Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



gehen läßt, und ihre ganze Freude in Schlafen,
Essen und Trinken sucht. Gestatten wir den klei-
nen Wesen alles, was wir können, verbieten
wir ihnen nichts, als das wirklich Schädliche,
gestehen wir ihnen aufs erste Wort der bescheide-
nen Bitte das zu, was wir bewilligen können und
dürfen, schlagen wir ihnen nie ab, was wir her-
nach doch zugestehn, lassen wir unser erstes ver-
weigerndes Wort auch das letzte seyn: so werden
sie sich bald zu der ehrerbietigen Resignation ge-
wöhnen, die ihnen so heilsam ist.

Es ist eben so schädlich, sich etwas von Kindern
abbetteln, als abtrotzen zu lassen. Auch ist die
beharrliche Bettelei nur eine andere Art von Trotz,
die gleichfalls auf die Schwäche der Eltern be-
rechnet ist.

Der früheste Ungehorsam entsteht gewöhnlich
aus der Lüsternheit nach dem, was die Erwach-
senen vor den Augen der Kinder genießen und
ihnen versagen, und dessen sich die Kleinen zu
bemächtigen suchen, sobald sie unbemerkt zu seyn



gehen läßt, und ihre ganze Freude in Schlafen,
Eſſen und Trinken ſucht. Geſtatten wir den klei-
nen Weſen alles, was wir können, verbieten
wir ihnen nichts, als das wirklich Schädliche,
geſtehen wir ihnen aufs erſte Wort der beſcheide-
nen Bitte das zu, was wir bewilligen können und
dürfen, ſchlagen wir ihnen nie ab, was wir her-
nach doch zugeſtehn, laſſen wir unſer erſtes ver-
weigerndes Wort auch das letzte ſeyn: ſo werden
ſie ſich bald zu der ehrerbietigen Reſignation ge-
wöhnen, die ihnen ſo heilſam iſt.

Es iſt eben ſo ſchädlich, ſich etwas von Kindern
abbetteln, als abtrotzen zu laſſen. Auch iſt die
beharrliche Bettelei nur eine andere Art von Trotz,
die gleichfalls auf die Schwäche der Eltern be-
rechnet iſt.

Der früheſte Ungehorſam entſteht gewöhnlich
aus der Lüſternheit nach dem, was die Erwach-
ſenen vor den Augen der Kinder genießen und
ihnen verſagen, und deſſen ſich die Kleinen zu
bemächtigen ſuchen, ſobald ſie unbemerkt zu ſeyn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0080" n="66"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
gehen läßt, und ihre ganze Freude in Schlafen,<lb/>
E&#x017F;&#x017F;en und Trinken &#x017F;ucht. Ge&#x017F;tatten wir den klei-<lb/>
nen We&#x017F;en alles, was wir können, verbieten<lb/>
wir ihnen nichts, als das wirklich Schädliche,<lb/>
ge&#x017F;tehen wir ihnen aufs er&#x017F;te Wort der be&#x017F;cheide-<lb/>
nen Bitte das zu, was wir bewilligen können und<lb/>
dürfen, &#x017F;chlagen wir ihnen nie ab, was wir her-<lb/>
nach doch zuge&#x017F;tehn, la&#x017F;&#x017F;en wir un&#x017F;er er&#x017F;tes ver-<lb/>
weigerndes Wort auch das letzte &#x017F;eyn: &#x017F;o werden<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich bald zu der ehrerbietigen Re&#x017F;ignation ge-<lb/>
wöhnen, die ihnen &#x017F;o heil&#x017F;am i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t eben &#x017F;o &#x017F;chädlich, &#x017F;ich etwas von Kindern<lb/>
abbetteln, als abtrotzen zu la&#x017F;&#x017F;en. Auch i&#x017F;t die<lb/>
beharrliche Bettelei nur eine andere Art von Trotz,<lb/>
die gleichfalls auf die Schwäche der Eltern be-<lb/>
rechnet i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Der frühe&#x017F;te Ungehor&#x017F;am ent&#x017F;teht gewöhnlich<lb/>
aus der Lü&#x017F;ternheit nach dem, was die Erwach-<lb/>
&#x017F;enen vor den Augen der Kinder genießen und<lb/>
ihnen ver&#x017F;agen, und de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die Kleinen zu<lb/>
bemächtigen &#x017F;uchen, &#x017F;obald &#x017F;ie unbemerkt zu &#x017F;eyn<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0080] gehen läßt, und ihre ganze Freude in Schlafen, Eſſen und Trinken ſucht. Geſtatten wir den klei- nen Weſen alles, was wir können, verbieten wir ihnen nichts, als das wirklich Schädliche, geſtehen wir ihnen aufs erſte Wort der beſcheide- nen Bitte das zu, was wir bewilligen können und dürfen, ſchlagen wir ihnen nie ab, was wir her- nach doch zugeſtehn, laſſen wir unſer erſtes ver- weigerndes Wort auch das letzte ſeyn: ſo werden ſie ſich bald zu der ehrerbietigen Reſignation ge- wöhnen, die ihnen ſo heilſam iſt. Es iſt eben ſo ſchädlich, ſich etwas von Kindern abbetteln, als abtrotzen zu laſſen. Auch iſt die beharrliche Bettelei nur eine andere Art von Trotz, die gleichfalls auf die Schwäche der Eltern be- rechnet iſt. Der früheſte Ungehorſam entſteht gewöhnlich aus der Lüſternheit nach dem, was die Erwach- ſenen vor den Augen der Kinder genießen und ihnen verſagen, und deſſen ſich die Kleinen zu bemächtigen ſuchen, ſobald ſie unbemerkt zu ſeyn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/80
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/80>, abgerufen am 07.05.2024.