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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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das gern. Auch würde der ehrwürdige P. selber
Dir das nicht verübeln. Für Mütter wie Du
bist, ist sein Buch, und sind alle seine Metho-
den-Bücher nicht geschrieben. Er hat es mit dem
rohen verwahrloseten Landvolk und zunächst
mit dem in seiner Gegend zu thun. Diese Müt-
ter hat er im Auge, und deshalb sind die Vor-
schriften so peremptorisch und die Anweisungen
gehen auf eine Mechanik des ersten Unterrichts
aus. -- Für solche, deren ästhetischer Sinn einen
hohen Grad der Ausbildung erhalten hat, und
für Selbstdenkende können seine Vorschriften keine
gesetzliche Verbindlichkeit haben. Denn für
den einen sind diese Formen und ewigen Wieder-
holungen unleidlich, und für die andern unnöthig.
Dessen ungeachtet findet der gebildetste und selbst
der am tiefsten denkende Geist in diesen Schriften
reichen Stoff zum Nachsinnen und zu Erwägun-
gen über diese Sache. Weder Du noch ich wür-
den z. B. diesen Kursus der Benennung mensch-
licher Gliedmaßen ganz so mit allen diesen Wie-
derholungen nachbeten mögen. Aber bedarf es
dessen auch? Der Buchstabe tödtet, der Eeist

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das gern. Auch würde der ehrwürdige P. ſelber
Dir das nicht verübeln. Für Mütter wie Du
biſt, iſt ſein Buch, und ſind alle ſeine Metho-
den-Bücher nicht geſchrieben. Er hat es mit dem
rohen verwahrloſeten Landvolk und zunächſt
mit dem in ſeiner Gegend zu thun. Dieſe Müt-
ter hat er im Auge, und deshalb ſind die Vor-
ſchriften ſo peremptoriſch und die Anweiſungen
gehen auf eine Mechanik des erſten Unterrichts
aus. — Für ſolche, deren äſthetiſcher Sinn einen
hohen Grad der Ausbildung erhalten hat, und
für Selbſtdenkende können ſeine Vorſchriften keine
geſetzliche Verbindlichkeit haben. Denn für
den einen ſind dieſe Formen und ewigen Wieder-
holungen unleidlich, und für die andern unnöthig.
Deſſen ungeachtet findet der gebildetſte und ſelbſt
der am tiefſten denkende Geiſt in dieſen Schriften
reichen Stoff zum Nachſinnen und zu Erwägun-
gen über dieſe Sache. Weder Du noch ich wür-
den z. B. dieſen Kurſus der Benennung menſch-
licher Gliedmaßen ganz ſo mit allen dieſen Wie-
derholungen nachbeten mögen. Aber bedarf es
deſſen auch? Der Buchſtabe tödtet, der Eeiſt

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[17/0031] das gern. Auch würde der ehrwürdige P. ſelber Dir das nicht verübeln. Für Mütter wie Du biſt, iſt ſein Buch, und ſind alle ſeine Metho- den-Bücher nicht geſchrieben. Er hat es mit dem rohen verwahrloſeten Landvolk und zunächſt mit dem in ſeiner Gegend zu thun. Dieſe Müt- ter hat er im Auge, und deshalb ſind die Vor- ſchriften ſo peremptoriſch und die Anweiſungen gehen auf eine Mechanik des erſten Unterrichts aus. — Für ſolche, deren äſthetiſcher Sinn einen hohen Grad der Ausbildung erhalten hat, und für Selbſtdenkende können ſeine Vorſchriften keine geſetzliche Verbindlichkeit haben. Denn für den einen ſind dieſe Formen und ewigen Wieder- holungen unleidlich, und für die andern unnöthig. Deſſen ungeachtet findet der gebildetſte und ſelbſt der am tiefſten denkende Geiſt in dieſen Schriften reichen Stoff zum Nachſinnen und zu Erwägun- gen über dieſe Sache. Weder Du noch ich wür- den z. B. dieſen Kurſus der Benennung menſch- licher Gliedmaßen ganz ſo mit allen dieſen Wie- derholungen nachbeten mögen. Aber bedarf es deſſen auch? Der Buchſtabe tödtet, der Eeiſt (3)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/31>, abgerufen am 29.04.2024.