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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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ohngefähr des nemlichen Jnhaltes, und begann
so: Bis zu unserer nähern Bekanntschaft habe
er gar schwer an gute Erziehung fremder Kinder
glauben können; er habe aus dem Grunde sie
fast für unmöglich gehalten, weil das junge Herz
(besonders des Mädchens), aus der warmen Fa-
milienliebe herausgerissen, nothwendig erkalten
und sich gewöhnen müsse, ohne Liebe zu leben.
Gut, sagt' ich, so gebe man die Kinder, die nicht
von ihren Eltern und nicht unter ihren Augen
erzogen werden können, in eine gute Familie,
daß sie bei dieser wiederfinden, was die Eltern
einmal nicht geben können.

Dies geschieht ja auch mit Knaben und Mäd-
chen, war seine Antwort. Aber lassen Sie uns
fürs erste bestimmt bei der Mädchen-Erziehung
bleiben, von der ich in meiner Jdee ausging.
Eine Art, wie ich mir die Erziehung solcher jun-
gen Mädchen dachte, war in einer der gewöhnlichen
Pensionen, wo die Vorsteherin der Anstalt ent-
weder verheirathet, und Mutter einer eigenen
kleinen Familie, oder Wittwe, oder überall un-

(38)

ohngefähr des nemlichen Jnhaltes, und begann
ſo: Bis zu unſerer nähern Bekanntſchaft habe
er gar ſchwer an gute Erziehung fremder Kinder
glauben können; er habe aus dem Grunde ſie
faſt für unmöglich gehalten, weil das junge Herz
(beſonders des Mädchens), aus der warmen Fa-
milienliebe herausgeriſſen, nothwendig erkalten
und ſich gewöhnen müſſe, ohne Liebe zu leben.
Gut, ſagt’ ich, ſo gebe man die Kinder, die nicht
von ihren Eltern und nicht unter ihren Augen
erzogen werden können, in eine gute Familie,
daß ſie bei dieſer wiederfinden, was die Eltern
einmal nicht geben können.

Dies geſchieht ja auch mit Knaben und Mäd-
chen, war ſeine Antwort. Aber laſſen Sie uns
fürs erſte beſtimmt bei der Mädchen-Erziehung
bleiben, von der ich in meiner Jdee ausging.
Eine Art, wie ich mir die Erziehung ſolcher jun-
gen Mädchen dachte, war in einer der gewöhnlichen
Penſionen, wo die Vorſteherin der Anſtalt ent-
weder verheirathet, und Mutter einer eigenen
kleinen Familie, oder Wittwe, oder überall un-

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[297/0311] ohngefähr des nemlichen Jnhaltes, und begann ſo: Bis zu unſerer nähern Bekanntſchaft habe er gar ſchwer an gute Erziehung fremder Kinder glauben können; er habe aus dem Grunde ſie faſt für unmöglich gehalten, weil das junge Herz (beſonders des Mädchens), aus der warmen Fa- milienliebe herausgeriſſen, nothwendig erkalten und ſich gewöhnen müſſe, ohne Liebe zu leben. Gut, ſagt’ ich, ſo gebe man die Kinder, die nicht von ihren Eltern und nicht unter ihren Augen erzogen werden können, in eine gute Familie, daß ſie bei dieſer wiederfinden, was die Eltern einmal nicht geben können. Dies geſchieht ja auch mit Knaben und Mäd- chen, war ſeine Antwort. Aber laſſen Sie uns fürs erſte beſtimmt bei der Mädchen-Erziehung bleiben, von der ich in meiner Jdee ausging. Eine Art, wie ich mir die Erziehung ſolcher jun- gen Mädchen dachte, war in einer der gewöhnlichen Penſionen, wo die Vorſteherin der Anſtalt ent- weder verheirathet, und Mutter einer eigenen kleinen Familie, oder Wittwe, oder überall un- (38)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/311>, abgerufen am 29.04.2024.