Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Nahrung kann er nie der Außenwelt entbehren,
Und ihrer Uebermacht muß er sich stets erwehren.
In diesem Daseynskampf, mit Kraft, dazu verliehn,
Sucht er von außen her, was frommt, an sich zu ziehn.
Zwei Kräfte gleicher Art, zu gleichem Zweck verbunden,
Vermögen doppeltes, das haben sie empfunden.
Drum menschliche Vernunft, zu Menschenselbsterhaltung
Befand nichts nützlicher als Menschenbundgestaltung.
Sie unterordnen selbst dem Leibe sich zu Gliedern,
Nur um sich zu erhöhn, nicht um sich zu erniedern.
Und also ist der Mensch von der Natur getrieben,
Weil er sich selber liebt, den andern auch zu lieben.
Getrieben ist er, gut zu seyn, mild und gerecht,
Großmüthig selber sich zu opfern dem Geschlecht.
Dem Grundtrieb Eigennutz ist alles dies entsprossen,
Die dunkle Wurzel ist zum Himmel aufgeschossen.

Rückert, Lehrgedicht IV. 11
Zur Nahrung kann er nie der Außenwelt entbehren,
Und ihrer Uebermacht muß er ſich ſtets erwehren.
In dieſem Daſeynskampf, mit Kraft, dazu verliehn,
Sucht er von außen her, was frommt, an ſich zu ziehn.
Zwei Kraͤfte gleicher Art, zu gleichem Zweck verbunden,
Vermoͤgen doppeltes, das haben ſie empfunden.
Drum menſchliche Vernunft, zu Menſchenſelbſterhaltung
Befand nichts nuͤtzlicher als Menſchenbundgeſtaltung.
Sie unterordnen ſelbſt dem Leibe ſich zu Gliedern,
Nur um ſich zu erhoͤhn, nicht um ſich zu erniedern.
Und alſo iſt der Menſch von der Natur getrieben,
Weil er ſich ſelber liebt, den andern auch zu lieben.
Getrieben iſt er, gut zu ſeyn, mild und gerecht,
Großmuͤthig ſelber ſich zu opfern dem Geſchlecht.
Dem Grundtrieb Eigennutz iſt alles dies entſproſſen,
Die dunkle Wurzel iſt zum Himmel aufgeſchoſſen.

Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0251" n="241"/>
            <lg n="9">
              <l>Zur Nahrung kann er nie der Außenwelt entbehren,</l><lb/>
              <l>Und ihrer Uebermacht muß er &#x017F;ich &#x017F;tets erwehren.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="10">
              <l>In die&#x017F;em Da&#x017F;eynskampf, mit Kraft, dazu verliehn,</l><lb/>
              <l>Sucht er von außen her, was frommt, an &#x017F;ich zu ziehn.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Zwei Kra&#x0364;fte gleicher Art, zu gleichem Zweck verbunden,</l><lb/>
              <l>Vermo&#x0364;gen doppeltes, das haben &#x017F;ie empfunden.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="12">
              <l>Drum men&#x017F;chliche Vernunft, zu Men&#x017F;chen&#x017F;elb&#x017F;terhaltung</l><lb/>
              <l>Befand nichts nu&#x0364;tzlicher als Men&#x017F;chenbundge&#x017F;taltung.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="13">
              <l>Sie unterordnen &#x017F;elb&#x017F;t dem Leibe &#x017F;ich zu Gliedern,</l><lb/>
              <l>Nur um &#x017F;ich zu erho&#x0364;hn, nicht um &#x017F;ich zu erniedern.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="14">
              <l>Und al&#x017F;o i&#x017F;t der Men&#x017F;ch von der Natur getrieben,</l><lb/>
              <l>Weil er &#x017F;ich &#x017F;elber liebt, den andern auch zu lieben.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="15">
              <l>Getrieben i&#x017F;t er, gut zu &#x017F;eyn, mild und gerecht,</l><lb/>
              <l>Großmu&#x0364;thig &#x017F;elber &#x017F;ich zu opfern dem Ge&#x017F;chlecht.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="16">
              <l>Dem Grundtrieb Eigennutz i&#x017F;t alles dies ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Die dunkle Wurzel i&#x017F;t zum Himmel aufge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ru&#x0364;ckert</hi>, Lehrgedicht IV. 11</fw>
        </div><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0251] Zur Nahrung kann er nie der Außenwelt entbehren, Und ihrer Uebermacht muß er ſich ſtets erwehren. In dieſem Daſeynskampf, mit Kraft, dazu verliehn, Sucht er von außen her, was frommt, an ſich zu ziehn. Zwei Kraͤfte gleicher Art, zu gleichem Zweck verbunden, Vermoͤgen doppeltes, das haben ſie empfunden. Drum menſchliche Vernunft, zu Menſchenſelbſterhaltung Befand nichts nuͤtzlicher als Menſchenbundgeſtaltung. Sie unterordnen ſelbſt dem Leibe ſich zu Gliedern, Nur um ſich zu erhoͤhn, nicht um ſich zu erniedern. Und alſo iſt der Menſch von der Natur getrieben, Weil er ſich ſelber liebt, den andern auch zu lieben. Getrieben iſt er, gut zu ſeyn, mild und gerecht, Großmuͤthig ſelber ſich zu opfern dem Geſchlecht. Dem Grundtrieb Eigennutz iſt alles dies entſproſſen, Die dunkle Wurzel iſt zum Himmel aufgeſchoſſen. Ruͤckert, Lehrgedicht IV. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/251
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/251>, abgerufen am 29.04.2024.