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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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ten sie noch immer einander zu. Der erste Gang
war zur Kommode. Jedes brachte sein Strümpf-
chen. Jch zog die Börse heraus. Jedes erhielt
das Versprochene. Jch genoß des eigenen Ver-
gnügens zu sehen, wie sich die Freude auf beiden
Gesichtern so verschieden abspiegelte. Was willst
du denn nun mit dem Gelde thun, Jda? O, Tan-
te weiß wohl, und indem malte sie mit dem Fin-
ger die Form eines großen Brotes auf den Tisch.
Dafür kann Paul zwei Brote kaufen, soll er
das alles haben? Alles, liebe Tante. Willst du
denn nichts von dem Gelde behalten? Tante gibt
mir ja Brot und Aepfel und alles, was ich gern
esse. Aber man kann für Geld auch Blumen kau-
fen; schöne herrliche Blumen. -- Sie bedachte
sich -- Blumen, Tante -- ja die habe ich sehr
lieb. Aber wie lange kann Paul von den zwei
Broten essen? Vier bis fünf Tage. Liebe Tan-
te, ich will keine Blumen haben. Paul soll al-
les haben. Und damit ging sie ans Frühstück,
dann zu ihrem Hänfling und Eichhörnchen, de-
nen sie auch Frühstück gab. Aber ich bemerkte,
daß sie gar nicht recht vergnügt war.

ten ſie noch immer einander zu. Der erſte Gang
war zur Kommode. Jedes brachte ſein Strümpf-
chen. Jch zog die Börſe heraus. Jedes erhielt
das Verſprochene. Jch genoß des eigenen Ver-
gnügens zu ſehen, wie ſich die Freude auf beiden
Geſichtern ſo verſchieden abſpiegelte. Was willſt
du denn nun mit dem Gelde thun, Jda? O, Tan-
te weiß wohl, und indem malte ſie mit dem Fin-
ger die Form eines großen Brotes auf den Tiſch.
Dafür kann Paul zwei Brote kaufen, ſoll er
das alles haben? Alles, liebe Tante. Willſt du
denn nichts von dem Gelde behalten? Tante gibt
mir ja Brot und Aepfel und alles, was ich gern
eſſe. Aber man kann für Geld auch Blumen kau-
fen; ſchöne herrliche Blumen. — Sie bedachte
ſich — Blumen, Tante — ja die habe ich ſehr
lieb. Aber wie lange kann Paul von den zwei
Broten eſſen? Vier bis fünf Tage. Liebe Tan-
te, ich will keine Blumen haben. Paul ſoll al-
les haben. Und damit ging ſie ans Frühſtück,
dann zu ihrem Hänfling und Eichhörnchen, de-
nen ſie auch Frühſtück gab. Aber ich bemerkte,
daß ſie gar nicht recht vergnügt war.

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[148/0162] ten ſie noch immer einander zu. Der erſte Gang war zur Kommode. Jedes brachte ſein Strümpf- chen. Jch zog die Börſe heraus. Jedes erhielt das Verſprochene. Jch genoß des eigenen Ver- gnügens zu ſehen, wie ſich die Freude auf beiden Geſichtern ſo verſchieden abſpiegelte. Was willſt du denn nun mit dem Gelde thun, Jda? O, Tan- te weiß wohl, und indem malte ſie mit dem Fin- ger die Form eines großen Brotes auf den Tiſch. Dafür kann Paul zwei Brote kaufen, ſoll er das alles haben? Alles, liebe Tante. Willſt du denn nichts von dem Gelde behalten? Tante gibt mir ja Brot und Aepfel und alles, was ich gern eſſe. Aber man kann für Geld auch Blumen kau- fen; ſchöne herrliche Blumen. — Sie bedachte ſich — Blumen, Tante — ja die habe ich ſehr lieb. Aber wie lange kann Paul von den zwei Broten eſſen? Vier bis fünf Tage. Liebe Tan- te, ich will keine Blumen haben. Paul ſoll al- les haben. Und damit ging ſie ans Frühſtück, dann zu ihrem Hänfling und Eichhörnchen, de- nen ſie auch Frühſtück gab. Aber ich bemerkte, daß ſie gar nicht recht vergnügt war.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/162>, abgerufen am 03.05.2024.