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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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unterscheidet, mag die Kunsthistoriker der barbarischen Zeiten
verleitet haben, deren Baugeschmack, wie dort, nach den Völ-
kern und Staaten einzutheilen. Gothische, longobardische,
byzantinische, arabische Bauart, sind daher geläufige Kunst-
ausdrücke, welche eine vorangegangene Unterscheidung von
Eigenthümlichkeiten der Bauart dieser Völker und Staaten
voraussetzen lassen. In den Gebäuden sogar der dunkelsten
Zeiten des Mittelalters zeigen sich freylich allerley locale Ei-
genthümlichkeiten, welche zu jenen Benennungen auf den er-
sten Blick zu berechtigen scheinen. Das Vorwaltende aber
ist das Zeitliche; nach den Hauptepochen der Geschichte wer-
den wir demnach jene meist sehr leichten Modificationen der
christlich-römischen Bauart unterscheiden müssen; erst nachdem
diese allgemeineren Unterscheidungen gesichert sind, werden wir
auf locale Verschiedenheiten eingehen dürfen. Denn, wie
sollte man, ohne vorher des Allgemeineren sich versichert zu
haben, dem Speciellen seine ihm zukommende Stelle anweisen
können? Daß man jenes versäumt hat, brachte so viel
Schwankendes und Irriges in die Begriffe gothischer, lon-
gobardischer, byzantinischer, arabischer Architectur, als ich nach
den Umständen festzustellen, oder ganz auszumerzen versuchen
will. *)


*) Die englischen Alterthumsforscher unterscheiden sächsische, nor-
männische und neugothische Bauart, nach den Epochen ihrer eigenen
Geschichte. Diese Unterscheidungen, deren erste wir carolingisch, die
zweyte, nach dem bisherigen Gebrauch, vorgothisch nennen würden,
gehen nur England an, kommen daher hier nicht in Betrachtung.

unterſcheidet, mag die Kunſthiſtoriker der barbariſchen Zeiten
verleitet haben, deren Baugeſchmack, wie dort, nach den Voͤl-
kern und Staaten einzutheilen. Gothiſche, longobardiſche,
byzantiniſche, arabiſche Bauart, ſind daher gelaͤufige Kunſt-
ausdruͤcke, welche eine vorangegangene Unterſcheidung von
Eigenthuͤmlichkeiten der Bauart dieſer Voͤlker und Staaten
vorausſetzen laſſen. In den Gebaͤuden ſogar der dunkelſten
Zeiten des Mittelalters zeigen ſich freylich allerley locale Ei-
genthuͤmlichkeiten, welche zu jenen Benennungen auf den er-
ſten Blick zu berechtigen ſcheinen. Das Vorwaltende aber
iſt das Zeitliche; nach den Hauptepochen der Geſchichte wer-
den wir demnach jene meiſt ſehr leichten Modificationen der
chriſtlich-roͤmiſchen Bauart unterſcheiden muͤſſen; erſt nachdem
dieſe allgemeineren Unterſcheidungen geſichert ſind, werden wir
auf locale Verſchiedenheiten eingehen duͤrfen. Denn, wie
ſollte man, ohne vorher des Allgemeineren ſich verſichert zu
haben, dem Speciellen ſeine ihm zukommende Stelle anweiſen
koͤnnen? Daß man jenes verſaͤumt hat, brachte ſo viel
Schwankendes und Irriges in die Begriffe gothiſcher, lon-
gobardiſcher, byzantiniſcher, arabiſcher Architectur, als ich nach
den Umſtaͤnden feſtzuſtellen, oder ganz auszumerzen verſuchen
will. *)


*) Die engliſchen Alterthumsforſcher unterſcheiden ſächſiſche, nor-
männiſche und neugothiſche Bauart, nach den Epochen ihrer eigenen
Geſchichte. Dieſe Unterſcheidungen, deren erſte wir carolingiſch, die
zweyte, nach dem bisherigen Gebrauch, vorgothiſch nennen würden,
gehen nur England an, kommen daher hier nicht in Betrachtung.
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[164/0186] unterſcheidet, mag die Kunſthiſtoriker der barbariſchen Zeiten verleitet haben, deren Baugeſchmack, wie dort, nach den Voͤl- kern und Staaten einzutheilen. Gothiſche, longobardiſche, byzantiniſche, arabiſche Bauart, ſind daher gelaͤufige Kunſt- ausdruͤcke, welche eine vorangegangene Unterſcheidung von Eigenthuͤmlichkeiten der Bauart dieſer Voͤlker und Staaten vorausſetzen laſſen. In den Gebaͤuden ſogar der dunkelſten Zeiten des Mittelalters zeigen ſich freylich allerley locale Ei- genthuͤmlichkeiten, welche zu jenen Benennungen auf den er- ſten Blick zu berechtigen ſcheinen. Das Vorwaltende aber iſt das Zeitliche; nach den Hauptepochen der Geſchichte wer- den wir demnach jene meiſt ſehr leichten Modificationen der chriſtlich-roͤmiſchen Bauart unterſcheiden muͤſſen; erſt nachdem dieſe allgemeineren Unterſcheidungen geſichert ſind, werden wir auf locale Verſchiedenheiten eingehen duͤrfen. Denn, wie ſollte man, ohne vorher des Allgemeineren ſich verſichert zu haben, dem Speciellen ſeine ihm zukommende Stelle anweiſen koͤnnen? Daß man jenes verſaͤumt hat, brachte ſo viel Schwankendes und Irriges in die Begriffe gothiſcher, lon- gobardiſcher, byzantiniſcher, arabiſcher Architectur, als ich nach den Umſtaͤnden feſtzuſtellen, oder ganz auszumerzen verſuchen will. *) *) Die engliſchen Alterthumsforſcher unterſcheiden ſächſiſche, nor- männiſche und neugothiſche Bauart, nach den Epochen ihrer eigenen Geſchichte. Dieſe Unterſcheidungen, deren erſte wir carolingiſch, die zweyte, nach dem bisherigen Gebrauch, vorgothiſch nennen würden, gehen nur England an, kommen daher hier nicht in Betrachtung.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/186>, abgerufen am 26.04.2024.