Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

nino, detto la calza, am römischen Thore, vorhanden, des-
sen Gegenstand Vasari richtig angegeben, dessen kräftige und
derbe Charakteristik an Luca Signorelli erinnert. Ein anderes,
der Leichnam Christi, Maria, Johannes und Maria Magda-
lena, befindet sich seit einem Jahrhundert in der reichen Ge-
mäldesammlung des Palast Pitti zu Florenz und hat, wenn
ich nicht irre, die Reise nach Paris und zurück gemacht; ist
jedoch in so schlechtem Stande, daß es nicht mehr in Be-
tracht kommt. Das dritte besitzt gegenwärtig die florentinische
Kunstschule.

Das herrlichste Werk seiner Hand, ein Mauergemälde im
Kapitelsaale des Klosters sta Maria Maddelena de' Pazzi zu
Florenz, welches, als Vasari schrieb, noch den Cisterziensern
gehörte, dürfte demnach später, als die sixtinische Kappelle ge-
malt seyn, und der Zeit angehören, da Pietro die Naturform,
deren Studium ihn in einem früheren Abschnitte seines Lebens
gänzlich hingerissen hatte, schon hinreichend bemeisterte, um sie
mit Freyheit seinen Aufgaben anzupassen. Die, nicht eben
zahlreich vorhandenen Werke dieser Kunststufe des Meisters
vereinigen strenges Studium mit einer, eben damals ganz un-
gewöhnlichen Klarheit der Anschauung seines ideellen Gegen-
standes. Wenn schon seine frühesten Arbeiten die vorherr-
schende Stimmung seines Gemüthes und Richtung seines
Geistes darlegen, in den nachfolgenden das Studium vorzu-
walten scheint, so wird derjenige Abschnitt seines Künstlerle-
bens, in welchem er zu seinen ursprünglichen Bestrebungen
zurückkehrend, diese mit einer Kraft und Klarheit der Dar-
stellung hindurchführte, welche er vorangehenden Studien ver-
dankte, nothwendig die größte undschönste Epoche des Künst-
lers seyn. Was er in dieser bestrebt, vorbereitet und geleistet,

nino, detto la calza, am roͤmiſchen Thore, vorhanden, deſ-
ſen Gegenſtand Vaſari richtig angegeben, deſſen kraͤftige und
derbe Charakteriſtik an Luca Signorelli erinnert. Ein anderes,
der Leichnam Chriſti, Maria, Johannes und Maria Magda-
lena, befindet ſich ſeit einem Jahrhundert in der reichen Ge-
maͤldeſammlung des Palaſt Pitti zu Florenz und hat, wenn
ich nicht irre, die Reiſe nach Paris und zuruͤck gemacht; iſt
jedoch in ſo ſchlechtem Stande, daß es nicht mehr in Be-
tracht kommt. Das dritte beſitzt gegenwaͤrtig die florentiniſche
Kunſtſchule.

