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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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unser Jdeal von Erzieherin nicht haben. Sie soll
alles anerkennen, was ihr männliche Hülfe seyn
kann; sie soll vornemlich den wissenschaftlichen
Unterricht, den auch Jhr Geschlecht nicht ganz
entbehren kann, lieber einem Manne anvertrauen,
auch wenn sie alle nöthige Kentnisse besäße, um
ihn selbst zu geben; denn alle Verstandeskultur
soll vom Manne ausgehen. Eins aber soll sie
sich vorbehalten, und darf es sich unter keiner
Bedingung nehmen lassen: das ist der unmittel-
bare Einfluß auf die Entwickelung des eigentlichen
Charakters, der Weiblichkeit, des Zartgefühls.

Jch. Wie Sie mir aus der Seele sprechen!
Wer mir hier eingreifen wollte, würde mir ver-
wundend ans Herz greifen. Aber was die wissen-
schaftliche Bildung betrift, wie sehr ist da aller
männliche Unterricht vorzuziehen. Wie so ganz
anders, wie viel heller, klarer, tiefer ist der Blick
des männlichen Geistes! Oft wenn ich in irgend
einer Sache recht eigentlich zu Hause zu seyn
meynte, und mir selbst das Zeugniß gab, ich
könne sie auch treflich vortragen: so durfte nur

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unſer Jdeal von Erzieherin nicht haben. Sie ſoll
alles anerkennen, was ihr männliche Hülfe ſeyn
kann; ſie ſoll vornemlich den wiſſenſchaftlichen
Unterricht, den auch Jhr Geſchlecht nicht ganz
entbehren kann, lieber einem Manne anvertrauen,
auch wenn ſie alle nöthige Kentniſſe beſäße, um
ihn ſelbſt zu geben; denn alle Verſtandeskultur
ſoll vom Manne ausgehen. Eins aber ſoll ſie
ſich vorbehalten, und darf es ſich unter keiner
Bedingung nehmen laſſen: das iſt der unmittel-
bare Einfluß auf die Entwickelung des eigentlichen
Charakters, der Weiblichkeit, des Zartgefühls.

Jch. Wie Sie mir aus der Seele ſprechen!
Wer mir hier eingreifen wollte, würde mir ver-
wundend ans Herz greifen. Aber was die wiſſen-
ſchaftliche Bildung betrift, wie ſehr iſt da aller
männliche Unterricht vorzuziehen. Wie ſo ganz
anders, wie viel heller, klarer, tiefer iſt der Blick
des männlichen Geiſtes! Oft wenn ich in irgend
einer Sache recht eigentlich zu Hauſe zu ſeyn
meynte, und mir ſelbſt das Zeugniß gab, ich
könne ſie auch treflich vortragen: ſo durfte nur

(39)
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[305/0319] unſer Jdeal von Erzieherin nicht haben. Sie ſoll alles anerkennen, was ihr männliche Hülfe ſeyn kann; ſie ſoll vornemlich den wiſſenſchaftlichen Unterricht, den auch Jhr Geſchlecht nicht ganz entbehren kann, lieber einem Manne anvertrauen, auch wenn ſie alle nöthige Kentniſſe beſäße, um ihn ſelbſt zu geben; denn alle Verſtandeskultur ſoll vom Manne ausgehen. Eins aber ſoll ſie ſich vorbehalten, und darf es ſich unter keiner Bedingung nehmen laſſen: das iſt der unmittel- bare Einfluß auf die Entwickelung des eigentlichen Charakters, der Weiblichkeit, des Zartgefühls. Jch. Wie Sie mir aus der Seele ſprechen! Wer mir hier eingreifen wollte, würde mir ver- wundend ans Herz greifen. Aber was die wiſſen- ſchaftliche Bildung betrift, wie ſehr iſt da aller männliche Unterricht vorzuziehen. Wie ſo ganz anders, wie viel heller, klarer, tiefer iſt der Blick des männlichen Geiſtes! Oft wenn ich in irgend einer Sache recht eigentlich zu Hauſe zu ſeyn meynte, und mir ſelbſt das Zeugniß gab, ich könne ſie auch treflich vortragen: ſo durfte nur (39)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/319>, abgerufen am 29.04.2024.