Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

len des Laokoon vorschlägt *), durch eine gewisse Halbheit des
Eingehens, oder durch ein unvermeidlich widriges Schminken
und Beschönigen des Unerfreulichen hervorgebracht; vielmehr
nur, indem der Künstler, nach den Umständen, durch leichten
Spott oder bitteren Ernst den Gesichtspunct feststellt, aus wel-
chem sein Gegenstand überhaupt aufzufassen, und wirklich von
ihm selbst erfaßt worden ist. Erinnern wir uns hier eines
schlagenden Beyspiels, der Silenen und Faunen des Alterthu-
mes, in denen Schönheiten der Technik und des Styles die
(nach griechischem Maße) unschöne Bildung des Leibes auf-
heben, so wie ein anmuthiges Schwanken der Auffassung von
tiefsinnigem Ernst zu leichtem Scherz in diesen Darstellungen
die Niedrigkeit faunischer Neigungen nie unliebenswerth, oft
höchst bedeutend erscheinen läßt. Ueberhaupt spiegelt sich, nach
den Gesetzen eben jener natürlichen Symbolik der Form, wel-

*) §. II. Plut. de audiendis poetis. -- ou gar esti touto, to
kalon kai kalos ti mim~eisthai ekalos gar esti, to prepontos kai
oikeios oikeia de kai preponta tois aiskhrois ta aiskhra. Der Geist,
in welchem die Dinge aufgefaßt worden, kommt hier, wie über-
haupt in den Kunstbemerkungen der Alten, kaum in Betrachtung.
Nur selten möchte, wo bei den Alten von Kunstwerken die Rede
ist, auf die geistige Thätigkeit, welche den Künstler dabey geleitet,
Rücksicht genommen werden, wie in folgender Stelle des Plutarch
(Athenienses bellone an pace clariores p. 346): gegraphe de kai ten
en Mantineia pros Epaminondan ippomakhian ouk anenthousiasos
Euphranor. Ganz anders verhält es sich damit in den neuesten Zei-
ten, wo der Mangel an allem, oder doch an dem rechten Geiste,
dessen Bedürfniß in der Kunst fühlbar gemacht, und eben daher
den Begriff selbst zu einiger Deutlichkeit des Bewußtseyns erhoben
hat, woraus auf der anderen Seite übertriebene Forderungen ent-
standen sind.

len des Laokoon vorſchlaͤgt *), durch eine gewiſſe Halbheit des
Eingehens, oder durch ein unvermeidlich widriges Schminken
und Beſchoͤnigen des Unerfreulichen hervorgebracht; vielmehr
nur, indem der Kuͤnſtler, nach den Umſtaͤnden, durch leichten
Spott oder bitteren Ernſt den Geſichtspunct feſtſtellt, aus wel-
chem ſein Gegenſtand uͤberhaupt aufzufaſſen, und wirklich von
ihm ſelbſt erfaßt worden iſt. Erinnern wir uns hier eines
ſchlagenden Beyſpiels, der Silenen und Faunen des Alterthu-
mes, in denen Schoͤnheiten der Technik und des Styles die
(nach griechiſchem Maße) unſchoͤne Bildung des Leibes auf-
heben, ſo wie ein anmuthiges Schwanken der Auffaſſung von
tiefſinnigem Ernſt zu leichtem Scherz in dieſen Darſtellungen
die Niedrigkeit fauniſcher Neigungen nie unliebenswerth, oft
hoͤchſt bedeutend erſcheinen laͤßt. Ueberhaupt ſpiegelt ſich, nach
den Geſetzen eben jener natuͤrlichen Symbolik der Form, wel-

*) §. II. Plut. de audiendis poetis. — οὐ γάϱ ἐστι τοὐτὸ, τὸ
καλὸν καὶ καλῶς τι μιμ῀εισϑαι ηκαλῶς γὰϱ ἐστὶ, τὸ πϱεπόντως καὶ
οἰκείως οὶκεῖα δέ καὶ πϱεπόντα τοῖς αἰσχϱοῖς τὰ αἰσχϱὰ. Der Geiſt,
in welchem die Dinge aufgefaßt worden, kommt hier, wie uͤber-
haupt in den Kunſtbemerkungen der Alten, kaum in Betrachtung.
