſe die Farbe in derſelben Weiſe entſteht wie in dem Farbeſtoffe, mit dem wir ſie malen. Hier fallen alſo Natur und Kunſt in Eins zuſammen, und von einem Ueberſchreiten der Zuläſſigkeitsgrenzen kann hier eigentlich nicht die Rede ſein. Wie wir aber nicht ohne Augenweh in die blendende Sonnenſcheibe blicken können, ſondern nur die durch Aetherſchwingungen hervorgebrachte

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/76>, abgerufen am 12.05.2024.