Das herrlichſte Werk ſeiner Hand, ein Mauergemaͤlde im
Kapitelſaale des Kloſters ſta Maria Maddelena de’ Pazzi zu
Florenz, welches, als Vaſari ſchrieb, noch den Ciſterzienſern
gehoͤrte, duͤrfte demnach ſpaͤter, als die ſixtiniſche Kappelle ge-
malt ſeyn, und der Zeit angehoͤren, da Pietro die Naturform,
deren Studium ihn in einem fruͤheren Abſchnitte ſeines Lebens
gaͤnzlich hingeriſſen hatte, ſchon hinreichend bemeiſterte, um ſie
mit Freyheit ſeinen Aufgaben anzupaſſen. Die, nicht eben
zahlreich vorhandenen Werke dieſer Kunſtſtufe des Meiſters
vereinigen ſtrenges Studium mit einer, eben damals ganz un-
gewoͤhnlichen Klarheit der Anſchauung ſeines ideellen Gegen-
ſtandes. Wenn ſchon ſeine fruͤheſten Arbeiten die vorherr-
ſchende Stimmung ſeines Gemuͤthes und Richtung ſeines
Geiſtes darlegen, in den nachfolgenden das Studium vorzu-
walten ſcheint, ſo wird derjenige Abſchnitt ſeines Kuͤnſtlerle-
bens, in welchem er zu ſeinen urſpruͤnglichen Beſtrebungen
zuruͤckkehrend, dieſe mit einer Kraft und Klarheit der Dar-
ſtellung hindurchfuͤhrte, welche er vorangehenden Studien ver-
dankte, nothwendig die groͤßte undſchoͤnſte Epoche des Kuͤnſt-
lers ſeyn. Was er in dieſer beſtrebt, vorbereitet und geleiſtet,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0361" n="343"/>
nino, <hi rendition="#aq">detto la calza,</hi> am ro&#x0364;mi&#x017F;chen Thore, vorhanden, de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Gegen&#x017F;tand <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> richtig angegeben, de&#x017F;&#x017F;en kra&#x0364;ftige und<lb/>
derbe Charakteri&#x017F;tik an <persName ref="http://d-nb.info/gnd/172374596">Luca Signorelli</persName> erinnert. Ein anderes,<lb/>
der Leichnam <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118557513">Chri&#x017F;ti</persName>, Maria, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118557858">Johannes</persName> und Maria Magda-<lb/>
lena, befindet &#x017F;ich &#x017F;eit einem Jahrhundert in der reichen Ge-<lb/>
ma&#x0364;lde&#x017F;ammlung des Pala&#x017F;t Pitti zu <placeName>Florenz</placeName> und hat, wenn<lb/>
ich nicht irre, die Rei&#x017F;e nach <placeName>Paris</placeName> und zuru&#x0364;ck gemacht; i&#x017F;t<lb/>
jedoch in &#x017F;o &#x017F;chlechtem Stande, daß es nicht mehr in Be-<lb/>
tracht kommt. Das dritte be&#x017F;itzt gegenwa&#x0364;rtig die florentini&#x017F;che<lb/>
Kun&#x017F;t&#x017F;chule.</p><lb/>
          <p>Das herrlich&#x017F;te Werk &#x017F;einer Hand, ein Mauergema&#x0364;lde im<lb/>
Kapitel&#x017F;aale des Klo&#x017F;ters &#x017F;ta Maria Maddelena de&#x2019; Pazzi zu<lb/><placeName>Florenz</placeName>, welches, als <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> &#x017F;chrieb, noch den Ci&#x017F;terzien&#x017F;ern<lb/>
geho&#x0364;rte, du&#x0364;rfte demnach &#x017F;pa&#x0364;ter, als die &#x017F;ixtini&#x017F;che Kappelle ge-<lb/>
malt &#x017F;eyn, und der Zeit angeho&#x0364;ren, da <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119091771">Pietro</persName> die Naturform,<lb/>
deren Studium ihn in einem fru&#x0364;heren Ab&#x017F;chnitte &#x017F;eines Lebens<lb/>
ga&#x0364;nzlich hingeri&#x017F;&#x017F;en hatte, &#x017F;chon hinreichend bemei&#x017F;terte, um &#x017F;ie<lb/>
mit Freyheit &#x017F;einen Aufgaben anzupa&#x017F;&#x017F;en. Die, nicht eben<lb/>
zahlreich vorhandenen Werke die&#x017F;er Kun&#x017F;t&#x017F;tufe des Mei&#x017F;ters<lb/>
vereinigen &#x017F;trenges Studium mit einer, eben damals ganz un-<lb/>
gewo&#x0364;hnlichen Klarheit der An&#x017F;chauung &#x017F;eines ideellen Gegen-<lb/>
&#x017F;tandes. Wenn &#x017F;chon &#x017F;eine fru&#x0364;he&#x017F;ten Arbeiten die vorherr-<lb/>
&#x017F;chende Stimmung &#x017F;eines Gemu&#x0364;thes und Richtung &#x017F;eines<lb/>
Gei&#x017F;tes darlegen, in den nachfolgenden das Studium vorzu-<lb/>
walten &#x017F;cheint, &#x017F;o wird derjenige Ab&#x017F;chnitt &#x017F;eines Ku&#x0364;n&#x017F;tlerle-<lb/>
bens, in welchem er zu &#x017F;einen ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Be&#x017F;trebungen<lb/>
zuru&#x0364;ckkehrend, die&#x017F;e mit einer Kraft und Klarheit der Dar-<lb/>
&#x017F;tellung hindurchfu&#x0364;hrte, welche er vorangehenden Studien ver-<lb/>
dankte, nothwendig die gro&#x0364;ßte und&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Epoche des Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
lers &#x017F;eyn. Was er in die&#x017F;er be&#x017F;trebt, vorbereitet und gelei&#x017F;tet,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0361] nino, detto la calza, am roͤmiſchen Thore, vorhanden, deſ- ſen Gegenſtand Vaſari richtig angegeben, deſſen kraͤftige und derbe Charakteriſtik an Luca Signorelli erinnert. Ein anderes, der Leichnam Chriſti, Maria, Johannes und Maria Magda- lena, befindet ſich ſeit einem Jahrhundert in der reichen Ge- maͤldeſammlung des Palaſt Pitti zu Florenz und hat, wenn ich nicht irre, die Reiſe nach Paris und zuruͤck gemacht; iſt jedoch in ſo ſchlechtem Stande, daß es nicht mehr in Be- tracht kommt. Das dritte beſitzt gegenwaͤrtig die florentiniſche Kunſtſchule. Das herrlichſte Werk ſeiner Hand, ein Mauergemaͤlde im Kapitelſaale des Kloſters ſta Maria Maddelena de’ Pazzi zu Florenz, welches, als Vaſari ſchrieb, noch den Ciſterzienſern gehoͤrte, duͤrfte demnach ſpaͤter, als die ſixtiniſche Kappelle ge- malt ſeyn, und der Zeit angehoͤren, da Pietro die Naturform, deren Studium ihn in einem fruͤheren Abſchnitte ſeines Lebens gaͤnzlich hingeriſſen hatte, ſchon hinreichend bemeiſterte, um ſie mit Freyheit ſeinen Aufgaben anzupaſſen. Die, nicht eben zahlreich vorhandenen Werke dieſer Kunſtſtufe des Meiſters vereinigen ſtrenges Studium mit einer, eben damals ganz un- gewoͤhnlichen Klarheit der Anſchauung ſeines ideellen Gegen- ſtandes. Wenn ſchon ſeine fruͤheſten Arbeiten die vorherr- ſchende Stimmung ſeines Gemuͤthes und Richtung ſeines Geiſtes darlegen, in den nachfolgenden das Studium vorzu- walten ſcheint, ſo wird derjenige Abſchnitt ſeines Kuͤnſtlerle- bens, in welchem er zu ſeinen urſpruͤnglichen Beſtrebungen zuruͤckkehrend, dieſe mit einer Kraft und Klarheit der Dar- ſtellung hindurchfuͤhrte, welche er vorangehenden Studien ver- dankte, nothwendig die groͤßte undſchoͤnſte Epoche des Kuͤnſt- lers ſeyn. Was er in dieſer beſtrebt, vorbereitet und geleiſtet,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/361
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/361>, abgerufen am 14.06.2024.