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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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eine Vorbereitung auf das Leben in der Welt,
wo sie demnach lernen müssen, mit Menschen
auszukommen, die sehr anders geartet sind. Hertha
macht ihnen aber dieses Studium recht sauer.
Bei einer völligen Rohheit und Unwissenheit hat
sie einen Dünkel, eine Rechthaberei, die oft eben
so lächerlich als empörend sind. Und hier das Mit-
tel zu treffen zwischen allzu willfähriger Nachgie-
bigkeit und allzu strengem Widerstande, wovon
die eine sie immer starrköpfiger und eingebildeter,
und die andere vielleicht bitter machen würde, ist
gar nicht leicht. Doch nehmen sich unsere lieben
Mädchen vortrefflich, und Hertha fängt an, sich
sehr bei uns zu gefallen. Auch hat sie bei aller
Rohheit einen lebhaften Geist, der oft gleich Blitz-
strahlen hervorbricht, und die andern angenehm
überrascht. Durch diese Anlage zum Witz kann
sie einst recht interessant werden. Aber wehe de-
nen, die in ihrer Nähe leben müßten, wenn ihr
grober Egoismus nicht gebändigt würde! Der
Witz an sich ist schon ein bedenklicher Genosse der
Weiblichkeit; aber mit Stolz, Egoismus, Dün-
kel und Lieblosigkeit vereint -- wer kann ihn am

eine Vorbereitung auf das Leben in der Welt,
wo ſie demnach lernen müſſen, mit Menſchen
auszukommen, die ſehr anders geartet ſind. Hertha
macht ihnen aber dieſes Studium recht ſauer.
Bei einer völligen Rohheit und Unwiſſenheit hat
ſie einen Dünkel, eine Rechthaberei, die oft eben
ſo lächerlich als empörend ſind. Und hier das Mit-
tel zu treffen zwiſchen allzu willfähriger Nachgie-
bigkeit und allzu ſtrengem Widerſtande, wovon
die eine ſie immer ſtarrköpfiger und eingebildeter,
und die andere vielleicht bitter machen würde, iſt
gar nicht leicht. Doch nehmen ſich unſere lieben
Mädchen vortrefflich, und Hertha fängt an, ſich
ſehr bei uns zu gefallen. Auch hat ſie bei aller
Rohheit einen lebhaften Geiſt, der oft gleich Blitz-
ſtrahlen hervorbricht, und die andern angenehm
überraſcht. Durch dieſe Anlage zum Witz kann
ſie einſt recht intereſſant werden. Aber wehe de-
nen, die in ihrer Nähe leben müßten, wenn ihr
grober Egoismus nicht gebändigt würde! Der
Witz an ſich iſt ſchon ein bedenklicher Genoſſe der
Weiblichkeit; aber mit Stolz, Egoismus, Dün-
kel und Liebloſigkeit vereint — wer kann ihn am

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[94/0102] eine Vorbereitung auf das Leben in der Welt, wo ſie demnach lernen müſſen, mit Menſchen auszukommen, die ſehr anders geartet ſind. Hertha macht ihnen aber dieſes Studium recht ſauer. Bei einer völligen Rohheit und Unwiſſenheit hat ſie einen Dünkel, eine Rechthaberei, die oft eben ſo lächerlich als empörend ſind. Und hier das Mit- tel zu treffen zwiſchen allzu willfähriger Nachgie- bigkeit und allzu ſtrengem Widerſtande, wovon die eine ſie immer ſtarrköpfiger und eingebildeter, und die andere vielleicht bitter machen würde, iſt gar nicht leicht. Doch nehmen ſich unſere lieben Mädchen vortrefflich, und Hertha fängt an, ſich ſehr bei uns zu gefallen. Auch hat ſie bei aller Rohheit einen lebhaften Geiſt, der oft gleich Blitz- ſtrahlen hervorbricht, und die andern angenehm überraſcht. Durch dieſe Anlage zum Witz kann ſie einſt recht intereſſant werden. Aber wehe de- nen, die in ihrer Nähe leben müßten, wenn ihr grober Egoismus nicht gebändigt würde! Der Witz an ſich iſt ſchon ein bedenklicher Genoſſe der Weiblichkeit; aber mit Stolz, Egoismus, Dün- kel und Liebloſigkeit vereint — wer kann ihn am

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/102>, abgerufen am 29.04.2024.