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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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hineinrenne? -- Aber der Arme ist selbst an Hän-
den und Füßen gebunden. -- "Nun wir müssen
fort, lassen Sie nur aufpacken, und sagen Sie's
den beiden glücklichen Menschen, wenn's Zeit ist,
in den Wagen zu steigen." Das soll geschehen.
Und wirklich überläßt der sonst so rüstige Platov
mir und Woldemar jetzt alles, und sitzt mit sei-
nem Täubchen in der einsamen Weinlaube, als
ob es außer ihnen beiden nichts Lebendes mehr
auf Erden gäbe. "Halten Sie doch, lieber Pla-
tov, ehe wir reisen, dem ungestümen Woldemar
noch eine Vorlesung über Geduld und Mäßigung,
damit er das zarte Herz nicht zertrümmere, das
er stürmend zu erobern eilt." Ja, ja ich will's
ihm noch heute beweisen, daß er verständig seyn
muß, für zwei, nemlich für sich und seinen Men-
tor, den alle Verständigkeit und alle Weisheit
verlassen hat. Schicken Sie ihn mir nur gleich
her, doch nicht gleich, lieber heute Abend, wenn
meine Sonne untergegangen, wenn Jda schläft.

Du siehst, meine Emma, was Dein Töchter-
lein vermag -- welch ein Jünglingsfeuer sie in

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hineinrenne? — Aber der Arme iſt ſelbſt an Hän-
den und Füßen gebunden. — „Nun wir müſſen
fort, laſſen Sie nur aufpacken, und ſagen Sie’s
den beiden glücklichen Menſchen, wenn’s Zeit iſt,
in den Wagen zu ſteigen.‟ Das ſoll geſchehen.
Und wirklich überläßt der ſonſt ſo rüſtige Platov
mir und Woldemar jetzt alles, und ſitzt mit ſei-
nem Täubchen in der einſamen Weinlaube, als
ob es außer ihnen beiden nichts Lebendes mehr
auf Erden gäbe. „Halten Sie doch, lieber Pla-
tov, ehe wir reiſen, dem ungeſtümen Woldemar
noch eine Vorleſung über Geduld und Mäßigung,
damit er das zarte Herz nicht zertrümmere, das
er ſtürmend zu erobern eilt.‟ Ja, ja ich will’s
ihm noch heute beweiſen, daß er verſtändig ſeyn
muß, für zwei, nemlich für ſich und ſeinen Men-
tor, den alle Verſtändigkeit und alle Weisheit
verlaſſen hat. Schicken Sie ihn mir nur gleich
her, doch nicht gleich, lieber heute Abend, wenn
meine Sonne untergegangen, wenn Jda ſchläft.

Du ſiehſt, meine Emma, was Dein Töchter-
lein vermag — welch ein Jünglingsfeuer ſie in

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[337/0345] hineinrenne? — Aber der Arme iſt ſelbſt an Hän- den und Füßen gebunden. — „Nun wir müſſen fort, laſſen Sie nur aufpacken, und ſagen Sie’s den beiden glücklichen Menſchen, wenn’s Zeit iſt, in den Wagen zu ſteigen.‟ Das ſoll geſchehen. Und wirklich überläßt der ſonſt ſo rüſtige Platov mir und Woldemar jetzt alles, und ſitzt mit ſei- nem Täubchen in der einſamen Weinlaube, als ob es außer ihnen beiden nichts Lebendes mehr auf Erden gäbe. „Halten Sie doch, lieber Pla- tov, ehe wir reiſen, dem ungeſtümen Woldemar noch eine Vorleſung über Geduld und Mäßigung, damit er das zarte Herz nicht zertrümmere, das er ſtürmend zu erobern eilt.‟ Ja, ja ich will’s ihm noch heute beweiſen, daß er verſtändig ſeyn muß, für zwei, nemlich für ſich und ſeinen Men- tor, den alle Verſtändigkeit und alle Weisheit verlaſſen hat. Schicken Sie ihn mir nur gleich her, doch nicht gleich, lieber heute Abend, wenn meine Sonne untergegangen, wenn Jda ſchläft. Du ſiehſt, meine Emma, was Dein Töchter- lein vermag — welch ein Jünglingsfeuer ſie in (43)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/345>, abgerufen am 30.05.2024.