Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



man von früh an nichts anders sprechen hört,
als sie; aber darf sie jemals Hauptaugenmerk
bei der Erziehung eines deutfchen Kindes werden?
Nicht einmal eine französische Wärterin würde
ich dem Kinde gern zugestehen! Von deutschen
Eltern ließ das Schicksal es geboren werden:
Deutsch sey die erste Sprache, die es hört, die es
lallt, durch die es, und für die es sein Sprach-
organ entwickelt. Deutsch sey der Sinn, der
Charakter, der Geist, der sich ihm aufprägt,
und auf welchen die Sprache gewiß keinen unbe-
trächtlichen Einfluß hat.

"Aber wie wird es späterhin noch die völlige Ge-
"läufigkeit erlangen?" -- Und wenn es sie nie be-
käme: die Sprache des Auslandes darf nicht Haupt-
sache in der deutschen Erziehung werden! "Für
"die höhern Stände ist die französische Sprache
"einmal ein nothwendiges Uebel. Meine Lage
"und Deine Verhältnisse machen uns die Geläu-
"figkeit dieser Sprache fast nothwendig, und so
"muß auch Jda sie sprechen lernen, weil sie in
"Deinen Verhältnissen wahrscheinlich fortleben



man von früh an nichts anders ſprechen hört,
als ſie; aber darf ſie jemals Hauptaugenmerk
bei der Erziehung eines deutfchen Kindes werden?
Nicht einmal eine franzöſiſche Wärterin würde
ich dem Kinde gern zugeſtehen! Von deutſchen
Eltern ließ das Schickſal es geboren werden:
Deutſch ſey die erſte Sprache, die es hört, die es
lallt, durch die es, und für die es ſein Sprach-
organ entwickelt. Deutſch ſey der Sinn, der
Charakter, der Geiſt, der ſich ihm aufprägt,
und auf welchen die Sprache gewiß keinen unbe-
trächtlichen Einfluß hat.

„Aber wie wird es ſpäterhin noch die völlige Ge-
„läufigkeit erlangen?‟ — Und wenn es ſie nie be-
käme: die Sprache des Auslandes darf nicht Haupt-
ſache in der deutſchen Erziehung werden! „Für
„die höhern Stände iſt die franzöſiſche Sprache
„einmal ein nothwendiges Uebel. Meine Lage
„und Deine Verhältniſſe machen uns die Geläu-
„figkeit dieſer Sprache faſt nothwendig, und ſo
„muß auch Jda ſie ſprechen lernen, weil ſie in
„Deinen Verhältniſſen wahrſcheinlich fortleben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="74"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
man von früh an nichts anders &#x017F;prechen hört,<lb/>
als &#x017F;ie; aber <hi rendition="#g">darf</hi> &#x017F;ie jemals Hauptaugenmerk<lb/>
bei der Erziehung eines deutfchen Kindes werden?<lb/>
Nicht einmal eine franzö&#x017F;i&#x017F;che Wärterin würde<lb/>
ich dem Kinde gern zuge&#x017F;tehen! Von deut&#x017F;chen<lb/>
Eltern ließ das Schick&#x017F;al es geboren werden:<lb/>
Deut&#x017F;ch &#x017F;ey die er&#x017F;te Sprache, die es hört, die es<lb/>
lallt, durch die es, und für die es &#x017F;ein Sprach-<lb/>
organ entwickelt. Deut&#x017F;ch &#x017F;ey der Sinn, der<lb/>
Charakter, der Gei&#x017F;t, der &#x017F;ich ihm aufprägt,<lb/>
und auf welchen die Sprache gewiß keinen unbe-<lb/>
trächtlichen Einfluß hat.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber wie wird es &#x017F;päterhin noch die völlige Ge-<lb/>
&#x201E;läufigkeit erlangen?&#x201F; &#x2014; Und wenn es &#x017F;ie nie be-<lb/>
käme: die Sprache des Auslandes darf nicht Haupt-<lb/>
&#x017F;ache in der deut&#x017F;chen Erziehung werden! &#x201E;Für<lb/>
&#x201E;die höhern Stände i&#x017F;t die franzö&#x017F;i&#x017F;che Sprache<lb/>
&#x201E;einmal ein nothwendiges Uebel. Meine Lage<lb/>
&#x201E;und Deine Verhältni&#x017F;&#x017F;e machen uns die Geläu-<lb/>
&#x201E;figkeit die&#x017F;er Sprache fa&#x017F;t nothwendig, und &#x017F;o<lb/>
&#x201E;muß auch Jda &#x017F;ie &#x017F;prechen lernen, weil &#x017F;ie in<lb/>
&#x201E;Deinen Verhältni&#x017F;&#x017F;en wahr&#x017F;cheinlich fortleben<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0088] man von früh an nichts anders ſprechen hört, als ſie; aber darf ſie jemals Hauptaugenmerk bei der Erziehung eines deutfchen Kindes werden? Nicht einmal eine franzöſiſche Wärterin würde ich dem Kinde gern zugeſtehen! Von deutſchen Eltern ließ das Schickſal es geboren werden: Deutſch ſey die erſte Sprache, die es hört, die es lallt, durch die es, und für die es ſein Sprach- organ entwickelt. Deutſch ſey der Sinn, der Charakter, der Geiſt, der ſich ihm aufprägt, und auf welchen die Sprache gewiß keinen unbe- trächtlichen Einfluß hat. „Aber wie wird es ſpäterhin noch die völlige Ge- „läufigkeit erlangen?‟ — Und wenn es ſie nie be- käme: die Sprache des Auslandes darf nicht Haupt- ſache in der deutſchen Erziehung werden! „Für „die höhern Stände iſt die franzöſiſche Sprache „einmal ein nothwendiges Uebel. Meine Lage „und Deine Verhältniſſe machen uns die Geläu- „figkeit dieſer Sprache faſt nothwendig, und ſo „muß auch Jda ſie ſprechen lernen, weil ſie in „Deinen Verhältniſſen wahrſcheinlich fortleben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/88
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/88>, abgerufen am 07.05.2024.