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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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B. Arten und Leistungen des Kampfes der Theile.
verlust durch Verwundung. Der Ersatz des Verlorengegange-
nen durch Bindegewebe wird zwar in diesem letzteren Falle
gewöhnlich als "Regeneration" bezeichnet, verdient aber diese
Bezeichnung deshalb nicht, weil dabei die normale Structur
der Stelle nicht wieder hergestellt wird. Der Vorgang ist also
nicht mit der auf Erhaltung embryonaler Eigenschaften in den
Zellen beruhenden Regeneration niederer Thiere, z. B. der
Amphibien, vergleichbar, welche nach Entfernung eines Kör-
pertheiles denselben wieder selbst bis auf die Speciescharak-
tere normal herstellt.

Im erwachsenen Individuum scheint ein Kampf der Gewebe
als normaler Process blos noch vorzukommen in den Knochen,
indem hier die Zerstörung des Alten unter dem Einwachsen von
Capillarschlingen stattfindet, welchen die von Kölliker 2) in
ihrer Function erkannten grossen vielkernigen Zellen, die Osteo-
klasten oder Myeloplaxen, durch Auflösung der Knochensubstanz
den Weg bahnen. Aehnliches findet im embryonalen und jugend-
lichen Individuum bei der der Verknöcherung vorangehenden
Zerstörung der knorpeligen Skelettheile statt. Auch kommt
gelegentlich ein physiologischer Kampf der Gewebe noch an
anderen Stellen vor. So hindert z. B. nach W. Krause 3) der
Musculus transversus menti, wenn er ausgebildet ist, die An-
sammlung von Fett im Unterhaut-Bindegewebe an der Stelle,
wodurch alsdann das Grübchen im Kinn entsteht.

Trotz dieser im Allgemeinen geringen und, wie wir sahen,
die Entwickelung und Kräftigung des Organischen nicht fördern-
den Wirkungsweise des Kampfes der Gewebe kann derselbe

2) Würzburger physik.-med. Gesellschaft, Sitzungsber. 1872. Gleich-
zeitig entdeckte G. Wegner dieselbe Function dieser Zellen in Fällen
pathologischer Knochenresorption. Siehe Virchow's Archiv. Bd. 56.
3) W. Krause, Handb. der menschl. Anatomie. Bd. 3. p. 91.

B. Arten und Leistungen des Kampfes der Theile.
verlust durch Verwundung. Der Ersatz des Verlorengegange-
nen durch Bindegewebe wird zwar in diesem letzteren Falle
gewöhnlich als »Regeneration« bezeichnet, verdient aber diese
Bezeichnung deshalb nicht, weil dabei die normale Structur
der Stelle nicht wieder hergestellt wird. Der Vorgang ist also
nicht mit der auf Erhaltung embryonaler Eigenschaften in den
Zellen beruhenden Regeneration niederer Thiere, z. B. der
Amphibien, vergleichbar, welche nach Entfernung eines Kör-
pertheiles denselben wieder selbst bis auf die Speciescharak-
tere normal herstellt.

Im erwachsenen Individuum scheint ein Kampf der Gewebe
als normaler Process blos noch vorzukommen in den Knochen,
indem hier die Zerstörung des Alten unter dem Einwachsen von
Capillarschlingen stattfindet, welchen die von Kölliker 2) in
ihrer Function erkannten grossen vielkernigen Zellen, die Osteo-
klasten oder Myeloplaxen, durch Auflösung der Knochensubstanz
den Weg bahnen. Aehnliches findet im embryonalen und jugend-
lichen Individuum bei der der Verknöcherung vorangehenden
Zerstörung der knorpeligen Skelettheile statt. Auch kommt
gelegentlich ein physiologischer Kampf der Gewebe noch an
anderen Stellen vor. So hindert z. B. nach W. Krause 3) der
Musculus transversus menti, wenn er ausgebildet ist, die An-
sammlung von Fett im Unterhaut-Bindegewebe an der Stelle,
wodurch alsdann das Grübchen im Kinn entsteht.

Trotz dieser im Allgemeinen geringen und, wie wir sahen,
die Entwickelung und Kräftigung des Organischen nicht fördern-
den Wirkungsweise des Kampfes der Gewebe kann derselbe

2) Würzburger physik.-med. Gesellschaft, Sitzungsber. 1872. Gleich-
zeitig entdeckte G. Wegner dieselbe Function dieser Zellen in Fällen
pathologischer Knochenresorption. Siehe Virchow’s Archiv. Bd. 56.
3) W. Krause, Handb. der menschl. Anatomie. Bd. 3. p. 91.
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[101/0115] B. Arten und Leistungen des Kampfes der Theile. verlust durch Verwundung. Der Ersatz des Verlorengegange- nen durch Bindegewebe wird zwar in diesem letzteren Falle gewöhnlich als »Regeneration« bezeichnet, verdient aber diese Bezeichnung deshalb nicht, weil dabei die normale Structur der Stelle nicht wieder hergestellt wird. Der Vorgang ist also nicht mit der auf Erhaltung embryonaler Eigenschaften in den Zellen beruhenden Regeneration niederer Thiere, z. B. der Amphibien, vergleichbar, welche nach Entfernung eines Kör- pertheiles denselben wieder selbst bis auf die Speciescharak- tere normal herstellt. Im erwachsenen Individuum scheint ein Kampf der Gewebe als normaler Process blos noch vorzukommen in den Knochen, indem hier die Zerstörung des Alten unter dem Einwachsen von Capillarschlingen stattfindet, welchen die von Kölliker 2) in ihrer Function erkannten grossen vielkernigen Zellen, die Osteo- klasten oder Myeloplaxen, durch Auflösung der Knochensubstanz den Weg bahnen. Aehnliches findet im embryonalen und jugend- lichen Individuum bei der der Verknöcherung vorangehenden Zerstörung der knorpeligen Skelettheile statt. Auch kommt gelegentlich ein physiologischer Kampf der Gewebe noch an anderen Stellen vor. So hindert z. B. nach W. Krause 3) der Musculus transversus menti, wenn er ausgebildet ist, die An- sammlung von Fett im Unterhaut-Bindegewebe an der Stelle, wodurch alsdann das Grübchen im Kinn entsteht. Trotz dieser im Allgemeinen geringen und, wie wir sahen, die Entwickelung und Kräftigung des Organischen nicht fördern- den Wirkungsweise des Kampfes der Gewebe kann derselbe 2) Würzburger physik.-med. Gesellschaft, Sitzungsber. 1872. Gleich- zeitig entdeckte G. Wegner dieselbe Function dieser Zellen in Fällen pathologischer Knochenresorption. Siehe Virchow’s Archiv. Bd. 56. 3) W. Krause, Handb. der menschl. Anatomie. Bd. 3. p. 91.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/115>, abgerufen am 30.04.2024.