Nur ſelten moͤchte, wo bei den Alten von Kunſtwerken die Rede
iſt, auf die geiſtige Thaͤtigkeit, welche den Kuͤnſtler dabey geleitet,
Ruͤckſicht genommen werden, wie in folgender Stelle des Plutarch
(Athenienses bellone an pace clariores p. 346): γέγϱαφε δὲ καὶ τὴν
έν Μαντινείᾳ πϱὸς Ἐπαμινώνδαν ἱππομαχιάν οὐκ ἀνενϑουσιάςως
Εὐφϱάνωϱ. Ganz anders verhaͤlt es ſich damit in den neueſten Zei-
ten, wo der Mangel an allem, oder doch an dem rechten Geiſte,
deſſen Beduͤrfniß in der Kunſt fuͤhlbar gemacht, und eben daher
den Begriff ſelbſt zu einiger Deutlichkeit des Bewußtſeyns erhoben
hat, woraus auf der anderen Seite uͤbertriebene Forderungen ent-
ſtanden ſind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0173" n="155"/>
len des Laokoon vor&#x017F;chla&#x0364;gt <note place="foot" n="*)">§. <hi rendition="#aq">II. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595237">Plut.</persName> de audiendis poetis.</hi> &#x2014; &#x03BF;&#x1F50; &#x03B3;&#x03AC;&#x03F1; &#x1F10;&#x03C3;&#x03C4;&#x03B9; &#x03C4;&#x03BF;&#x1F50;&#x03C4;&#x1F78;, &#x03C4;&#x1F78;<lb/>
&#x03BA;&#x03B1;&#x03BB;&#x1F78;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03BA;&#x03B1;&#x03BB;&#x1FF6;&#x03C2; &#x03C4;&#x03B9; &#x03BC;&#x03B9;&#x03BC;&#x1FC0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9; &#x03B7;&#x03BA;&#x03B1;&#x03BB;&#x1FF6;&#x03C2; &#x03B3;&#x1F70;&#x03F1; &#x1F10;&#x03C3;&#x03C4;&#x1F76;, &#x03C4;&#x1F78; &#x03C0;&#x03F1;&#x03B5;&#x03C0;&#x03CC;&#x03BD;&#x03C4;&#x03C9;&#x03C2; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76;<lb/>
&#x03BF;&#x1F30;&#x03BA;&#x03B5;&#x03AF;&#x03C9;&#x03C2; &#x03BF;&#x1F76;&#x03BA;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03B1; &#x03B4;&#x03AD; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C0;&#x03F1;&#x03B5;&#x03C0;&#x03CC;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B1; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03C2; &#x03B1;&#x1F30;&#x03C3;&#x03C7;&#x03F1;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03C2; &#x03C4;&#x1F70; &#x03B1;&#x1F30;&#x03C3;&#x03C7;&#x03F1;&#x1F70;. Der Gei&#x017F;t,<lb/>
in welchem die Dinge aufgefaßt worden, kommt hier, wie u&#x0364;ber-<lb/>
haupt in den Kun&#x017F;tbemerkungen der Alten, kaum in Betrachtung.<lb/>
Nur &#x017F;elten mo&#x0364;chte, wo bei den Alten von Kun&#x017F;twerken die Rede<lb/>
i&#x017F;t, auf die gei&#x017F;tige Tha&#x0364;tigkeit, welche den Ku&#x0364;n&#x017F;tler dabey geleitet,<lb/>
Ru&#x0364;ck&#x017F;icht genommen werden, wie in folgender Stelle des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595237">Plutarch</persName><lb/>
(<hi rendition="#aq">Athenienses bellone an pace clariores p.</hi> 346): &#x03B3;&#x03AD;&#x03B3;&#x03F1;&#x03B1;&#x03C6;&#x03B5; &#x03B4;&#x1F72; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C4;&#x1F74;&#x03BD;<lb/>
&#x03AD;&#x03BD; &#x039C;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BD;&#x03B5;&#x03AF;&#x1FB3; &#x03C0;&#x03F1;&#x1F78;&#x03C2; &#x1F18;&#x03C0;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B9;&#x03BD;&#x03CE;&#x03BD;&#x03B4;&#x03B1;&#x03BD; &#x1F31;&#x03C0;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C7;&#x03B9;&#x03AC;&#x03BD; &#x03BF;&#x1F50;&#x03BA; &#x1F00;&#x03BD;&#x03B5;&#x03BD;&#x03D1;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B9;&#x03AC;&#x03C2;&#x03C9;&#x03C2;<lb/>
&#x0395;&#x1F50;&#x03C6;&#x03F1;&#x03AC;&#x03BD;&#x03C9;&#x03F1;. Ganz anders verha&#x0364;lt es &#x017F;ich damit in den neue&#x017F;ten Zei-<lb/>
ten, wo der Mangel an allem, oder doch an dem rechten Gei&#x017F;te,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Bedu&#x0364;rfniß in der Kun&#x017F;t <choice><sic>&#x017F;ichtbar</sic><corr>fu&#x0364;hlbar</corr></choice> gemacht, und eben daher<lb/>
den Begriff &#x017F;elb&#x017F;t zu einiger Deutlichkeit des Bewußt&#x017F;eyns erhoben<lb/>
hat, <choice><sic>worauf</sic><corr>woraus</corr></choice> auf der anderen Seite u&#x0364;bertriebene Forderungen ent-<lb/>
&#x017F;tanden &#x017F;ind.</note>, durch eine gewi&#x017F;&#x017F;e Halbheit des<lb/>
Eingehens, oder durch ein unvermeidlich widriges Schminken<lb/>
und Be&#x017F;cho&#x0364;nigen des Unerfreulichen hervorgebracht; vielmehr<lb/>
nur, indem der Ku&#x0364;n&#x017F;tler, nach den Um&#x017F;ta&#x0364;nden, durch leichten<lb/>
Spott oder bitteren Ern&#x017F;t den Ge&#x017F;ichtspunct fe&#x017F;t&#x017F;tellt, aus wel-<lb/>
chem &#x017F;ein Gegen&#x017F;tand u&#x0364;berhaupt aufzufa&#x017F;&#x017F;en, und wirklich von<lb/>
ihm &#x017F;elb&#x017F;t erfaßt worden i&#x017F;t. Erinnern wir uns hier eines<lb/>
&#x017F;chlagenden Bey&#x017F;piels, der Silenen und Faunen des Alterthu-<lb/>
mes, in denen Scho&#x0364;nheiten der Technik und des Styles die<lb/>
(nach griechi&#x017F;chem Maße) un&#x017F;cho&#x0364;ne Bildung des Leibes auf-<lb/>
heben, &#x017F;o wie ein anmuthiges Schwanken der Auffa&#x017F;&#x017F;ung von<lb/>
tief&#x017F;innigem Ern&#x017F;t zu leichtem Scherz in die&#x017F;en Dar&#x017F;tellungen<lb/>
die Niedrigkeit fauni&#x017F;cher Neigungen nie unliebenswerth, oft<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t bedeutend er&#x017F;cheinen la&#x0364;ßt. Ueberhaupt &#x017F;piegelt &#x017F;ich, nach<lb/>
den Ge&#x017F;etzen eben jener natu&#x0364;rlichen Symbolik der Form, wel-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0173] len des Laokoon vorſchlaͤgt *), durch eine gewiſſe Halbheit des Eingehens, oder durch ein unvermeidlich widriges Schminken und Beſchoͤnigen des Unerfreulichen hervorgebracht; vielmehr nur, indem der Kuͤnſtler, nach den Umſtaͤnden, durch leichten Spott oder bitteren Ernſt den Geſichtspunct feſtſtellt, aus wel- chem ſein Gegenſtand uͤberhaupt aufzufaſſen, und wirklich von ihm ſelbſt erfaßt worden iſt. Erinnern wir uns hier eines ſchlagenden Beyſpiels, der Silenen und Faunen des Alterthu- mes, in denen Schoͤnheiten der Technik und des Styles die (nach griechiſchem Maße) unſchoͤne Bildung des Leibes auf- heben, ſo wie ein anmuthiges Schwanken der Auffaſſung von tiefſinnigem Ernſt zu leichtem Scherz in dieſen Darſtellungen die Niedrigkeit fauniſcher Neigungen nie unliebenswerth, oft hoͤchſt bedeutend erſcheinen laͤßt. Ueberhaupt ſpiegelt ſich, nach den Geſetzen eben jener natuͤrlichen Symbolik der Form, wel- *) §. II. Plut. de audiendis poetis. — οὐ γάϱ ἐστι τοὐτὸ, τὸ καλὸν καὶ καλῶς τι μιμ῀εισϑαι ηκαλῶς γὰϱ ἐστὶ, τὸ πϱεπόντως καὶ οἰκείως οὶκεῖα δέ καὶ πϱεπόντα τοῖς αἰσχϱοῖς τὰ αἰσχϱὰ. Der Geiſt, in welchem die Dinge aufgefaßt worden, kommt hier, wie uͤber- haupt in den Kunſtbemerkungen der Alten, kaum in Betrachtung. Nur ſelten moͤchte, wo bei den Alten von Kunſtwerken die Rede iſt, auf die geiſtige Thaͤtigkeit, welche den Kuͤnſtler dabey geleitet, Ruͤckſicht genommen werden, wie in folgender Stelle des Plutarch (Athenienses bellone an pace clariores p. 346): γέγϱαφε δὲ καὶ τὴν έν Μαντινείᾳ πϱὸς Ἐπαμινώνδαν ἱππομαχιάν οὐκ ἀνενϑουσιάςως Εὐφϱάνωϱ. Ganz anders verhaͤlt es ſich damit in den neueſten Zei- ten, wo der Mangel an allem, oder doch an dem rechten Geiſte, deſſen Beduͤrfniß in der Kunſt fuͤhlbar gemacht, und eben daher den Begriff ſelbſt zu einiger Deutlichkeit des Bewußtſeyns erhoben hat, woraus auf der anderen Seite uͤbertriebene Forderungen ent- ſtanden ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/173
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/173>, abgerufen am 30.04.2024.